Der SPOX-Dopingreport im Fußball

Jannik Schneider
07. März 201712:05
Seit März 2016 gibt es in Spanien keine Dopingtests im Fußball mehrspox
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Keine Doping-Kontrollen im spanischen Profifußball seit März 2016. Nachdem die Weltantidopingagentur (WADA) im Februar Alarm schlug, stellt sich SPOX im vierteiligen Dopingreport die Frage: Haben die Erben des zu zweifelhafter Berühmtheit gelangten Dopingarztes Eufemiano Fuentes im Fußball freie Bahn? Recherchen manifestieren ein düsteres Bild der Primera Division und von deren Verantwortlichen im Umgang mit dem Thema Doping. Doch in Deutschland lassen sich ebenfalls rasch Unregelmäßigkeiten finden.

  • Im ersten Teil beantwortet der SPOX-Dopingreport zunächst die Fragen: Wie kann es in einer der größten Ligen Europas überhaupt zu einem Test-Vakuum kommen und warum wollte kein Gremium oder Verband der spanischen Antidopingagentur - trotz ihrer Hilferufe - unter die Arme greifen? Und wieso schlug kein spanischer Verein ob der fehlenden Tests Alarm?
  • Teil zwei skizziert mutmaßliche Dopingpraktiken von 2001 bis 2005 bei Real Sociedad, die das kleine Team um den jungen Xabi Alonso erst in die Champions League und dann fast in den Ruin führten. Der Präsident, der das damalige EPO-Doping wohl zu verantworten hat, leitete anschließend die Geschicke der Primera Division. SPOX hat Spaniens führenden Dopingexperten gefragt: Wie ist so eine Vita möglich?
  • Punkt drei des Reports wirft einen ausführlichen Blick auf das Testsystem in Deutschland. SPOX deckt dabei Probleme bei der Dokumentation von NADA und DFB im Umgang mit Trainingskontrollen der deutschen Nationalmannschaft auf. Der DFB bestätigt zudem exklusiv, dass es Ermittlungen nach drei auffälligen Tests im deutschen Fußball gegeben hat und regt erstmals eine neue Herangehensweise an, um mutmaßlichen Betrügern noch nachträglich auf die Spur zu kommen.
  • Part vier zeigt: Auch in der Bundesliga läuft längst nicht alles transparent ab. Da darf mit Thiago ein Spieler des FC Bayern bei einer unangekündigten Trainings-Kontrolle mutmaßlich abtauchen und erhält aufgrund der komplizierten Zuständigkeiten keine Strafe. Aber wer ist denn nun für wen zuständig? Und kann ein Bundesligaspieler wie Thiago mit einem "Missed Test" wirklich betrügen?

Teil 1: Warum gibt es in der Primera Division keine Dopingtests?

Nur noch eine Woche länger. Dann wären die neuesten Verfehlungen des Fußballs im Kampf gegen Doping wohl gar nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Die spanische Regierung hatte bereits länger Gesetzesentwürfe angekündigt, damit die Anti-Doping-Maßnahmen des Landes wieder den Standards der WADA angepasst werden.

Doch kurz vor Veröffentlichung am 19. Februar sickerten Infos einer skurrilen und aus Sicht von Dopingbekämpfern beängstigenden Situation durch.

Es gibt in den spanischen Profiligen seit März keine offiziellen Dopingkontrollen mehr.

Es folgten Statements der WADA, die Situation sei "alarmierend" sowie hilflos wirkende Erklärungsversuche der spanischen Anti-Doping-Agentur (AEPSAD). Dass Spieler der international spielenden Teams weiter getestet werden können, ist ein schwacher Trost.

Dopingsünder könnten das Vakuum in La Liga als Freibrief verstehen, der spanische Fußball gilt spätestens seit der Blutbeutel-Affäre um den ehemaligen Frauenarzt und Hormonexperten Eufemiano Fuentes als besonders vorbelastet. Der hatte bei seiner ersten Vernehmung geprahlt, auch Fußballer mit Eigenblutdoping (EPO) versorgt zu haben - nahm in den späteren gerichtlichen Auseinandersetzungen offiziell jedoch Abstand von dieser Aussage.

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Wie kann es in einem derart vorbelasteten Land zur jetzigen Situation kommen?

Die WADA hatte Spanien und die AEPSAD vor gut einem Jahr als "nicht konform" eingestuft. Daraufhin wurde das für Spanien zuständige Hauptlabor in Madrid suspendiert.

