"Fußball ist auch ein Mafia-Geschäft"

Haruka Gruber
02. April 200914:53
Radu: "Fast unmöglich, hinter den Vorhang zu schauen und die Drahtzieher ausfindig zu machen"Imago
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EXKLUSIVFiorella Fare bringt es auf den Punkt. "Ich mag Fußball. Aber es ist traurig, was hinter den Kulissen läuft", sagt die Frau, die mit ihren Enthüllungen den Noch-Gatten und Spieleragenten Carlos Delgado sowie Werder Bremens Stürmer Claudio Pizarro in juristische Schwierigkeiten brachte - und Bremens Geschäftsführer Jürgen L. Born zum Rücktritt zwang.

Der Vorwurf: Delgado und Pizarro sollen eine illegale Vereinigung gebildet und mit Hilfe von Transfers Steuern hinterzogen und Geld gewaschen haben. Born wiederum habe beim Wechsel des Delgado-Klienten Roberto Silva nach Bremen im Jahre 2001 mindestens 50.000 Dollar mitverdient.

Paul Radu kennt einige solcher Fälle. Radu ist ein mehrfach preisgekrönter Enthüllungsjournalist aus Rumänien, der das von den Vereinten Nationen finanziell unterstützte Projekt "Game of Control" mitgründete. Das Projekt ist ein Zusammenschluss von investigativen Journalisten - hauptsächlich aus Osteuropa -, um illegale Machenschaften im Fußball und Schiebereien bei Spielerwechseln aufzudecken.

Im Interview spricht Radu über mafiöse Strukturen, Offshore-Firmen auf den Britischen Jungferninseln und ein komplexes Netzwerk aus Spielerberatern, Klubbossen, Fußball-Profis sowie Figuren aus der organisierten Kriminalität.

SPOX: Die Affäre "Pizarro/Born" schlägt in Deutschland hohe Wellen. Überrascht Sie der Fall?

Paul Radu: Es benötigt eine gewisse Naivität, um zu glauben, dass es in Deutschland anders zugehen würde als in allen anderen Ländern Europas oder Südamerikas. In unseren Recherchen sind wir auf ein unglaublich verzweigtes Netzwerk gestoßen, das durch so genannte "dirty transfers", also mit Betrügereien bei Spielerwechseln, sehr viel Geld verdient. Sie bedienen sich dabei komplexen Finanzströmen, die nachweislich durch Frankreich, die Niederlande oder Luxemburg fließen. Man muss davon ausgehen, dass auch Deutschland betroffen ist. Wir müssen nur gründlicher recherchieren.

Hintergrund: Deutschland und seine Transfer-Machenschaften

SPOX: Erzählen Sie etwas von dem Netzwerk.

Radu: Es ist eine internationale Gruppe von Spielerberatern, Klubbossen, Fußball-Profis, Wirtschaftsmanagern, Bankern, Anwälten und Figuren aus der organisierten Kriminalität, die mit Hilfe unzähliger Offshore-Firmen in der Karibik Transfers eingefädelt und dabei mitverdient haben. Die Schlagworte sind: Betrug, Geldwäsche, Steuerhinterziehung.

SPOX: Wie sind Sie auf das Netzwerk gestoßen?

Journalist Paul Radu arbeitete unter anderem für

Radu: Im September 2008 gab es eine Anklage der rumänischen Staatsanwaltschaft. Sie hatte sich etliche Spielerwechsel aus Rumänien ins Ausland angeschaut und festgestellt, dass die beiden Brüder Victor und Ioan Becali...

SPOX: ...die Cousins des höchst umstrittenen Steaua-Bukarest-Besitzers Gigi Becali, dem reichsten und vielleicht mächtigsten Rumänen...

Radu: ...bei ihrer Tätigkeit als Spielerberater Transfereinnahmen an der Steuer vorbeigeschmuggelt haben. Der Staatsanwaltschaft ging es primär darum zu beweisen, ob und wie viel Steuern die Becali-Brüder hinterzogen haben, indem die beiden Scheinfirmen in den Niederlanden und auf den Britischen Jungferninseln nutzten. Als wir uns die Anklage genauer angeschaut haben, ist uns aber aufgefallen, dass die Staatsanwälte bei vielen Namen, die auftauchen, nicht richtig hingeschaut haben.

SPOX: Inwiefern?

Radu: Mit Hilfe einer Software haben wir Quervergleiche gezogen zwischen dem Prozess in Rumänien und einer Anhörung des brasilianischen Senats, in der Korruption und Steuerbetrug bei Transfers aus Südamerika nach Spanien untersucht wurden. Dabei haben wir herausgefunden, dass viele Firmen und Decknamen identisch sind und Personen, die in der brasilianischen Anhörung erwähnt wurden, in engem Zusammenhang stehen mit der organisierten Kriminalität und dirty transfers, zum Beispiel in Rumänien.

SPOX: Ein Name, der immer wieder fällt, ist Emil Todorow Iwanow.

Radu: Ein Bulgare, der als Alias den paraguayischen Namen Emilio Teodoro Gonzalez Rojas nutzte und von Interpol gesucht wurde. Als ihn die brasilianischen Behörden in Porto Alegre ausfindig machten, tauchten in seinem Büro Verträge auf, in denen detailliert Einzelheiten von Transfers aus den 90er Jahren standen, unter anderem ging es um Carlos Gamarra und Mario Jardel. Auch Dokumente von Luiz Felipe Scolari waren darunter.

SPOX: Und wo ist der Zusammenhang zu Rumänien?

