Wie Odin auf LSD

Von Jan-Hendrik Böhmer
Jeren Karalathi, NHL, DEL, Hamburg Freezers
© Getty

München - Einen Schlüsselspieler für die Abwehr glaubt Sportmanager Bob Leslie für seine Hamburg Freezers gefunden zu haben. Glaubt. Denn Neuverpflichtung Jere Karalahti hat zwei Gesichter. Und welches einen davon gerade ansieht, weiß man nie so genau.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Fünf Weltmeisterschaften hat der 33-Jährige für Finnland bestritten, neun Tore geschossen und zehn Vorlagen gegeben. Zweimal stand er anschließend im All-Star-Team.

Und auch in der NHL ist Karalahti kein Unbekannter: Von 1999 bis 2002 spielte er für die Los Angeles Kings und Nashville Predators. 166 Partien hat er in der bekanntesten Liga der Welt bestritten. Der ehemalige Kings-Coach Andy Murray nannte ihn einmal "einen der besten Spieler auf dem Eis." Das ist das eine Gesicht des Jere Karalahti. Das Gute.

Zur DEL-Wechselbörse

Nur wegen dem Nervenkitzel

Doch es gibt da auch noch das andere Gesicht. Das Gesicht eines Mannes, der in seinem Leben mehrfach von einer Liga suspendiert wurde, im Gefängnis saß, Drogen nahm. Er selbst nennt es offen ein Doppelleben, was er seit seinem 15. Lebensjahr führt.

Rückblick: Alkohol, Marihuana, Kokain, Heroin, Amphetamine, LSD. Als Teenager probieren Karalahti und seine Freunde alles aus, was sie in die Finger bekommen. Außerdem rauben sie nachts Autos und Lebensmittel-Geschäfte aus. "Nicht etwa weil wir das Geld brauchten", erklärte er 2002 in der "Sports Illustrated". "Es ging uns nur um den Nervenkitzel."

Bei einer ihrer Drogen-befeuerten nächtlichen Touren bricht die Gruppe dann in einen Luxus-Autosalon in Helsinki ein. Drinnen klauen sie einen Porsche und rasen damit durch die Schaufensterscheibe. Doch damit nicht genug. Sie lassen den Porsche auf dem Gehweg stehen und holen sich einen weiteren Sportwagen. Begründung: Der Porsche hatte bei der Flucht durch die Fensterscheibe einige Kratzer und Beulen abbekommen.

Die Fassade hält

Erwischt werden sie nie und Karalahti reift in seinem anderen Leben zu einem der besten Jugendspieler Finnlands. 1993 nimmt wird er von den L.A. Kings in die NHL gedraftet – bleibt aber vorerst in Finnland und spielt für Helsinki IFK, einen der Top-Klubs des Landes.

Von den anhaltenden Drogen-Eskapaden merkt niemand etwas. "Er hat mit mir zusammen in der Abwehr gespielt, war ein großartiger Spieler mit viel Teamgeist", sagt Ex-Kollege Kimmo Timonen. "Niemand hatte eine Ahnung, dass er Drogenprobleme hat."

Exzess im Indianer-Reservat

Bis 1995 hält die Fassade, dann kommen erste Zweifel auf. Karalathi verschwindet bei den Junioren-Weltmeisterschaften in Kanada einfach so aus dem Team-Hotel.

Später stellt sich heraus: Er hatte einige Ureinwohner in einer Bar getroffen und war mit ihnen zu einer fast 48-stündigen Bewusstseins-Erweiterungs-Orgie in ihr Reservat gereist. Nach Geständnis und anschließender Standpauke durfte er wieder spielen und schoss nur Tage später das rettende Tor beim Unentschieden gegen Schweden.

Trotzdem kommt er von seiner Sucht nicht los. So setzt sich Karalahti einfach mal in den Flieger, jettet kurzerhand nach Deutschland. Nur um dort ein Kozert von Pink Floyd zu sehen. Inklusive eines ausgedehnten LSD-Trips.

Das erste Mal Knast

Anschließend rutscht Karalahti noch weiter ab, raucht regelmäßig Heroin. Gammelt tagelang in verdreckten Wohnungen mit Canabis-Plantagen im Keller herum und spielt Videospiele. 1996 wird er zum ersten Mal verhaftet. Fünf Tage sitzt er in Untersuchungshaft, nachdem in seiner Wohnung 800 Gramm Marihuana, 30 Gramm Amphetamine und 10 Gramm Heroin gefunden wurden. Die Strafe: Drei Monate auf Bewährung. Ein Warnschuss.

Danach gibt er sich geläutert. Seit seiner Verhaftung habe er keine Drogen mehr angefasst, sagte er in einem Interview mit "Sports Illustrated". Karalahti liefert regelmäßig saubere Drogentests ab, darf 1999 endlich in die NHL.

Mit Odin in die Bande

Hier schlägt er sofort ein. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Teamkollegen schätzen ihn als Menschen und seine Hits auf dem Eis sind so hart, dass seine Gegenspieler reihenweise verletzt vom Platz müssen.

Wie hier in einem Video aus Finnland. Sein hartes Image gefällt ihm. Er trägt fast nur noch Schwarz, lässt sich immer weiter tätowieren.

Göttervater Odin - für Karalahti der Gott des Krieges - hat er auf der rechten Schulter. Der Schulter, die einmal NHL-Star Joe Sakic für zwei Spiel mit einer schweren Schulterprellung auf die Bank schickte. Alles scheint gut, das gute Gesicht des Jere Karalahti ist wieder da. Nur auf dem Platz guckt er böse.

20 Monate auf Bewährung

Doch nicht lange. Im August 2002 wird er von der NHL für sechs Monate gesperrt – darf deshalb auch nicht an der WM 2004 teilnehmen. Drei Mal war er da auffällig geworden, hatte gegen die Drogenregeln der Liga verstoßen. "Die wollten, dass ich aufhöre zu trinken. Doch das will ich nicht einmal versuchen", sagt er und geht zurück nach Finnland.

Dort spielt er erst wieder für Helsinki. Dann für Oulu Kärpät. Und lange Zeit geht alles gut. Dann ein erster Rückfall im Juli 2007: Karalahti leiht einem Kumpel von der Motorrad-Gang Bandidos mal eben 41.000 Euro. Der fährt los, kauft mit der Kohle 15 Kilo Amphetamine, wird von der Polizei erwischt - und schwärzt Karalahti als Drahtzieher des Schmuggels an.

Im November wird er dann tatsächlich von der Polizei verhaftet, während des Trainings. Er hat gut vier Kilogramm Amphetamine von Estland nach Finnland geschmuggelt und soll zudem weitere Drogen-Deals finanziert haben. 20 Monate auf Bewährung.

Vermutlich hatte er es nur seinem Vater zu verdanken, dass er nie länger in den Knast musste. Arto Karalahti war Polizeibeamter in Helsinki.

Jetzt soll wieder das gute Gesicht zum Vorschein kommen. "Ich freue mich auf meine neue Aufgabe bei den Hamburg Freezers und in der DEL", so der 33-Jährige. Ein Neustart, nur mit seiner Familie und Eishockey. Weit weg von alten Freunden - und von Drogen.