Das kam für die Verantwortlichen jedoch nicht überraschend. Die Sanktionen im vergangenen März waren verhängt worden, nachdem Spanien Fristen zur Anpassung an den Code der WADA hatte verstreichen lassen. Bereits seit Herbst 2015 standen Spanien und andere Länder am Pranger.

FIFA und UEFA verweigern Hilfe

In die Bredouille geriet Spanien durch die Politik. Die Querelen um die Regierungsbildung, die nach rund zehn Monaten erst im vergangenen Herbst durchgeführt werden konnte, verhinderten die Verabschiedung von Gesetzen, die Neuerungen des WADA-Codes in die Statuten des Landes implementiert hätten. Diese Neuerungen hätten zum einen eine längere Verjährungsfrist für Dopingsünder bedeutet und eine Anhebung der Sperrzeit nach einem positiven Test auf vier Jahre bewirkt. Doch der Staat war zunächst nicht handlungsfähig.

Die AEPSAD erklärte unlängst nach dem Bekanntwerden der fehlenden Tests, die WADA habe sie im März 2016 aufgefordert, die internationalen Verbände der jeweiligen Sportarten um Hilfe bei der Durchführung von Dopingtests zu bitten.

"Die AEPSAD hat in fast allen Sportarten Vereinbarungen mit internationalen Verbänden treffen können, die es ihr ermöglicht hat, die Qualität der Dopingkontrollen für spanische Sportler den WADA-Standards entsprechend aufrecht zu erhalten. Nur im Fußball wollten weder UEFA noch FIFA helfen", erklärt der spanische Dopingexperte Carlos Arribas gegenüber SPOX. Der erfahrene Journalist der El Pais steht im engen Austausch mit AEPSAD-Sprecher Gomez Bastida und zitierte diesen auch in seiner Berichterstattung.

Die UEFA teilte auf Anfrage mit, ihr seien in diesem Fall die Hände gebunden gewesen. Sie sei "nicht zuständig für Spieler und Partien auf nationaler Ebene". Auch die FIFA fühlt sich nur für internationale Spiele zuständig.

Was ist die Position der NADA?

Das heißt: Zwei der international umsatzstärksten Verbände haben einem ihrer bedeutendsten Mitgliedsstaaten in einer Ausnahmesituation nicht geholfen. Interessant dabei: Die Chefin der deutschen Anti-Doping-Agentur (NADA), Dr. Andrea Gotzmann, sitzt seit 2015 in einem sogenannten Anti-Doping-Panel der UEFA.

Eine SPOX-Anfrage, ob Gotzmann und ihre Kolleginnen und Kollegen in diesem konkreten Fall nicht hätten vermitteln oder gar helfen können, wurde nicht beantwortet. Es blieb bei dem Verweis der NADA auf eine Pressemitteilung der UEFA aus dem Jahr 2015, in der die Aufgaben des Panels dargelegt sind.

Diese sind allgemein gehalten und beziehen sich auf die Arbeit innerhalb der UEFA. Ob und inwiefern ein einzelner Verband, der sich in Not befindet, von der Expertise des Panels profitieren kann, ist nicht ersichtlich.

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Gegenüber SPOX fordert die NADA auf die spanischen Verhältnisse angesprochen: "Es muss dringend eine Lösung für die Durchführung von Kontrollen im spanischen Fußball gefunden werden." Die NADA halte es darüber hinaus für wichtig, dass alle Organisationen jetzt sehr schnell einen pragmatischen Ansatz zur Umsetzung eines glaubwürdigen Kontrollsystems erarbeiteten. "Eine effektive Anti-Doping-Arbeit schützt die sauberen Athletinnen und Athleten."

Eine Frage bleibt dennoch offen: Wer, wenn nicht Mitglieder eines Anti-Doping-Panels innerhalb der UEFA, mit jeder Menge Experten auf dem Gebiet und mit der entsprechenden Sensibilität für das Thema, hätten in der Problematik um schnelle Hilfe bei der Aufrechterhaltung der Kontrollen in Spanien vermitteln können?

Mit den am 19. Februar auf den Weg gebrachten Gesetzesentwürfen will die spanische Politik nun die Missstände beheben. Die wichtigsten Veränderungen betreffen die von der WADA geforderte Anhebung der Dopingsperre von zwei auf vier Jahre nach dem ersten positiven Test. Die Verjährungsfrist für Dopingvergehen soll zudem von acht auf zehn Jahre ansteigen. Künftig dürfen Ärzte, Trainer und Teamchefs bei einer Mithilfe suspendiert werden.

