"Das hier sind einfach meine Wurzeln"

Jochen Tittmar
13. November 201311:05
Wolfgang Feiersinger absolvierte 57 Partien in der Bundesliga für Borussia Dortmundimago
Werbung
Werbung

Wolfgang Feiersinger hat zwischen 1996 und 2000 vier Spielzeiten für Borussia Dortmund gespielt. Mit dem BVB zog der Libero 1997 ins Finale der Champions League ein, musste das Endspiel aber überraschend von der Tribüne aus verfolgen. Nun ist Feiersinger Wirt auf einer österreichischen Bergalm. Im Interview spricht der 48-Jährige über sein Leben in den Bergen, das fatale Gespräch mit Ottmar Hitzfeld und erklärt, was ihn am aktuellen Fußballgeschehen stört.

SPOX: Herr Feiersinger, vor 16 Jahren sind Sie mit Borussia Dortmund ins Champions-League-Finale eingezogen, nun arbeiten Sie seit einigen Jahren als Wirt auf der Hochwildalm in Aurach in Tirol und gehen in 1557 Metern Höhe Ihrer Arbeit nach. Wie sieht die denn genau aus?

Wolfgang Feiersinger: Ich betreibe eine Schutzhütte mit zehn Schlafplätzen. Wenn wir Gäste haben, die bei uns übernachten, beginnt der Tag meistens um 6, 7 Uhr. Ich komme dann zwischen 22 und 23 Uhr ins Bett und schlafe auch in der Hütte. Sind keine Gäste über Nacht bei uns, kann ich sozusagen "zu Hause" im Tal schlafen und erledige bei dieser Gelegenheit auch die Einkäufe, die es für die Alm braucht.

SPOX: Was passiert zwischen 6 und 22 Uhr?

Feiersinger: Morgens trifft man die Vorbereitungen für den restlichen Tag, kocht vor und bewirtet die ankommenden Gäste. Das geht dann ins Ab- und Aufräumen sowie Abwaschen über und wird von der Bewirtung am Abend wieder abgelöst.

SPOXgetty

SPOX: Sie bewirten die Alm zwischen Juni und Oktober. Was unternehmen Sie zwischen November und Mai?

Feiersinger: Es fallen unmittelbar nach Saisonende noch kleinere Maßnahmen an, sodass meine Freundin und ich hin und wieder an den Wochenenden oben sind und werkeln. Ansonsten hoffen wir, dass das Wetter mitmacht und wir unsere Hobbys in vollsten Zügen genießen können.

SPOX: Wie entstand denn überhaupt die für einen ehemaligen Fußballprofi doch recht ungewöhnliche Idee mit der Hütte?

Feiersinger: Das hat sich mit der Zeit entwickelt. Ich bin nach meiner Karriere als Fußballer sehr viel in den Bergen unterwegs gewesen. Klettern, Bergsteigen und Skifahren waren schon immer meine großen Leidenschaften. Als meine Freundin und ich eines Tages mal wieder an einer Hütte vorbeikamen, haben wir uns gesagt, dass das auch etwas wäre, was wir mal versuchen könnten. Daraufhin haben wir eher zufällig die Hochwildalm bekommen können, die hinsichtlich der Lage und Größe unseren Vorstellungen entsprochen hat. Seitdem sind fünf Jahre vergangen.

SPOX: Bestand zu Anfang eine gewisse Unsicherheit, ob man es so weit vom "normalen" Alltag entfernt überhaupt auf Dauer aushält?

Feiersinger: Wenn man 20 Jahre als Profi im Fußballgeschäft tätig ist, dann ist das schon eine Umstellung. Die fiel mir unter dem Strich aber leicht, ich konnte mich problemlos in das "normale" Leben wieder integrieren. Ich komme aus der Gegend, liebe die Berge - das hier sind einfach meine Wurzeln.

SPOX: Hatten Sie Ihr Dasein als Fußballer auch irgendwie satt?

Feiersinger: Ich bin wirklich froh, dass dieser Abschnitt meines Lebens vorbei ist und ich mich sozusagen frei bewegen kann. Als Fußballer bewegt man sich in Kreisen, in denen man vielleicht gar nicht so gern unterwegs ist. In dieser Umgebung wird man verwöhnt und gerät leicht in die Gefahr, von sich selbst zu denken, man sei etwas Besseres als andere. Jetzt bin ich mein eigener Chef. SPOX

SPOX: Wie reagieren denn jetzt Ihre Gäste auf Sie?

