"Meyer hat es sich sehr leicht gemacht"

Jochen Tittmar
12. Januar 200900:01
Sind auf die Borussia nicht gut zu sprechen: Alexander Voigt (3. v. l.) und Sascha Rösler (2. v. r.)Imago
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Borussia Mönchengladbach steht in der Bundesliga als Tabellenletzter mit dem Rücken zur Wand. Der Aufsteiger tauschte seit Saisonbeginn die gesamte sportliche Leitung aus - ohne nennenswerten Ertrag. Im Interview sprechen die aussortierten Sascha Rösler und Alexander Voigt über die Gründe der Gladbacher Talfahrt und attackieren Trainer Hans Meyer scharf.

Tabellenplatz 18, Trainer und Sportdirektor entlassen, dafür in der Winterpause schon viermal auf dem Transfermarkt zugeschlagen: Seit dem Wiederaufstieg läuft es für Borussia Mönchengladbach gar nicht mehr rund.

Trainer Hans Meyer sortiert deshalb weiter kräftig aus. Unter anderem Sascha Rösler und Alexander Voigt. Die beiden Routiniers sprechen im SPOX-Interview über die Umstände ihrer Suspendierung, Gladbachs größte Fehler und ihr gestörtes Verhältnis zu Hans Meyer.

SPOX: Sie haben unfreiwillig verlängerten Urlaub bekommen. So sehr haben sie sich darüber sicherlich noch nie geärgert...

Alexander Voigt: Das ist sicherlich nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ich habe allerdings jetzt wieder mit der Gruppe von Spielern, die nicht mehr im Kader sind, angefangen zu trainieren. Ich will mich einfach fit halten, weil ja doch jeden Tag etwas passieren kann.

Sascha Rösler: Mein Ärger hat sich mittlerweile wieder etwas gelegt. Der Frust war am Anfang schon groß. Man muss das aber abhaken, weil es einen sonst kaputt macht.

SPOX: Wann haben sie von ihrer Suspendierung erfahren?

Voigt: Das war nach meinem letzten Einsatz gegen Cottbus (15. Spieltag, 1:3-Heimniederlage, Anm. d. Red.). Nach diesem Spiel saß ich nur noch auf der Tribüne und habe meinen Berater beauftragt, beim Sportdirektor nachzufragen, ob ich mir einen neuen Verein suchen soll. Das ist dann mit "Ja" beantwortet worden. Der Trainer hat dann auch noch mal mit mir gesprochen.

Rösler: Nach dem Frankfurt-Spiel (11. Spieltag, 1:2-Heimniederlage, Anm. d. Red.) hat mein Berater von Max Eberl einen Anruf bekommen, dass man sich zusammensetzt, um eine Lösung für den Winter zu finden. Da war ich ganz schön überrascht. Hans Meyer war gerade mal eine Woche da und hat noch gesagt, dass er sich das bis zum Winter anschaut und jeder seine Chance bekommen wird.

SPOX: Haben sie damit gerechnet, gab es dafür Anzeichen?

Voigt: Davor gab es keine Anzeichen. Oder aber ich habe sie nicht mitgekriegt. Aber ich bin ja eigentlich lange genug dabei, um so etwas einschätzen zu können. Diese Signale, die dann jedoch ausgesendet wurden, waren schon eindeutig.

Rösler: Man wusste ja bei der Verpflichtung von Meyer, wie er bei anderen Vereinen agiert hat. Da war es überall so, dass relativ schnell Spieler rasiert wurden. Dass dies dann eine Woche nach seiner Ankunft so grundlos geschieht, war schon sehr enttäuschend.

SPOX: Welche Gründe wurden genannt? Können Sie die Entscheidung nachvollziehen?

Voigt: Konkrete Gründe wurden nicht genannt. Ich weiß es selbst nicht. Der Trainer hat sich aber dabei wahrscheinlich etwas gedacht. Er hat es versucht zu erklären... Aber naja, er sieht eben andere Leute auf dieser Position.

Rösler: Ich kann es mir auch nicht erklären. Meyer hat keine Gründe genannt. Er hat einen Zettel dabei gehabt, auf dem angeblich meine bisherige Statistik im aktiven Fußball stand. Er meinte, ich wäre ein sehr guter Zweitligaspieler. In Gladbach traute er mir nicht zu, eine tragende Rolle zu übernehmen.

SPOX: Hegen sie einen Groll gegenüber den Verantwortlichen der Borussia?

Voigt: Nein. Das ist das Fußballgeschäft. Ich hätte aber sehr gerne dort weiter gespielt, weil ich mich in der Mannschaft und im Klub wohl gefühlt habe.

Rösler: Dass ich auf Hans Meyer nicht wirklich gut zu sprechen bin und ihm natürlich nicht alles Gute für das weitere sportliche Leben wünsche, ist ganz normal. Eberl und Korell haben sich entschieden, Meyer zu holen. Das ist eine Entscheidung, die man so nicht nachvollziehen konnte, da Gladbach nun wieder den Weg der Jahre zuvor geht. Im Moment erscheint das ziemlich chaotisch.