Warum reagieren die spanischen Vereine nicht?

Der Entwurf muss allerdings noch vom Parlament verabschiedet werden. "Erst dann wird der nicht konforme Status des Labors in Madrid wieder aufgehoben", weiß Arribas. "Wochen" könne das noch dauern. Die Saison in Spanien neigt sich dem Ende entgegen.

In einem seiner Leitartikel wunderte sich der 58-Jährige, der seit Anfang der 90er Jahre für die El Pais über Doping nicht nur im Radsport und der Leichtathletik berichtet, dass kein einziger der spanischen Profivereine das Vakuum in den vergangenen elf Monaten öffentlich anprangerte - sich gar beschwerte.

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Bei der Beurteilung, warum der jetzige Aufschrei in seinem Heimatland wiederholt nicht der Rede wert war, tut sich der erfahrene Berichterstatter schwer. "Die Spanier haben eine schlechte Beziehung zum Thema Doping. Sie haben viele negative Storys gehört", erklärt er im Gespräch mit SPOX. Niemand gebe der ganzen Sache noch eine wirkliche Bedeutung.

In einem Land, in dem ein mutmaßlicher Dopingförderer im Profifußball Präsident der spanischen Primera Division werden kann, mag das nicht verwundern (Lesen Sie weiter auf Seite 2).

Teil zwei: Das "Märchen" von Real Sociedad und seinem (Doping)-Präsidenten

Medien und Fans schwärmten damals von einem "Fußballmärchen". Wenn sie gewusst hätten, wie nah sie mit dieser Begrifflichkeit an der Wahrheit lagen...

Der Außenseiterklub Real Sociedad aus San Sebastian probte in der Saison 2002/2003 den Aufstand, führte die Primera Division ganze 22 Spieltage an. Vor dem Starensemble von Real Madrid. Erst im Schlussspurt übertrumpften die Königlichen noch das Überraschungsteam. Als Trost blieb die Qualifikation für die Königsklasse, in der Folgesaison erreichte das Team dort das Achtelfinale. Wer erinnert sich?

Das damalige Team um Spieler wie Stürmer Darko Kovacevic, den am Montag als Bundesligatrainer von Bayer Leverkusen vorgestellten Tayfun Korkut und einen gewissen Xabi Alonso wurde europaweit für den erfrischenden Offensivstil gelobt. Ihr damaliger Präsident Jose Luis Astiazaran sonnte sich derweil im Erfolg seines Vereins.

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Doch bereits seit 2008 ist eigentlich klar: Unter Astiazarans Führung wurde von mindestens 2001 bis 2005 mutmaßlich Eigenblutdoping (EPO) im Team betrieben. Die Beweislage ist erdrückend.

Zahlungen an Dopingarzt Fuentes nachgewiesen

Sociedad stand auf der Kundenliste von Eufemiano Fuentes. Carlos Arribas belegte das in der El Pais mit Dokumenten von Zahlungseingängen, die höchstwahrscheinlich der Handschrift von Fuentes zuzuordnen sind.

Noch klarer sind Aussagen eines späteren Präsidenten des baskischen Klubs. Inaki Badiola, der Real Sociedad 2008 führte, erklärte der AS, wie er während seiner Amtszeit von den langjährigen Dopingpraktiken erfuhr. Und sie beendete.

Nach einer Unternehmensprüfung im Jahr 2008 erhielt Badiola Kenntnis darüber, dass Real Sociedad und deren Klubärzte jahrelang illegale Präparate besorgt hatten. Der AS wurde ein Video von einer Präsidiumssitzung zugespielt, in dem Badiola vermerkte: "Es gibt hier 327.443 Euro, die jährlich während so und so vieler Jahre ausgegeben wurden, zugunsten von Eufemiano Fuentes. Schwarz."

Nach Aussagen Badiolas bestanden diese Kassen zwischen 2001 und 2005. In der Zeit also, in der Jose Luis Astiazaran den Klub führte. Jener Astiazaran, der die Verantwortung für den Klub 2005 mit zehn Millionen Schulden und einem Insolvenzverfahren abgab, um noch im gleichen Jahr Präsident des spanischen Ligaverbandes LFP und Vizepräsident des spanischen Fußballverbandes zu werden - und das bis 2013 zu bleiben.