Feiersinger: Wer mich nicht erkennt, reagiert vollkommen normal (lacht). Es kommt aber natürlich schon ab und zu vor, dass ich angesprochen werde - gerade von den Deutschen. Das liegt wohl einfach am höheren Stellenwert des Fußballs, den meisten ist noch bewusst, was wir bei Borussia Dortmund damals erreicht haben. Das freut mich irrsinnig.

SPOX: Wie sieht das Feedback Ihrer ehemaligen Fußball-Kollegen aus?

Feiersinger: Andreas Möller kam mal unangekündigt vorbei, das war sehr lustig. Sonst waren eher weniger Ex-Kollegen hier. Die meisten werden sich sicherlich sagen: Der hat doch einen Vogel, warum ist er nicht im Fußball geblieben? Das ist mir aber völlig egal.

SPOX: Zu Ihren Füßen liegt die Glitzerwelt Kitzbühel, die auf Ihrer Hütte Lichtjahre entfernt zu sein scheint. Wie krass nehmen Sie diesen Kontrast wahr?

Feiersinger: Es ist schon bedenklich, was dort unten über die Jahre passiert ist. Dieser Ausverkauf von Identität und Kultur stößt mir negativ auf. Das Kitzbüheler Klientel ist in seltenen Fällen auch mal bei mir zu Gast und da merkt man dann schon, wie verschiedene Gedankenwelten aufeinanderprallen. Doch auch wenn wir nur ein paar Kilometer von Kitzbühel entfernt sind, befinden wir uns bereits in einer anderen Region, die deutlich weniger überlaufen und nicht so sehr auf Kommerz aus ist.

SPOX: Wie viel Lebensgefühl steckt für Sie in Ihrer Arbeit in den Bergen?

Feiersinger: Unglaublich viel. Gerade, wenn man bedenkt, welch harter Job es ist, eine solche Hütte dauerhaft zu betreiben. Es führt ja keine Straße dort hoch, manchmal müssen wir kurzfristig auch ohne Strom auskommen. Die fünf Monate gehen schon an die Substanz, weil eben viele Stunden am Tag dafür geopfert werden müssen. Ohne genug Idealismus würde das nicht gehen. Wenn du dann mal wenige Gäste hast und morgens beim Frühstück oder abends beim Sonnenuntergang entspannt draußen sitzen kannst, sind das einfach wunderschöne Momente.

Seite 2: Feiersinger über seinen Job bei RB Salzburg und das CL-Finale 1997

SPOX: Momente, die Ihnen der Fußball nicht mehr zu geben scheint. Sie haben einmal gesagt, dass es Ihnen schwerfalle, über 90 Minuten konzentriert ein Fußballspiel zu verfolgen.

Feiersinger: Das kommt einfach durch die vielen Spiele, die heutzutage gezeigt werden. Da hat sich bei mir eine Übersättigung eingestellt. Der Fußball wird heute ausgeschlachtet bis zum Gehtnichtmehr, mir ist das zu übertrieben. Das Spiel steht nicht mehr im Vordergrund, das Event Stadionbesuch ist vielen wichtiger als die eigentliche Partie. Früher gab es ja noch Spieler, die ihre ganze Karriere bei einem Verein verbracht haben. Da war noch eine glaubhafte Hingabe dabei. Mittlerweile hat sich in meinen Augen das Profi- zum Söldnertum gewandelt. Diese Veränderungen, die mit den Jahren kamen, haben meinem Interesse nicht gut getan (lacht). Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Dabei waren Sie vor Ihrer Zeit auf der Alm noch von 2006 bis Ende Mai 2008 Trainer der U-17-Mannschaft des zu Red Bull Salzburg gehörigen Bundesnachwuchszentrums. Wie ist es damals dazu gekommen?

Feiersinger: Ich habe nach meiner Karriere wie viele andere die Trainerausbildungen absolviert. 2005 ist dann Heimo Pfeifenberger, mein ehemaliger Mitspieler bei Austria Salzburg, Jugendkoordinator in der Akademie von Red Bull Salzburg geworden. Die befand sich damals noch im Aufbau und Heimo fragte mich, ob ich mir das vorstellen könnte. Das hat mir auch von Beginn an Spaß gemacht, es war toll, den Jugendlichen Dinge mit auf den Weg zu geben, die ich während meiner eigenen Karriere gelernt habe. Es ging aber nicht weiter, weil die personelle Fluktuation bei Red Bull auf vielen Positionen weiterging und irgendwann auch mal ich dran glauben musste.