SPOX: Vor der Saison baute man auf den ausgeglichenen Aufstiegskader, mittlerweile sind viele Aufstiegshelden nicht mehr dabei, der Kader wurde mit unerfahrenen Youngstern aufgefrischt und nun kamen vier Neuzugänge. Welche Erklärung haben Sie, dass sich die Philosophie eines Vereins in so kurzer Zeit so grundlegend ändert?

Voigt: Ich glaube, dass der größte Fehler schon am Anfang der Saison gemacht worden ist. Ich finde, wir hatten eine funktionierende Gruppe, eine funktionierende Hierarchie, die ohne Not auseinander gerissen wurde. Da hat das schon angefangen.

Rösler: Die Erklärung ist, dass Meyer wirklich alles über den Haufen geschmissen hat. Ziege und Luhukay sind vor einanhalb Jahren mit der Vorgabe angetreten, Kontinuität in den Verein zu bringen und ihn aus den Negativschlagzeilen heraus zu halten. Das ist in den ersten eineinhalb Jahren hervorragend gelungen. Vor der Saison hat man den Kader in der Breite verstärkt. Als die Ergebnisse ausblieben, kam Unruhe auf. Man hat die Nerven verloren und Luhukay relativ schnell entlassen. Mit Meyer hat man einen Mann geholt, der in diese Philosophie gar nicht hinein passt. Aber das wussten die Leute, die ihn geholt haben, schon vorher.

SPOX: Hat das nur mit schlechten Resultaten zu tun oder hat man Fehler eingestehen müssen, die zu Saisonbeginn noch nicht offensichtlich waren?

Voigt: Ich glaube schon. Der wichtigste Punkt ist: Wir waren eine wirklich funktionierende Mannschaft, die punktuell hätte verstärkt werden müssen. Das Gros der Mannschaft hätte aber erstmal zusammen bleiben müssen. Da war ja ein Rotieren wie bei einer Champions-League-Mannschaft. Ich weiß nicht, ob das alles so richtig war. Da wird natürlich durch die jetzigen Einkäufe versucht, das wieder zu reparieren.

Rösler: Schwer zu sagen. Die Leute, die am Anfang der Saison das Sagen hatten, sind schnell weg gewesen. Luhukay war weg, Ziege wurde - warum auch immer - zum Co-Trainer umfunktioniert und Eberl und Korell haben die Leitung übernommen. Das war kurios genug.

SPOX: Ist der Kader für die Bundesliga schlicht zu schlecht besetzt?

Voigt: Man kann unheimlich viel über den Teamgeist machen, wenn man nicht die Qualität wie andere Mannschaften hat. Besonders als Aufsteiger. Aber wenn das in Frage gestellt und auseinander gerissen wird, dann macht sich jeder Einzelne natürlich seine Gedanken und denkt nur über sich selbst nach. Mal spiel' ich wieder, mal fliege ich aus dem Kader. Dann kocht jeder sein eigenes Süppchen. Das war der größte Fehler.

Rösler: Am Anfang der Saison sicherlich nicht. Meyer hat es sich ja auch einfach gemacht. Er ist hingestanden und hat gesagt, die Mannschaft ist zu schlecht und deshalb funktioniert es nicht. Aber wenn ich sehe, was Rangnick mit Spielern, die vorher noch nie in Erscheinung getreten sind, aus Hoffenheim macht, dann hätte man das bei uns auch etwas entwickeln können. Leider ist Meyer einen anderen Weg gegangen.

SPOX: Dass in Gladbach der Präsident vieles alleine entscheidet, ist im Grunde einzigartig in der Bundesliga. Es hat den Anschein, dass vor allem die diversen Sportdirektoren als mediales Polster dienen, damit sich Rolf Königs im Hintergrund versteckt halten kann und nicht in die Schusslinie gerät. Können Sie diesen Gedanken nachvollziehen?

Voigt: Den Gedanken kann ich absolut nachvollziehen. Nur kann ich dazu relativ wenig sagen, weil ich nicht weiß, wie das in der Führungsetage abläuft und wer da entscheidet. Tatsache ist, dass der Präsident schon ewig lange da ist und sehr viele Leute überlebt hat. Mehr kann man dazu eigentlich nicht sagen.

Rösler: Wenn es so wäre, dann wäre es wirklich schlimm. Rolf Königs ist wirtschaftlich zwar sehr erfolgreich, hat aber vom Fußball wenig Ahnung. Er hat in Gladbach eine große Macht. Leute, die andernorts einen Aufsichtsrat bilden, gibt es in Gladbach eigentlich nicht. Königs ist sehr wenig vor Ort. Er kennt teilweise nicht mal die Namen der Spieler.

SPOX: Unter Königs wurden sechs Trainer, vier Sportdirektoren und 65 Spieler verschlissen. Was fehlt zur Kontinuität?