"Fuentes und Sociedad-Präsident seit den 80ern Freunde"

"Fuentes und Astiazaran", das müsse man zum Verständnis wissen, erklärt Arribas gegenüber SPOX, "kannten sich bereits lange und waren befreundet." Kennengelernt habe sich das Duo in den 80er Jahren, als Astiazaran das Radsportteam Orbea als Anwalt vertrat und Fuentes das Team als Arzt betreute.

"Jedem, der die Aussagen von Badiola auf sich wirken lässt, dürfte klar sein, dass Astiazaran mit Hilfe seines Freundes von 2001 bis 2005 Doping organisiert hat", bekräftigt der El Pais-Experte. Im selben Atemzug gibt er jedoch zu bedenken: "Es gab aber nie zugelassene Beweise, die Badiolas Aussagen unterstützten. Deshalb kam es nie zu einer juristischen Verfolgung Astiazarans. Deshalb gab es für die Liga zu keinem Zeitpunkt einen legalen Grund, geschweige denn eine Motivation, Astiazaran als Präsident abzusetzen."

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Zudem hielt sich das öffentliche Ärgernis in Grenzen. Auch, als der Fall im Zuge der Fuentes-Verhandlung nochmals publik wurde.

Mutmaßlicher Dopingchef wird LIGA-Präsident

In einem Schreiben dementierte Astiazaran, "während meiner Amtszeit irgendwelche Kenntnisse oder Verdächtigungen hinsichtlich der Durchführung illegaler Praktiken durch die medizinische Abteilung" gehabt zu haben. Woraufhin Badiola ihm klipp und klar vorwarf: "Astiazaran wusste es und hat es geduldet." In jedem "normalen Land", so Badiola, würde der Ligachef "sofort seines Amtes enthoben werden".

Jose Luis Astiazaran überstand zwei Amtszeiten unbeschadet. Die Veröffentlichungen um die Causa Fuentes beschleunigten allerdings seinen Entschluss, 2013 nicht nochmal zu kandidieren. "Hinzu kam, dass der Staatsekretär für Sport seinen Freund Javier Tebas als zukünftigen Ligapräsidenten bevorzugte", so Arribas.

Ein im Profifußball von Dopingvorwürfen umwehter Anwalt leitete also die Geschicke von La Liga zwischen 2005 und 2013, war zudem Vizepräsident des spanischen Verbandes. In einer Zeit, in der sich das Spieltempo des Sports um ein Vielfaches multipliziert und der spanische Fußball seine größten Erfolge gefeiert hat.

Sociedads Erfolg fand im Übrigen noch während Astiazarans Regentschaft ein Ende. Innerhalb der vier Jahre, in denen Fuentes die Vereinsärzte, die später im Jahr 2008 entlassen wurden, mutmaßlich mit Epo unterstützte, stieg der Klub in die Zweitklassigkeit ab. Kein Spieler, weder von Sociedad noch von einem anderen Klub, wurde in dieser Zeit jemals positiv getestet.

Grund genug, das spanische Testsystem wie es vor dem Teststopp im März 2016 existierte, genauer zu beleuchten und einen Vergleich zu den deutschen Standards zu ziehen (Lesen Sie weiter auf Seite 3).

Teil 3: Das deutsche Testsystem auf dem Prüfstand

Bevor die Tests in La Liga verschwanden, mussten potenzielle Betrüger im spanischen Fußball - vorsichtig formuliert - nicht gerade in Angst und Schrecken leben. Oder wie Dopingexperte Carlos Arribas es süffisant ausdrückt: "Vielleicht hat sich niemand über fehlende Tests beschwert, weil sie davor nicht der Rede wert waren."

Pro Spieltag wurden lediglich bei vier Matches je vier Spieler getestet. Im gesamten spanischen Profifußball versteht sich. Die Kontrolleure tauchten demnach pro Wochenende bei zwei Spielen der Primera und bei zwei Spielen der Segunda Division auf. Von maximal eingesetzten 588 Fußballprofis wurden also nur 16 Spieler via Urinprobe kontrolliert. Von Trainingskontrollen ganz zu schweigen.

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Seit die AEPSAD die Kontrollen 2015 übernommen hatte, wurde lediglich ein Spieler positiv getestet - Inigo Ros vom Zweitligisten SD Huesca. Das Verfahren wurde wenig später eingestellt. Zur zweijährigen Sperre kam es nie.

Dem spanischen Antidopingkampf im Fußball wird von Ligaseite quasi keine oder nur wenig Beachtung geschenkt. "Der aktuelle Ligapräsident Javier Tebas richtet seinen vollen Fokus auf Gewinnmaximierung der Liga. Ihm ist es dank guter Kontakte gelungen, die TV-Vermarktung zu reformieren und die Gelder für Liga und Klubs deutlich anzuheben", berichtet Arribas.

