Erfolg ohne festes System: Wie Thiago Motta den FC Bologna zum Champions-League-Kandidaten gemacht hat

Von Mark Doyle / Patrik Eisenacher
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Der italienische Ex-Nationalspieler ist einer der spannendsten jungen Trainer Europas. Mit dem FC Bologna steht Thiago Motta nun vor einem großen Coup.

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Sportdirektor Deco vom FC Barcelona ließ neulich durchaus aufhorchen, als er bei La Vanguardia zur Trainersuche der Katalanen zu Protokoll gab, dass Ex-Barça-Profi Thiago Motta kein Kandidat sei. "Ich verfolge Mottas Arbeit nicht regelmäßig und schaue die Spiele seiner Mannschaft nicht" erklärte der Portugiese.

Das verwundert, zieht Motta mit seiner Arbeit doch Interesse aus ganz Europa auf sich. So sollen sowohl Manchester United als auch Juventus in den letzten Wochen ihr Interesse an einer Verpflichtung des ehemaligen italienischen Nationalspielers verstärkt haben.

Der 41-Jährige steht kurz davor, sich mit dem FC Bologna in der Serie A sensationell für die Champions League zu qualifizieren - einem Team, das zuletzt vor 22 Jahren international dabei war.

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Thiago Motta galt beim CFC Genua bereits als gescheitert

Teammanager Jürgen Klopp vom FC Liverpool erklärte zuletzt in einem öffentlichen Appell, dass die "nächste Generation" großer Trainer bereits parat stehe. Der Deutsche bezeichnete beispielsweise die Arbeit Xabi Alonsos bei Bayer Leverkusen als "herausragend" und wies darauf hin, dass der Spanier schon während seiner großartigen Spielerkarriere auf dem Platz "wie ein Trainer" agiert habe.

Motta, auch wenn er als Mittelfeldspieler vielleicht nicht ganz so elegant war wie sein spanischer Kollege, passt ebenfalls ziemlich gut in dieses Schema. Sein ehemaliger PSG-Trainer Laurent Blanc prophezeite bereits vor Jahren: "Ich kann ihn mir in diesem Beruf in der Zukunft sehr gut vorstellen."

Diese Ansicht teilte auch der Vorstand von Paris Saint-Germain, der Motta unmittelbar nach dessen Rücktritt vom Fußball im Jahr 2018 mit der Leitung der U19-Mannschaft des Vereins betraute. In seiner kurzen Amtszeit dort gab es zwar keine Titelgewinne, dafür aber eine Menge Gesprächsstoff zum innovativen Fußball, den der gebürtige Brasilianer spielen ließ.

Motta setzte auf eine 4-3-3-Formation, die er selbst als "2-7-2" bezeichnete, und die schnell für Diskussionen und Skepsis sorgte. Der zweimalige Champions-League-Sieger beschwichtigte später, er habe mit seiner Bezeichnung die Aufstellung der Mannschaft eher in vertikalen als wie üblich in horizontalen Linien angegeben und bewusst auch den Torhüter mit einbezogen.

Auf seiner ersten Profi-Trainerstation bei CFC Genua wurde er dann zudem nach nur zehn Spielen und zwei Monaten entlassen, als der Klub in der Serie A auf dem letzten Platz stand. Motta galt da bereits als gescheitert.

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Thiago Motta: Bei La Spezia hinderten ihn eine Transfersperre und Covid am Erfolg

Trotzdem wandte sich Spezia Calcio an ihn, als der Verein im Sommer 2021 seinen Erfolgstrainer Vincenzo Italiano an die Fiorentina verloren hatte. "Als wir auf der Suche nach einem neuen Trainer waren, haben wir versucht, die Kandidaten zu analysieren, die mit meinen Vorstellungen von Fußball kompatibel sein könnten. Ziel war es, einen Trainer zu finden, der in der Lage ist, einen Spielstil umzusetzen, der zur Kultur von Spezia passt", erinnert der ehemalige Sportdirektor Riccardo Pecini GOAL.

"Wir haben einige Profile analysiert und uns viele Spiele der zwei oder drei Trainer angeschaut, auf die wir uns konzentriert haben. Am Ende war Thiago derjenige, der all unsere Kriterien erfüllte", führte er aus.

