Und Rummenigge, nur bedingt fasziniert vom Hoffenheimer 3:0-Offensivfeuerwerk, sagte: "Da sieht man mal wieder, was man mit einigen Millionen alles anstellen kann." Da war es wieder. Das alte Vorurteil vom provinziellen Bonzenverein, der sich dank eines 68-jährigen Dukatenesels mit IT-Kenntnissen einen vorderen Platz in der Bundesliga quasi erkauft hätte.
Doch was immer man Hoffenheim vorwerfen mag: Auf Geld lässt sich das Phänomen "1899" nicht reduzieren. Die Partie gegen den HSV als Beleg dieser These.
Transfer-Riecher
Selbstredend stand mit Carlos Eduardo ein 8-Millionen-Euro-Mann in der Startelf, der bereits als der nächste Ronaldinho gilt. Und auch um Chinedu Obasi, gegen Hamburg mit zwei Treffern die herausragende Figur, rangelten sich einige europäische Topklubs, bevor 1899 den Zuschlag erhielt.
Diese zwei außen vor, gleicht Hoffenheims Mannschaft jedoch eher Rudis Reste-Rampe als einer exquisiten Modeboutique.
2005 und 2006 etwa verpflichteten die Kraichgauer, damals noch Drittligist, mit Torwart Daniel Haas, Mittelfeldspieler Sejad Salihovic und Innenverteidiger Matthias Jaissle drei bis dato wenig geläufige Talente.
Haas wurde in Hannover weggeschickt, Salihovic galt bei der Hertha als zu trainingsfaul, Jaissle sah in Stuttgart keine Perspektive. Gegen Hamburg standen sie in der Anfangsformation.
Truppe aus Nobodies
Oder der Sommer 2007: Neben Carlos Eduardo und Obasi wechselten mit Vedad Ibisevic, Demba Ba, Andreas Ibertsberger, Luiz Gustavo, Marvin Compper, Tobias Weis, Per Nilsson und Isaac Vorsah weitere acht Spieler nach Hoffenheim, die aktuell zum erweiterten Stamm zählen.
Die Geschichte hinter den Namen: Ibisevic, Ba, Gustavo, Nilsson, Vorsah: Nobodies, verpflichtet aus Aachen, Belgien, Brasilien, Norwegen sowie Ghana. Ibertsberger, bei Zweitligist Freiburg nur Ersatz. Compper, in Mönchengladbach aussortiert. Weis, beim VfB Stuttgart ohne Zukunft.
Überragendes Scouting
Eduardo und Obasi abgezogen, kostete die Startelf Hoffenheims gegen Hamburg weniger als zehn Millionen Euro Ablöse. Oder anders formuliert: "Da sieht man mal wieder, was man mit zehn Millionen alles anstellen kann."
Vielleicht sogar den Sturm auf den ganz großen Coup? Beim Wettanbieter bwin gibt es seit Sonntag auch eine Wette auf Hoffenheim als kommenden Meister. Für zehn Euro Einsatz gibt es lediglich sechs Euro zurück. Damit liegt die TSG hinter den Bayern (Quote 2,2) auf Rang zwei - noch vor dem HSV (Quote 8,0), Schalke (8,5) oder Werder Bremen (12,0).
Und egal, wie polemisch Hoffenheim auch heute noch kritisiert wird, eines ist offensichtlich: 1899 steht nicht nur an der Tabellenspitze, weil es finanziell gut situiert ist. 1899 steht auch vorne, weil der Verein offenbar besser arbeitet als seine Konkurrenten.
Jeder andere Bundesligist hätte mit guter Sichtungsarbeit einen Ba entdecken können. Jeder andere Bundesligist hätte sich für wenig Geld einen Compper oder Salihovic angeln können.
"Der Trainer und der Manager scouten einfach sehr gezielt. Sie suchen nicht nach Spielern, die gerade in den Schlagzeilen sind oder viel kosten. Sie suchen ganz gezielt nach Spielern, die in das Gesamtkonzept passen", erklärte Compper, mittlerweile im Dunstkreis der deutschen Nationalmannschaft, im Sommer gegenüber SPOX.
Durch die Lappen
Der Trainer heißt Ralf Rangnick und ist selbst einer dieser Missverstandenen. Nach der Entlassung beim FC Schalke war der als Fußball-Professor belächelte Rangnick über ein halbes Jahr arbeitslos, bevor er beim damaligen Drittligisten anheuerte.
Der zweite Architekt des Erfolgsmodells Hoffenheim, Manager Jan Schindelmeiser, wartete nach einem privaten Schicksalsschlag (seine Frau verstarb) über ein Jahr auf eine Anstellung, bevor der Ex-Augsburger bei der TSG anfing. Auch diese beiden gingen den anderen Bundesligisten durch die Lappen.
"Da sieht man mal wieder, was man mit Weitsicht alles anstellen kann."
Es geht um die Basics
Zumal in der Diskussion um das Für und Wider Hoffenheims ein Faktor bislang wenig thematisiert wird: 1899 ist keine Übermannschaft. 1899 hat Schwächen in der Tempokontrolle und im Abwehrverhalten. 1899 agiert wankelmütig. Aber: 1899 ist ein Team, das die Basics besser umsetzt als andere Mannschaften.
Selbstverständlich können die Eduardos dieser Welt vorzüglich dribbeln. Doch das wahre Erfolgsgeheimnis ist ein anderes: Die Mannschaft setzt die grundlegenden Tugenden des modernen Fußballs - Stichwort Pressing - derzeit am besten um.
Produkt harter Arbeit
Beim 1:0 gegen den HSV konnte Eduardo nur Torschütze Obasi bedienen, weil zuvor hervorragend am rechten Flügel nachgerückt wurde. Ein Großteil des 2:0 gebührte Obasi, weil der Stürmer an der Mittellinie im Stile eines Gattuso per Tackling gegen David Jarolim nachsetzte und so den Angriff einleitete.
Und vor dem 3:0 war Eduardo geistig beweglicher als alle Hamburger zusammen, indem er einen Freistoß schnell ausführte.
Nachrücken, grätschen, mitdenken - und im Sommer ein Schnäppchen nach dem anderen aufstöbern: Alles kein Zauberwerk, sondern das Produkt harter Arbeit.
Oder eben: "Da sieht man mal wieder, was man mit einer Vision alles anstellen kann." Vielleicht nehmen sich andere Vereine daran ein Beispiel.
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