Radu: Iwanow alias Rojas unterhielt enge Geschäftsbeziehungen zu Jose Maria Minguella, einem weltbekannten Spielerberater, der früher Hristo Stoitschkow gemanagt hatte. Minguella unterhält Geschäftsräume in Bukarest - und im gleichen Gebäude befindet sich nicht zufällig auch das Büro von Gheorghe Popescu...

SPOX: ...dem ehemaligen Star des FC Barcelona, der eine Fußball-Legende in Rumänien ist.

Radu: Popescu handelt mittlerweile mit Immobilien und Fußballern. Seine Business-Partner heißen: Gigi sowie Victor und Ioan Becali. Die rumänische Öffentlichkeit reagierte überrascht, dass Popescus Name auch in der Anklage steht, aber die Hinweise sprechen gegen Popescu.

SPOX: Bisher ist nur von Osteuropa und Südamerika die Rede.

Radu: Es gibt aber auch genügend Verbindungen nach Westeuropa. Als 2001 der ehemalige brasilianische Nationalspieler Christian, der vor dem Wechsel nach Frankreich in Iwanows Wahlheimat Porto Alegre gespielt hatte, von Paris nach Bordeaux verkauft wurde, sind laut "L'Equipe" 5,8 Millionen Euro illegal bei einer niederländischen Firma namens "Intermark BV" aufgetaucht. Über Intermark BV, das von Iwanow-Partner Minguella kontrolliert wird, sollen gemäß der rumänischen Anklage aber auch einige Transfers der Becali-Brüder abgewickelt worden sein.

SPOX: In der 444 Seiten langen Anklage, die SPOX vorliegt, taucht auch der ehemalige Stuttgarter Ioan Viorel Ganea auf.

Radu: Nach Ganeas Wechsel von Gloria Bistrita nach Stuttgart im Juli 1999 landeten nach Angaben der rumänischen Staatsanwälte 1,372 Millionen Dollar von der Stuttgarter Ablöse auf einem Konto in Gibraltar, das einer Offshore-Firma von den Britischen Jungferninseln gehört - wohinter wiederum Ioan Becali stehen soll.

SPOX: Von der Komplexität her erinnert es an den Steuerhinterziehungsskandal um Ex-Deutsche-Post-Chef Klaus Zumwinkel.

Radu: Wir sprechen hier über organisierte Kriminalität. Fußball ist auch ein Mafia-Geschäft - nicht nur in Osteuropa. Das Problem: Wenn alle Geldflüsse bei Offshore-Firmen enden, ist es fast unmöglich, hinter den Vorhang zu schauen und die Drahtzieher ausfindig zu machen.

SPOX: Sie können also nicht herausfinden, wer der Boss des von Ihnen recherchierten Netzwerks ist?

Radu: Uns sind die Hände gebunden. Ohne die Daten der Offshore-Firmen können wir bei den dubiosen Spielerwechseln nur die Leute ganz vorne in der Kette enttarnen. Wer wirklich dahinter steckt, bleibt ein Mysterium. Deswegen ist es so schwierig, das komplette Netzwerk aufzudecken.

SPOX: Gehen Sie davon aus, dass im Weltfußball mehrere von diesen Netzwerken existieren?

Radu: Definitiv. Wir haben uns zwar erst ein Netzwerk angeschaut, aber es ist anzunehmen, dass es weitere Netzwerke gibt, die seit Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten gegeneinander konkurrieren. Immerhin geht es um viel Geld.

SPOX: Wie ist ein Netzwerk aufgebaut?

Radu: Zunächst muss man eine Reihe an loyalen Gefolgsleuten aufbauen und sehr, sehr viele Firmen und Konten gründen, um die Ablöse bei Transfers hin und her zu überweisen, damit es so undurchsichtig wie möglich wird. In manchen Fällen startet es in Rumänien und geht weiter in die Niederlande, nach Luxemburg und von da auf die Britischen Jungferninseln.

SPOX: Beteiligen sich auch Fußball-Stars an dirty transfers?

Radu: Ich erzähl Ihnen mal etwas: Bei der rumänischen Untersuchung kam heraus, dass auf dem Konto von Inter Mailands Christian Chivu 120.000 Euro aufgetaucht sind. Einfach so. Als Chivu gefragt wurde, woher das Geld stammt, antwortete er, dass er keine Ahnung und einfach still gehalten habe. Sein Berater heißt übrigens Ioan Becali.

SPOX: Was ist mit Nationaltrainern?

Radu: Das ist eines unserer nächsten Themen, die wir angehen wollen. Wir hören immer wieder, dass der Marktwert künstlich nach oben getrieben wird, indem ein Nationaltrainer einem Spieler zu einem Länderspiel verhilft, obwohl dieser offensichtlich zu wenig Talent hat oder körperlich nicht für den Spitzenfußball geeignet ist. Allgemein kann man sagen, dass die Profiteure der dirty transfers aus allen Berufsgruppen im Fußball stammen, egal ob Trainer, Spieler, Berater, Manager, Geschäftsführer oder Präsidenten.

SPOX: Könnte das bestehende Fußball-System irgendwann implodieren, wenn noch mehr von den Netzwerken enttarnt werden?

Radu: Daran glaube ich fest. Die wahren Drahtzieher hinter den Transfers handeln nicht aus Liebe zum Fußball, sondern verfolgen rein wirtschaftliche Interessen. Das ist wie mit der Mafia. Und wenn jemand aus dem Fußball-Geschäft deren schmutziges Geld annimmt, ist man für immer mit ihnen verbunden und muss nach deren Regeln spielen. Normalerweise endet das nicht mit einem Happyend.

Hier geht's zur offiziellen Website von "Game of Control"