Liga-Präsident schweigt sich aus

Tebas hat sich bis zum heutigen Tag öffentlich nicht zu den fehlenden Kontrollen geäußert. "Doping und der Kampf dagegen spielt für ihn keine Rolle", so Arribas. Und da ihn öffentlich kaum jemand unter Druck setze, müsse er das auch nicht. Deutschland sei da weit voraus.

Aber stimmt das wirklich?

Laut offiziellem Jahresbericht 2015 der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) - 2016 ist noch nicht veröffentlicht - gab es in den deutschen Profiligen im gesamten Kalenderjahr 663 Dopingkontrollen nach Spielende, davon 71 Bluttests (Rest Urinproben). Hinzu kamen 484 (45 Bluttests) Trainingskontrollen. "Diese sind, wie alle NADA-Kontrollen, unangekündigt gewesen", heißt es von der Pressestelle der NADA auf SPOX-Nachfrage.

Erstaunlich: Laut des Jahresberichts wurde weder bei DFB-Lehrgängen der A-Nationalmannschaften noch der Juniorenteams im Training kontrolliert. Die deutschen Fußball-Nationalspieler durften also - im Gegensatz zu allen anderen Spitzensportlern in Deutschland - vor den Wettkämpfen in aller Ruhe trainieren. Lästige Tests, Fehlanzeige?

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Der DFB interveniert auf SPOX-Anfrage und erklärt: "Die NADA hat auch im Jahr 2015 umfassende Trainingskontrollmaßnahmen durchgeführt. Aufgrund der Übernahme der Wettkampfkontrollen durch die NADA zur Saison 2015/2016 kam es - laut NADA - jedoch im Jahresbericht zu einer anderen Darstellung der Kontrollmaßnahmen im Fußball."

Mit dieser Aussage konfrontiert, bestätigt die NADA die Richtigkeit des DFB-Statements. Gänzliche Transparenz sieht anders aus.

Jahresbericht: Keine Kontrollen beim DFB-Team

Die NADA erklärt den Umgang mit Trainingskontrollen so: "In der Anzahl und Häufigkeit der Kontrollen gibt es Unterschiede. Wir fokussieren dabei auf die Spitzenathleten, so dass Spieler der Nationalmannschaft häufiger kontrolliert werden als Spieler der Regionalliga."

Während in Spanien also momentan gar nicht getestet wird, verschiebt sich hierzulande die Fragestellung in die Richtung, ob deutsche Profifußballer genug im Training getestet werden.

Nach Spielen der ersten und zweiten Bundesliga jedenfalls werden je zwei Spieler aller Teams zum Test gebeten. 72 von bis zu 504 eingesetzten Bundesligaprofis werden pro Woche also nach Spielende getestet. Signifikant mehr als in der Primera Division vor der kompletten Einstellung vor einem Jahr.

Der Tabellen-Ausschnitt aus dem NADA-Jahresbericht 2015 zeigt zudem, dass in anderen deutschen Mannschaftssportarten weniger getestet wurde, deutsche Einzelsportler dagegen signifikant mehr getestet werden als Fußballer. Wenn man die Anzahl der Sportler in Relation setzt.

SportartProben aus TrainingskontrollenProben aus Wettkampfkontrollen
Fußball (DFB)0784
Fußball (Ligen)484663
Basketball11780
Handball175309
Eishockey458120
Radsport547606
Leichtathletik1857597

*Tabelle ist ein Ausschnitt aus dem Jahresbericht 2015 der NADA

Eine positive Probe gab es in der ersten und zweiten Liga im Jahr 2015 indes weder nach Spielen noch im Training. Anders sieht es in den beiden Ligen darunter aus. Bei drei Dopingtests wurden Spuren von Glucocorticoiden (Steroidhormone) nachgewiesen. Laut dem NADA-Bericht wurde anschließend einmal kein Dopingverstoß gemeldet, einmal wurde das Verfahren eingestellt. Ein dritter Fußballer konnte ein "TUE", eine medizinische Ausnahmegenehmigung, vorweisen.