Voigt: Ich finde, dass dieser Verein dringend Konstanz und Kontinuität braucht. Nicht nur auf dem Präsidentenposten, sondern auf allen wichtigen Positionen drum herum. Ich sag nur Eintracht Frankfurt: Friedhelm Funkel ist dort schon so lange Trainer, der hat schon so unter Druck gestanden und er hat es trotzdem immer geschafft, weil alle ruhig geblieben sind. So etwas würde der Borussia auch gut tun.

Rösler: Man bräuchte im Management Leute, die mit der Mannschaft und dem Trainer Geduld haben. Wenn man aber nach sieben, acht Spieltagen den Trainer feuert und die halbe Mannschaft austauscht, dann wird es schwer. Wenn es in der Rückrunde nicht läuft, werden Meyer und Eberl wohl auch wieder weg sein. Dann ist die Frage, inwieweit ein Präsident auch mal in die Kritik kommt.

SPOX: Auch in dieser Saison wurden Trainer, Co-Trainer und Sportdirektor ausgetauscht und in kürzester Zeit ein kompletter Strukturwechsel vollzogen. Wurde überstürzt gehandelt? Der Meyer-Effekt, so es ihn überhaupt gab, ist ja längst verpufft...

Voigt: Man kann nicht pauschal sagen, wann ein Trainerwechsel richtig ist. Das kann gut gehen oder auch nicht. Bochum hält auch am Trainer fest und die stehen nur einen Platz über uns.

Rösler: Das war auf jeden Fall zu schnell. Vielleicht hat man es Luhukay auch nicht zugetraut, weil er in der ersten Liga nicht allzu viel Erfahrung hat. Es ist sehr schade, denn Luhukay war schon ein sehr, sehr guter Trainer für den Verein. Vielleicht wollte der Verein auch eher einen Trainer, der etwas darstellt, der auch mal die großen Sprüche raus haut. Die Meyer-Verpflichtung hat nicht viel gebracht, weil er nach den ganzen Suspendierungen Leistung mit Angst erzwingen wollte. Das verunsichert die Mannschaft und ist nicht leistungsfördernd.

SPOX: Meyer beklagte oft die fehlende Erfahrung mancher Spieler. Im Gegenzug wurden Leute wie Sie aussortiert. Wie passt das zusammen?

Voigt: Das kann ich nicht nachvollziehen. In so einer Situation sind natürlich erfahrene Spieler gefragt. Doch die, die da waren, durften nicht oder zu wenig helfen.

Rösler: Da gibt es vieles, was nicht zusammen passt. Meyer legt sich vieles so hin, wie er es braucht. Gegen Wolfsburg hat er unseren dritten Torwart Frederic Löhe reingeschmissen. Danach hat er gesagt, die anderen haben ihn schlecht beraten. Wenn es funktioniert hätte, hätte er sich hingestellt und sich feiern lassen. Das macht er schon clever. Bei Eberl war es das gleiche. Er hat in einem Interview gesagt, dass wir "Typen" brauchen. Im Gegenzug schmeißt er Alex und mich raus. Darauf kann ich mir keinen Reim machen.

SPOX: Wie kam die Kritik an der Zusammenstellung der Mannschaft und an einzelnen Spielern an? Meyer spielt dies ja immer wieder herunter, aber motiviert scheint es das Team nicht zu haben...

Voigt: Wenn man so etwas jeden Tag liest, ist es natürlich nicht so schön. Es ist wohl seine Art. Er ist ja auch ein ganz eigener Typ.

Rösler: Das ist ja klar. So etwas verunsichert natürlich die Mannschaft. Wir haben fast jedes Spiel mit einer anderen Mannschaft gespielt. So findet sich kein Team. Das ist schlecht fürs Selbstvertrauen.

SPOX: Sportdirektor Christian Ziege verglich im Sommer den Teamgeist der Mannschaft mit dem der Europameister von 1996. Stimmt nach den vielen Personalentscheidungen und -wechseln die Chemie innerhalb des Teams immer noch?

Voigt: Grundsätzlich schon. Doch nach vielen Veränderungen dauert der Findungsprozess eben wieder länger. Ich bin der festen Überzeugung, wenn man weiter an uns und unseren Teamgeist geglaubt hätte, dann stünden wir besser da als jetzt.

Rösler: Der Teamgeist ist schon noch da, es gibt viele positive Typen. Aber mit lauter Negativerlebnissen wird es natürlich immer schwer.

SPOX: Was erwarten Sie von Gladbach in der Rückrunde?

Voigt: Schlechter kann es ja nicht mehr werden. Sie haben sich ganz ordentlich verstärkt. Ob die Neuen mit dem Druck klar kommen, weiß man nicht. Borussia wird bis zum Ende ganz unten drin hängen, sich aber retten können.

Rösler: Der Start wird entscheidend sein, das Auftaktprogramm ist schwer. Wenn der nicht gelingt, dann wird es schnell hoffnungslos.

Borussia Mönchengladbach in der Winterpause