Seine Amtszeit hätte allerdings nicht schlechter beginnen können: Nur elf Tage nach Mottas Amtsantritt von Motta wurde gegen Spezia eine Transfersperre verhängt. Der Kader konnte also nicht mehr verstärkt werden.

"Schon als er ankam, musste er wegen Covid-19 rund 20 Tage in Quarantäne und konnte weder an Freundschaftsspielen noch am Training teilnehmen, was für ihn sehr schwierig war", gab Pecini zu. "Aber er hat es geschafft, sich nur auf seine Arbeit zu konzentrieren und nicht auf all die Probleme, die wir hatten."

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"Wenn Thiago Motta spricht, hört man ihm zu"

Motta schaffte es auch, sich aus einer besonders schwierigen Phase in der Vorweihnachtszeit 2021 zu retten, als sein Job in Gefahr war. Spezias Ex-Mittelfeldspieler Giulio Maggiore erklärte GOAL: "Er war ein unglaublicher Spieler, daher ist es normal, dass man ihm zuhört, wenn er spricht."

Auch der ehemalige Spezia-Stürmer Emmanuel Gyasi fand Mottas Art "geradeheraus" und nicht verstellt. "Er ist sehr ehrlich", schilderte der Ghanaer. "Er sagt dir die Dinge direkt ins Gesicht. Er lässt dich direkt wissen, ob du gut oder schlecht spielst."

Die Entscheidung Spezias, an Motta festzuhalten, erwies sich als richtig. Der überraschende Auswärtssieg bei Napoli kurz vor der Winterpause leitete eine tolle Serie ein, zu der auch der sensationelle 2:1-Sieg gegen Milan im San Siro gehörte - und trug entscheidend dazu bei, dass Mottas Mannschaft trotz aller Probleme abseits des Rasens den Abstieg vermied.

Es war diese beeindruckende Aufholjagd, die Bologna davon überzeugte, Motta nach einem schwachen Saisonstart mit einer langen Sieglosserie 2022 zu verpflichten.

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Thiago Mottas unorthodoxe Taktik

Motta wurde im Stadio Renato Dall'Ara vom FC Bologna jedoch nicht mit uneingeschränkter Zuneigung empfangen. Die Fans hatten zwar Respekt vor der Arbeit, die er in Spezia geleistet hatte, aber mit Sinisa Mihajlovic löste er einen geliebten Trainer ab, eine legendäre Figur, die den Verein während ihres tapferen Kampfes gegen den Krebs weiterentwickelt hatte.

Roberto De Zerbi (Brighton & Hove Albion) lehnte den Job damals ab, weil er nicht der Nachfolger eines verstorbenen Trainers werden wollte.

Auch Motta hatte großen Respekt vor Mihajlovic. "Sinisa wird immer Teil der Geschichte Bolognas sein", sagte er.

Sein Start war dann denkbar schwach, er konnte keines seiner ersten vier Spiele in der Serie A gewinnen. Aber das war kaum überraschend, seine gewagte Taktik stellte "eine große Veränderung" dar, wie der offensive Mittelfeldspieler Lewis Ferguson gegenüber Sky Sport Italia erklärte.

Motta klingt oft wie der große Johan Cruyff, wenn er Dinge sagt wie: "Das Schwierigste, was man tun kann, ist, einfachen Fußball zu spielen". "Einfach" sind allerdings seine Anforderungen und Vorgaben nicht wirklich. Giulio Maggiore erklärt, Motta unterscheide sich "darin von anderen Trainern, dass er keine präzise Formation vorgibt. Er ist der Meinung, dass jeder Spieler mehrere Rollen interpretieren kann." Stürmer Gyasi bekräftigt: "Ich habe gelernt, nicht nur auf dem Flügel zu spielen, sondern auch im Mittelfeld und sogar als linker Verteidiger."

Diese Vielseitigkeit und Fluidität spiegelt Mottas Abneigung gegen bestimmte Formationen wider, da er der Meinung ist, dass Zahlen irreführend sein können. "Man kann in einem 5-3-2 sehr offensiv und in einem 4-3-3 sehr defensiv spielen", sagte er einmal der Gazzetta dello Sport.

Bei Bologna wollte Motta jedoch noch offensiver spielen als beim klammen Spezia, da er der Meinung war, dass seine Spieler noch besser in der Lage waren, sein ballbesitzorientiertes Spiel umzusetzen.