Ungereimtheiten in Liga drei

Der DFB, der laut NADA für die Sanktionsverfahren zuständig ist, erklärt auf SPOX-Anfrage, dass "die drei Verfahren zweimal die Regionalliga und einmal die 3. Liga betrafen." Genauere Angaben, welchem Verein sie zuzuordnen sind, wieso die Verfahren eingestellt wurden oder welcher Spieler eine Ausnahmegenehmigung vorzuweisen hat, macht der DFB nicht. Die Diskussion um medizinische Ausnahmeregelungen sportartübergreifend ist jedenfalls keine neue.

Informationen oder gar Statistiken zu medizinischen Ausnahmeregelungen in den deutschen Profiligen gibt es nicht. Generell gibt es Diskussionen darüber, an welchem Punkt Doping anfängt. Wenn Schmerztabletten nur noch Mittel zum Zweck sind? Vor Wochenfrist hatte Eintracht Frankfurts Coach Niko Kovac ohne Bedenken der Öffentlichkeit mitgeteilt: "Ohne Schmerzmittel geht es gar nicht mehr im Fußball."

Die vielen begleitenden Maßnahmen können nach juristischer Sichtweise als Doping betrachtet werden. Im Urteil des obersten italienischen Gerichts zum Fall Juventus ist beispielsweise festgehalten, dass auch der Einsatz nichtsteroidaler Schmerzmittel als Doping zu betrachten ist. Sobald sie nicht mehr als Schmerzmittel eingesetzt werden, sondern als Mittel zum Zweck.

Schmerzmittel gehören bis in die Tiefen des Amateurfußballs quasi zum Alltag. Nicht neu ist, dass Spieler an den fließenden Grenzen zum Profifußball besonders anfällig für den Missbrauch leistungssteigernder Mittel sind, weil hier eben deutlich weniger getestet wird. Dort stößt die NADA an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen. Es bedarf keiner allzu großen Internetrecherche, um in Foren zu ersten Diskussionen über Dopinghandel in unteren Ligen zu gelangen.

Die NADA hat derweil alle Hände voll zu tun, den Spitzensportbereich ausreichend abzudecken. Flächendeckende Spielkontrollen, das zeigen die Zahlen etwa aus Eishockey und Basketball, sind momentan schwer darstellbar.

Im Sommer hat sich mit Adidas einer der Großsponsoren aus der Förderung zurückgezogen. Die 9,1 Millionen NADA-Jahres-Budget kommen zu zwei Dritteln vom Bund, nur etwas mehr als drei Prozent steuert die Wirtschaft bei, sieben Prozent fließen aus dem Sportgeschäft selbst.

DFL schweigt zur Unterstützung

Ob die DFL, die ja von den Tests im Spielbetrieb in erster Linie profitiert, sich an diesem Pott beteiligt, wollte sie gegenüber SPOX nicht erklären. Auch zu allen anderen Fragen verwies sie auf den DFB.

SPOX wollte für diesen Report mit den Gremien und Verbänden vor allem das Thema Langzeitlagerung der Dopingproben besprechen - der vielleicht wichtigste Aspekt für ein funktionierendes und abschreckendes System im Fußball. Die NADA hatte exklusiv berichtet: "In Bezug auf die Langzeitlagerung entscheiden wir, welche Proben von welchen Sportarten und Sportlern langzeitgelagert werden. Es werden nicht alle Proben aller Sportarten und Sportler in die Langzeitlagerung übergeben."

DFB spricht sich für Langzeitlagerungen in der Bundesliga aus

Was die Frage aufwirft, ob DFL und DFB nicht ein natürliches Interesse daran haben müssten, nicht zumindest alle Kontrollen in den Bundesligen Langzeit lagern zu lassen? Bei Nachtests von Proben der Medaillengewinner der olympischen Spiele 2008 und 2012 wurden in den vergangenen Jahren Dutzende Athleten nachträglich überführt.

Der DFB erklärt exklusiv gegenüber SPOX: "Wir sprechen uns für den Einsatz der Langzeitlagerung von Proben der Fußballerinnen und Fußballer durch die NADA aus. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der langfristigen Einlagerung mit dem Ziel, die Proben zu einem späteren Zeitpunkt systematisch und rechtssicher nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen erneut zu analysieren, greift der DFB auf die fachliche Beratung und Unterstützung der NADA zurück."

Würde eine flächendeckende Langzeitlagerung der Tests im deutschen Profifußball wirklich kommen, wäre Deutschland nicht nur Vorreiter, sondern würde ein großes Ausrufezeichen an mögliche Doper im deutschen Fußball senden.

