Nur zwei Bundesligapartien brauchte Kevin-Prince Boateng, um es nach seinem Wechsel von Tottenham nach Dortmund bundesweit in die Schlagzeilen zu schaffen.
Ein Tritt des BVB-Neuzugangs gegen Bayerns Miroslav Klose, ob absichtlich oder ungewollt, war nach der Partie der Borussia beim Rekordmeister Anfang Februar das Thema schlechthin.
Klose rechnete vor laufender Kamera mit dem 21-Jährigen ab, Franz Beckenbauer echauffierte sich bei Premiere, und Jürgen Klopp giftete postwendend on air zurück.
Nur noch einer von vielen
Nuri Sahin sagte nichts. Gewundert hat sich darüber niemand, denn der 20-Jährige ist ohnehin keiner, der sich gerne öffentlich äußert. Gestört hat es allerdings auch niemanden, denn Sahins Meinung war damals in Dortmund nicht wirklich maßgebend. Er war beim BVB nur einer von vielen. Mittlerweile.
Gut dreieinhalb Jahre zuvor war das noch anders. Damals beherrschte Sahin die Schlagzeilen. Nicht nur bundesweit, sondern rund um den Fußball-Globus. Bei der U-17-EM in Italien wurde der junge Türke zum besten Spieler des Turniers gewählt und von Arsenal-Coach Arsene Wenger geadelt.
"Sahin ist momentan das weltweit größte Talent unter 18 Jahren", sagte der Franzose, der der Borussia denn gleich ein Angebot für den Mittelfeldspieler unterbreitete. Der BVB lehnte allerdings ab und wies auch das Interesse von Chelsea, Manchester United und Galatasaray Istanbul zurück.
"Nuri Sahin ist Gold wert. Er ist die Lebensversicherung für die Borussia", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Der Youngster war der neue große Hoffnungsträger der Schwarz-Gelben.
Von der B-Jugend zu den Profis
"Er ist zwar erst 16, aber er spielt schon wie ein 24-Jähriger", befand im Sommer 2005 der damalige Borussen-Coach Bert van Marwijk und beförderte ihn deshalb von der B-Jugend direkt zu den Profis.
Fortan brach Sahin sämtliche Rekorde: Jüngster Bundesligaspieler aller Zeiten, jüngster Bundesligatorschütze, jüngster türkischer A-Nationalspieler und natürlich gelang ihm auch als jüngstem Akteur überhaupt ein Treffer im Nationaltrikot der Türkei. Dass er den gegen Deutschland, wo Sahin geboren wurde und aufwuchs, erzielte, war quasi das i-Tüpfelchen.
Von Thomas Doll ausgemustert
Eine Weltkarriere nimmt seinen Lauf - dachten alle. Doch der steile Aufstieg geriet ins Stocken. In seiner zweiten Saison konnte der Türke nur selten seine überragenden Fähigkeiten zeigen. Hinzu kam, dass die Borussia seinen Förderer van Marwijk Ende 2006 entließ.
Bei Jürgen Röber und später Thomas Doll, van Marwijks Nachfolgern beim BVB, stand Sahin nicht mehr so hoch im Kurs.
Beklagen mochte sich Sahin darüber nicht, er wollte kämpfen. Was ihm vorher mehr oder weniger zugeflogen war, wollte er sich nun hart erarbeiten. Nur war er körperlich dazu nicht in der Lage.
"Ich tat mich sehr schwer mit der Regeneration. Manchmal war ich schon nach 40 Minuten platt", sagte Sahin. Ein Grund, warum ihm Doll im Sommer 2007 mitteilte, dass er nicht mehr mit ihm plane. Der einstige Überflieger war plötzlich überflüssig.
Flucht nach Rotterdam
Sahin flüchtete nach Rotterdam. Bei Feyenoord traf er erneut auf van Marwijk. Er zählte wieder zum Stammpersonal (29 Spiele/6 Tore), überzeugte fast immer, glänzte bisweilen sogar wie zu besten Zeiten und holte mit dem Pokalsieg seinen ersten Titel.
Sahin schien zurück auf dem richtigen Weg. Und der führte ihn wieder nach Dortmund. "Ich will endlich zeigen, dass ich in der Bundesliga mithalten kann", gab er sich bei seiner Rückkunft kämpferisch. Die Vorzeichen schienen günstig.
Klopp: "Nuri ist ein Phänomen"
Röber und Doll waren weg, van Marwijk zwar nicht wieder da, aber immerhin mit Jürgen Klopp ein Trainer, der vorgab, auf junge Spieler zu setzen. Von Sahin schwärmte er besonders: "Nuri ist ein Phänomen. Er ist für mich ein sensationell angenehmer Mensch."
Die Mängel in Sachen Handlungsschnelligkeit hatte freilich auch Klopp erkannt, doch "das kriegen wir hin", war sich der BVB-Coach sicher. Anfangs allerdings klappte überhaupt nichts. Der Türke war auch unter Klopp - zunächst verletzungsbedingt, später aus Leistungsgründen - nur zweite Wahl.
BVB: Nur wenige Talente schaffen den Durchbruch
Hatte sich Wenger damals so sehr in Sahin getäuscht, hatte sich der junge Türke einfach nicht weiterentwickelt, oder lag das Problem vielleicht beim BVB?
Seit langer Zeit glänzt die Borussia mit hervorragender Jugendarbeit und bringt immer wieder hoffnungsvolle Nachwuchsspieler nach oben, den Durchbruch schaffte in Dortmund davon bislang allerdings kaum einer.
Lars Ricken ist der Inbegriff des ewigen Talents. Ibrahim Tanko und Wladimir But galten in den 90er Jahren als Hoffnungsträger. Auch Christian Timm, Salvatore Gambino oder Sebastian Tyrala wurde eine große Zukunft beim BVB prophezeit. Zuletzt verließen mit Markus Brzenska und Marc-Andre Kruska hoffnungsvolle Eigengewächse den Klub. Und Sahin wird der Nächste - so schien es zumindest.
"Die beste Phase meiner Karriere"
In der Rückrunde der abgelaufenen Saison nämlich machte Sahin endlich den erhofften und erwarteten Leistungssprung. Ab dem 26. Spieltag stand er in allen Partien 90 Minuten auf dem Platz. Die einstigen Stammkräfte Tinga, Boateng und Florian Kringe fanden sich fortan auf der Bank wieder.
Und Sahin spielte nicht nur, er überzeugte. Vier Treffer bereitete er vor, ein Tor erzielte er selbst und war damit maßgeblich daran beteiligt, dass Dortmund mit sieben Siegen in Serie einen neuen Vereinsrekord aufstellte.
"Was zuletzt passiert ist, gibt mir eine Menge Rückenwind", sagt Sahin. "Es verschafft mir auch ein bisschen Genugtuung, weil mich der eine oder andere schon abgeschrieben hatte", gibt er ehrlich zu.
Für seine nächste Chance hat er hart gearbeitet und mit Athletiktrainer Oliver Bartlett regelmäßig Extraschichten geschoben. Nun wird Sahin für seinen Kampfgeist belohnt: "Man kann schon sagen: Das ist die beste Phase meiner Karriere." Und die steht ja immer noch erst am Anfang.
Dortmunds Kader im Überblick