SPOX: Herr Tarnat, der Abwärtstrend wurde mit einem Sieg gegen Schalke erstmal gestoppt. Woran lag es denn, dass Hannover so eine enttäuschende Hinrunde gespielt hat?
Tarnat: Spieler wie Robert Enke, Altin Lala oder auch ich, die in der Hierarchie der Mannschaft weit oben stehen, waren lange verletzt. Da entsteht innerhalb des Teams natürlich ein Vakuum. Jeder Spieler versucht dann, eine Treppe höher zu steigen. Aber das wurde von den Mitspielern so nicht immer akzeptiert. Dadurch sind wir dann schnell in ein Fahrwasser geraten, in das eigentlich keiner wollte.
SPOX: Aber die Verletzungen alleine können es doch nicht gewesen sein. Man hatte von außen teilweise den Eindruck, dass in der Mannschaft das reinste Chaos herrschte.
Tarnat: Als ich 2004 nach Hannover gewechselt bin, habe ich auch bemängelt, dass ziemlich viel Unruhe im Umfeld des Vereins herrscht. Aber seit der Amtsübernahme von Christian Hochstätter hatte sich das eigentlich gelegt.
SPOX: Hochstätter ist aber nicht mehr Sportdirektor in Hannover...
Tarnat: Als er auf einmal von sich aus gesagt hat, dass er das Vertrauen des Vorstandes nicht mehr hat und seinen Vertrag auflösen möchte, kam das schon überraschend. Nach außen wirkt das natürlich so, als ob bei Hannover 96 nie Ruhe reinkommt. Aber wichtig ist und bleibt, dass wir auf dem Platz Erfolg haben.
SPOX: Hannover will seit Jahren in den internationalen Wettbewerb. Warum hat das noch nicht geklappt?
Tarnat: Man darf nicht vergessen: Wir sind erst seit sechs Jahren in der Liga. Dafür haben wir schon erstaunlich viel geleistet. Als ich gekommen bin, war es eine Sensation, dass wir nicht abgestiegen sind. Jetzt müssen wir von dem 40-Punkte-Denken wegkommen und in zwei, drei Jahren auch am internationalen Geschäft anklopfen. Dieses Ziel muss Hannover 96 haben.
SPOX: Sie sind mittlerweile seit fast zwanzig Jahren Profi. Wie hat sich die Bundesliga seit ihrem Debüt 1990 für Duisburg verändert?
Tarnat: Als ich angefangen habe, war ein Zeitungsreporter vor Ort und am Ende der Woche verirrte sich maximal noch ein Mann vom Radio zu uns aufs Trainingsgelände. Heute ist es selbst in Hannover so, dass allein aus der Stadt drei verschiedene Zeitungen berichten, dazu Radio und Fernsehen - und das täglich!
SPOX: Stört sie das?
Tarnat: Man hat das Gefühl, dass das Ganze mehr Show ist als Fußball. Wenn man die jungen Spieler sieht, glaubt man manchmal, dass denen ihr Aussehen auf dem Platz wichtiger ist als ihre Leistung. So etwas gab es früher nicht.
SPOX: Ein bisschen Wehmut also nach der "guten alten Zeit"?
Tarnat: Ich bin eigentlich nicht der Typ, der zurückschaut und sagt, dass früher alles besser war. Ich glaube, dass die junge Generation eben ein bisschen egoistischer denkt als wir.
SPOX: Woran merkt man das?
Tarnat: Früher saß man im Trainingslager mit der kompletten Mannschaft zusammen und hat ein Bier getrunken und sich nicht nur über Fußball unterhalten. Heute gibt es drei Spieler, die spielen Playstation, einer sitzt am Laptop. Wir haben sechs oder sieben ältere Leute, die auf eine gewisse Kameradschaft Wert legen. Und dann gibt es die jungen Spieler, die sagen, dass sie das einfach nicht mehr brauchen.
SPOX: Es gibt also eine Art Generationenkonflikt innerhalb des Teams?
Tarnat: Das nicht unbedingt. Die privaten Interessen gehen eben auseinander. Warum das so ist, habe ich mich natürlich auch gefragt. Aber anscheinend ticken Fußballer heute eben anders als früher.
SPOX: Junge Spieler können aber auch von dieser neuen Situation profitieren, wenn sie sich ordentlich vermarkten.
Tarnat: Früher musste man ein Jahr gute Leistung bringen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Heute hat man das Gefühl, dass jemand, der im Spiel dreimal den Ball hoch hält, schon ein Superstar ist. Ich musste zum Beispiel damals sehr lange konstant gut spielen, um überhaupt ein Thema für die Nationalmannschaft zu werden. Wenn man heute drei oder vier gute Spiele macht, versuchen die Medien sofort, einen Spieler in die Nationalmannschaft zu schreiben. Für die jungen Spieler ist das nicht einfach.
SPOX: Als ältester Spieler der Liga müssen Sie das beurteilen können. Was sagt eigentlich Ihre Frau dazu, dass Sie Ihren Vertrag noch mal verlängern wollen?
Tarnat: Meine Frau spricht schon gar nicht mehr mit mir darüber. Sie hat mich ja in den letzten zehn Monaten auch erlebt, als ich nicht Fußball gespielt habe. Ich war in der Zeit schon ein kleines Ekel. Darum glaube ich nicht, dass sie etwas gegen eine Vertragsverlängerung hätte.
SPOX: Uli Hoeneß sicherte Ihnen ja bereits vor Jahren einen Posten als Bayern-Scout zu. Hoeneß hängt seinen Job voraussichtlich an den Nagel. Was ist, wenn man sich in München plötzlich nicht mehr an Sie erinnern kann?
Tarnat: Ich glaube schon, dass sich München gut an mich erinnert (lacht). Uli Hoeneß hat mir erst neulich wieder bestätigt, dass die Tür bei den Bayern jederzeit offen steht. Das ist auch eine Anerkennung dafür, dass ich dort sechs Jahre gespielt und nicht viel verkehrt gemacht habe. Wenn ich in München bin, schaue ich auch an der Säbener Straße vorbei und besuche die Leute dort. Für mich ist Bayern einfach der Traumverein meiner Karriere.
SPOX: Was ist eigentlich an der Geschichte dran, dass Sie seit Jahren wie ein Verrückter die Trikots ihrer Gegenspieler sammeln?
Tarnat: Eigentlich mache ich das nur im Auftrag meines Sohnes. Der sagt mir vor einem Spiel, welches Trikot er gern hätte und ich versuche dann, das auch zu bekommen. Momentan ist er aber auf dem Trip, Torwart-Handschuhe zu sammeln. Also darf ich jetzt meistens zu den gegnerischen Torhütern gehen. Robert Enke musste aber auch schon öfter mal ein Paar abdrücken.
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