Ein Zeichen, von dem die Spanier noch Lichtjahre entfernt sind. Und dennoch: Auch in Deutschland läuft längst nicht alles transparent ab, wie der Fall von Thiago Alcantara aufzeigt (Lesen Sie weiter auf Seite 4).

Teil 4: "Missed Tests" - Versteckspielen mit Thiago

Die Verantwortlichen der Premier League hatten es gerade erst gepackt. Der Skandal um den Frauenarzt Dr. Mark Bonar, der vergangenes Frühjahr hohe mediale Wellen schlug, war in Vergessenheit geraten. Dass Bonar, mit versteckter Kamera gefilmt, zugab, 150 britische Spitzenathleten, darunter auch Fußballer, gedopt zu haben, ist längst kein Thema mehr im Tagesgeschäft Fußball. Dabei war im Zuge der Berichterstattung sogar Meister Leicester City belastet worden.

Diese Saison hat die FA ein anderes Problem: Die Klubs halten sich nicht an die ohnehin laschen Regelungen zu den Aufenthaltsbestimmungen ihrer Profis. Pep Guardiolas Manchester City etwa nahm die Dokumentation in dieser Saison wiederholt nicht allzu ernst und wurde mit einer lächerlichen Strafe von 35.000 Pfund belegt.

Ähnliche Probleme hat mit Bournemouth eines der Überraschungsteams der diesjährigen Saison. Die FA bat den Verein, Stellung zu beziehen. Großes zu befürchten, hat der Verein allerdings nicht.

Pep Guardiolas positiver Dopingtest als Spieler in Brescia

Meldeverfehlungen! City und Bournemouth bestraft

Dabei müssen Fußballer wie Profisportler in allen anderen Sportarten exakt und penibel angeben, wo und wann sie sich an welchem Ort befinden, um jederzeit unangekündigt für Kontrollen abseits des Spielgeschehens zur Verfügung zu stehen.

Dopingexperte Thomas Kistner bekannte unlängst im SPOX-Interview, dass nach seinen Informationen Fußballprofis bei Kontrollen nicht immer auffindbar seien. Dabei handele es sich dann um sogenannte "No Shows".

Die NADA erklärt gegenüber SPOX zu diesem Thema: "Ein Meldepflicht- und Kontrollversäumnis betrifft den Athleten an sich. Erst drei Meldepflicht- und Kontrollversäumnisse innerhalb eines Jahres stellen einen Verstoß gegen Anti-Doping-Bestimmungen dar." Dann droht eine Sperre von bis zu zwei Jahren.

Im Fußball können Vereine jedoch erst sanktioniert werden, wenn drei Spieler dreimal nicht anzutreffen waren.

Thiago? Kennen wir nicht!

Vergangenes Jahr hatten Recherchen der ARD und des NDR ergeben, dass es auch beim FC Bayern Ungereimtheiten gegeben hat. Thiago Alcantara war demnach bei einer unangekündigten Kontrolle 2014 nicht auffindbar gewesen. Die NADA habe dem Bericht zufolge einen konkreten Doping-Verdacht gehegt und gezielt testen wollen. Gegenüber SPOX wollte die NADA nun diesen Verdacht weder bestätigen noch dementieren.

Auch zweieinhalb Jahre danach bleiben Fragen offen.

Weder an Münchner Wohnort, noch am Trainingsgelände der Bayern war der Spanier damals anzutreffen. Laut der ARD/NDR-Recherchen und eines Berichts der SüddeutschenZeitung von 2016 erhielten deutsche Kontrolleure, welche die NADA extra nach Barcelona entsendete, um in der für Thiagos damalige Knieverletzung zuständigen Klinik nach ihm zu suchen, vor Ort keine Information über den Aufenthaltsort des Spaniers. "Thiago? Kennen wir nicht."

Wo liegen die Zuständigkeiten?

Die NADA erklärt 2017 wiederholt: "Die damalige Prüfung ergab, dass kein schuldhaftes Meldepflichtversäumnis vorlag, weder seitens des Athleten noch seitens des Vereins."

Der DFB, der ja letztlich für das Ergebnismanagement und ein mögliches Verfahren zuständig wäre, stellte keine Fehler des Vereins bei der Meldepflicht fest.

Fest steht, Thiago wurde trotz des Wunsches der NADA nicht getestet - auch nicht in Spanien. In einer ersten Antwort der NADA auf SPOX-Anfrage bestritt die Agentur, dass ihr im Ausland die Rechtsgrundlage fehle, um gegen Bundesligaakteure vorzugehen. "Die NADA kann alle Athleten, die einem Testpool der NADA angehören, jederzeit und überall kontrollieren, auch im Ausland."