Der Italiener will langsam aufbauen statt zu kontern. Damit verhindert er, dass der Gegner sich nur hinten reinstellt - so zumindest der Plan. Nach Ballverlusten lässt Motta derweil zunächst pressen, ehe sich seine Schützlinge blitzschnell kollektiv zurückziehen.

"Er hat seine Ideen, seine Spielweise und seine Vorstellung von Fußball klar dargelegt", sagte Ferguson. "Wir haben uns schnell darauf eingelassen, und ich denke, das sieht man nicht nur an den Ergebnissen, sondern auch an den Leistungen, sowie an der Art, wie wir für ihn laufen, an der Art, wie wir alle zusammen verteidigen."

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Thiago Mottas Allheilmittel beim FC Bologna: Ballbesitz

In Bologna hat Motta in der Tat eine beeindruckende Defensive geschmiedet. Nur Verona hat in dieser Saison in der Serie A mehr Zweikämpfe gewonnen. Der italienische FCB steht beim Ballbesitz zudem auf Platz drei. Zudem haben nur Inter Mailand und die AC Florenz weniger Schüsse aufs Tor bekommen. Das Ergebnis ist die drittbeste Abwehr Italiens (25 Gegentore in 32 Spielen).

Besonders interessant an der Mannschaft von Motta ist jedoch, dass sie nicht nur wegen der Arbeit ohne Ball in ihrer (nominellen) 4-1-4-1-Formation schwer zu knacken ist. Dabei hilft auch der eigene Ballbesitz.

Die Rossoblu spielen fast nie lange Bälle, schlagen nur selten Flanken - es geht ihnen vor allem darum, den Ball zu halten.

Im Grunde genommen macht Bologna den Gegner mit Ballbesitzfußball unschädlich.

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Thiago Motta könnte den FC Bologna in die Champions League führen

Motta sagt, ihm gebühre nur "0,001 Prozent des Verdienstes" für Bolognas Wandel vom Kellerkind zum Champions-League-Anwärter innerhalb von 18 Monaten.

Laut Aussage des 41-Jährigen sind "die Spieler sind die wahren Protagonisten in diesem Sport. Sie sind es, die die Entscheidungen auf dem Spielfeld treffen."

Mottas Einfluss ist jedoch enorm und unbestreitbar. In der vergangenen Saison führte er Bologna zur besten Platzierung seit mehr als zehn Jahren (Rang neun) und nun steht er mit dem Verein mit dem achtkleinsten Budget der Serie A auf dem vierten Platz.

Dies ist ihm gelungen, indem er zahlreiche Spieler verbessert hat, insbesondere Stürmer Joshua Zirkzee, der einst beim FC Bayern München keine große Perspektive mehr hatte.

Auch Riccardo Calafiori ist einer der wichtigsten Spieler, er wurde vom Außenverteidiger zum Innenverteidiger umgeschult.

Die relativ junge und unerfahrene Mannschaft Bologna, die vom ehemaligen Technischen Direktor Atalantas, Giovanni Sartori, fachkundig und günstig zusammengestellt wurde, harmoniert prächtig und ist dank Motta längst ein verschworener Haufen. "Wir trainieren mit einer sehr hohen Intensität", verriet Ferguson. "All das haben wir ihm zu verdanken."

Es besteht natürlich die Befürchtung, dass Bologna in der Schlussphase der Saison die Luft ausgeht. Lewis Ferguson hat sich kürzlich verletzt. Der Schotte sorgt zusammen mit Zirkzee und Ricardo Orsolini in der Regel für die Tore.

Doch mit Motta auf der Bank hat Bologna immer wieder einen Weg gefunden, Schwierigkeiten zu überwinden. Im Sommer hatten der Klub einige Schlüsselspieler verloren, darunter Jerdy Schouten, Nicolas Dominguez und Marko Arnautovic, das sollte nicht unterschlagen werden.

Bologna ist, um es mit Mottas Worten zu sagen, der größte "Spielzerstörer" in der Serie A. Dem Team gelingt es, mit einem kleinen Budget die Großen zu ärgern.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Entscheidungsträger bei Manchester United und Juventus seine Arbeit mit Blick auf ein mögliches Engagement zur neuen Saison genau beobachten - und es verwundert, dass der FC Barcelona seinen langjährigen Spieler nicht auf dem Schirm hat.