SPOX: Wie sehr reizt Sie heute noch eine Rückkehr in den Jugendfußball?

Feiersinger: Gar nicht mehr. Ich bin jetzt schon Jahre raus und habe nun einen vollkommen anderen Lebensmittelpunkt. Müsste ich jetzt beispielsweise für einen Job im Fußball in Wien leben, würde ich das wohl nicht verkraften. Die Leidenschaft für das Leben, das ich jetzt lebe, übersteigt die für den Fußball.

SPOX: Dennoch muss ich noch einmal auf Ihre aktive Karriere zu sprechen kommen.

Feiersinger: Sie haben es jetzt auch lange genug hinausgezögert (lacht).

SPOX: Sie wissen, was kommt, oder?

Feiersinger: Natürlich. Schießen Sie los!

SPOX: Ihre Nichtberücksichtigung für das Champions-League-Finale 1997 war die bitterste Stunde Ihrer Karriere. Sie zeigten in den Spielen zuvor bravouröse Leistungen, das Endspiel mussten Sie nach der Wiedergenesung von Libero Matthias Sammer aber auf der Tribüne verfolgen. Haben Sie mit Ottmar Hitzfeld mittlerweile noch einmal darüber gesprochen?

Feiersinger: Wir haben uns seitdem zweimal wieder gesehen, glaube ich. Da haben wir natürlich ganz normal miteinander geredet. Er beteuert ja bis heute, dass das die schwierigste Entscheidung seines Lebens war. Ich kann mir davon aber leider rein gar nichts kaufen. Der Stachel sitzt immer noch tief. Als der BVB im Mai im Champions-League-Finale stand, sind schon alte Wunden wieder aufgebrochen. Das kam einfach total unerwartet damals.

SPOX: Warum?

Feiersinger: Ich muss das von vorne erzählen: Wir sind drei Tage vor dem Finale nach München gefahren, um uns vorzubereiten. In keiner der Trainingseinheiten, die dort absolviert wurden, war es für mich zu erahnen, dass Matthias spielen würde. Er war ja ein paar Wochen verletzt und hatte nur wenig Spielpraxis gesammelt. Am Spieltag hat mich Hitzfeld dann mittags angerufen und zu sich gebeten. Ich dachte, da geht es um die letzten taktischen Feinheiten.

SPOX: Der Rest ist Geschichte.

Feiersinger: Das Schlimmste an der Botschaft, dass ich nicht spielen werde, war, aus taktischen Gründen auch gar nicht erst im Kader zu stehen. Damals waren nur 16 Spieler im Kader erlaubt. Er hat es auch begründet, aber die Begründung war mir letztlich auch scheißegal (lacht). Ich stand total neben den Schuhen, auch noch nach dem Triumph.

SPOX: Hatten Sie keinerlei Vorahnung, dass Sie von Sammer verdrängt werden könnten, sobald er wieder fit ist? SPOX

Feiersinger: Nein, überhaupt nicht. Wie gesagt, er war eine Zeit lang raus und ich in ordentlicher Form, gerade im Champions-League-Halbfinale gegen Manchester United habe ich ein gutes Spiel abgeliefert. Matthias kam nach dem Finalsieg direkt auf mich zu und versuchte mich zu trösten, aber das hat nicht viel gebracht.

SPOX: Welche Beziehung haben Sie derzeit noch zum BVB?

Feiersinger: Den Verein werde ich immer im Herzen tragen. Ich werde die Begeisterung und Leidenschaft, die die Dortmunder ihrem Klub entgegenbringen, niemals vergessen. Ich habe die Erfolgsgeschichte der letzten Jahre natürlich verfolgt. Es freut mich sehr, dass der sportliche Aufstieg auch ohne Investoren oder sofortige Millionenausgaben möglich war und sich das Gerüst der Mannschaft trotz des Erfolgs nur unwesentlich verändert hat. Ich habe mir bereits vorgenommen, mal wieder ins Stadion zu gehen, aber zuletzt lagen die Spieltage irgendwie schlecht. Ich möchte aber unbedingt nochmal die Atmosphäre inhalieren, keine Frage.

Borussia Dortmund: Die Erfolge des BVB im Überblick