Insider behaupteten im Zuge des Falles allerdings, dass Thiago für sein Nichtantreffen gar keinen "Missed Test" hätte erhalten können, selbst wenn der DFB gewollt hätte.

Verstricktes Kontrollsystem

Um eine möglichst hohe Transparenz zu erzeugen, dröselt die NADA das durchaus verstrickte Kontrollsystem nochmals auf. Demnach muss zwischen deutschen Nationalspielern und allen anderen Fußballspielern unterschieden werden. "Alle deutschen Nationalspieler sind an ADAMS angeschlossen und müssen ihre Aufenthaltsdaten dort eintragen. Alle anderen Spieler - auch die ausländischen Spieler in den Bundesligen - befinden sich im sogenannten Team-Testpool und unterliegen den sogenannten Teamabmeldungen", erklärt die NADA für diesen Report.

Putin will Anti-Doping-System reformieren

Die NADA, mit dem konkreten Fall Thiago konfrontiert, betont, dass sie alle sich in einem Testpool befindenden Athleten jederzeit außerhalb des Wettkampfes kontrollieren könne. "Da die NADA auch über Kontrolleure im Ausland verfügt, wird bei jeder Planung einer Kontrolle geprüft, ob wir eine ausländische NADO beauftragen oder eigene Kontrolleure nutzen. Im Fußball betrifft dies zum Beispiel die Zeiten der Trainingslager."

Weiter betont die Agentur: "Die Athleten unterliegen deshalb mehreren Kontrollsystemen, so das kumulativ kontrolliert wird. Nicht nur die NADA kontrolliert, sondern auch die UEFA und die FIFA. Zudem werden ausländische Spieler der Bundesliga. auch noch von der NADO aus ihrem Heimatland kontrolliert.

Wer darf wen testen?

GremiumDeutscher Nationalspieler in deutscher LigaSpanischer Nationalspieler in spanischer LigaDeutscher Nationalspieler in spanischer LigaSpanischer Nationalspieler in deutscher Liga
NADAX XX
AEPSAD XXX
UEFAXXXX
FIFAXXXX

Wie das mit Thiago 2014 ganz genau war, darauf ging die NADA gegenüber SPOX nicht mehr ein. Fest steht aus NADA-Sicht: "Treffen wir einen Athleten nicht zur Kontrolle an, gilt dies nicht gleich als "Missed Test". Wir prüfen dies sehr genau." Dies sei auch im konkreten Fall geschehen.

Verein und Spieler können schweigen - AEPSAD gefordert

Verein und Spieler haben sich bis heute nie zu dem Vorfall geäußert. Mussten sie auch nicht. Die NADA erklärte schon damals: Der FC Bayern habe - wie im Fußball und Eishockey üblich - die Abwesenheit Thiagos in München mitgeteilt. Dass der Spieler dann im Krankenhaus von den Kontrolleuren nicht anzutreffen war, sei ihm nicht anzulasten, hieß es bei der NADA.

Außerdem gehöre er als Spanier nicht dem Nationalen Testpool (NTB) an. Daher sei "bei einer Trainingskontrolle der NADA folglich kein schuldhafter individueller Meldepflichtverstoß eines Spielers möglich", hieß es damals in einer DFB-Stellungnahme.

Die AEPSAD, die den Meldepflichtverstoß hätte feststellen können, war damals aber nicht involviert. Weil kein Interesse bestand? Oder weil sie dazu nicht in der Lage war? Oder schlimmer: Die NADA nicht mit so viel Gegenwehr in Spanien gerechnet hat?

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Klar wird: Es gibt in diesem durchaus komplizierten Konstrukt wohl Schlupflöcher für Spieler, um (unabhängig von Absicht oder nicht) nicht getestet zu werden.

Nicht nur, aber vor allem die spanische Anti-Doping-Agentur steht im Fußball in der Bringschuld. In einem ersten Schritt, damit überhaupt ein einigermaßen transparentes Testsystem in der Primera Division implementiert wird.

Viel länger, zu dieser Annahme wird kein Prophet benötigt, wird es nach den Verfehlungen dauern, bis spanische Sportler ansatzweise die Kontrollen ihrer ausländischen Mitspieler und Kontrahenten unterzogen werden. So lange aber nicht alle Parteien ein Interesse an lückenloser Aufklärung und einem konsequenten Anti-Doping-Kampf haben, wird das schwer.