Ist es der Beginn einer Trendwende? Oder doch nur Zufall? 1899 Hoffenheim hat in den vergangenen Wochen mit Godwin Osei Bonsu, Richard Annan und Ibrahim "Rahim" Ayew, dem Sohn von Fußball-Legende Abedi Pele, drei ghanaische Talente zum Probetraining eingeladen.
Auch wenn vorerst von einer Verpflichtung abgesehen wurde: Der Aufsteiger, der bereits 2007 Isaac Vorsah aus Ghana verpflichtet hatte, schwimmt gegen die Entwicklung der letzten Zeit. In den 90er Jahren noch begründeten Spieler wie Anthony Yeboah oder Jay-Jay Okocha in Deutschland ihre Weltkarrieren, in den vergangenen Jahren jedoch wechselten immer weniger Spieler aus Afrika direkt in die Bundesliga.
"Die Toptalente-Pools im Weltfußball"
Dabei befinden sich vor allem in den westafrikanischen Ländern wie Ghana, Mali, Nigeria oder der Elfenbeinküste nach wie vor "die Toptalente-Pools im Weltfußball. Ähnlich unerschöpflich wie in Brasilien", sagt Sascha Empacher von "Spocs", einer der führenden Sport-Management-Firmen in Afrika und offizieller Berater der ghanaischen Liga.
Indiz: Bei drei der vier Champions-League-Halbfinalisten (Barcelona, Chelsea, Arsenal) spielen mit Yaya Toure, Michael Essien und Alexandre Song drei West-Afrikaner auf der wichtigen Sechser-Position.
Dennoch schenken die Bundesligisten der Region kaum Beachtung und hinken beim Scouting der europäischen Konkurrenz weit hinterher. Aber warum zeigen die deutschen Klubs derart wenig Interesse? Jens Todt, Ex-Nationalspieler und Nachwuchschef des Hamburger SV, ist der Frage nachgegangen und flog für mehrere Wochen nach Afrika.
SPOX: Sie reisten zwischen November 2007 und März 2008 in sechs westafrikanische Länder. Warum?
Jens Todt: Ich habe mich mit der Grundfrage beschäftigt: Warum finden so wenige afrikanische Fußballer direkt den Weg in die Bundesliga? Ausgehend davon habe ich mit Ghana, Nigeria, der Elfenbeinküste, Mali, Burkina Faso und Senegal die Kernnationen des afrikanischen Fußballs besucht und eine Untersuchung durchgeführt, wie sich ein Bundesligist dort engagieren könnte.
SPOX: Wollen sich deutsche Klubs überhaupt in Afrika engagieren?
Todt: Das ist das Problem. Die Premier League ist in den Ländern sehr präsent, auch Frankreich hat wegen seiner Kolonialvergangenheit den besseren Zugang. Die Bundesliga findet hingegen so gut wie nicht statt - auch deswegen, weil in Deutschland eine riesige Unsicherheit herrscht.
SPOX: Weswegen?
Todt: Den Vereinen fällt es sehr schwer, die Zustände in den Ländern richtig einzuschätzen. Ist der Pass eines möglichen Neuzugangs echt oder gefälscht? Warum tauchen auf einmal mehrere Berater auf? Wie hoch ist die Leistungsdichte in den Ligen? Es gibt kaum Erfahrungswerte. Deswegen kaufen die Bundesligisten aus schlichter Unkenntnis der Märkte bevorzugt afrikanische Spieler, die sich in Europa schon einmal durchgesetzt haben...
SPOX: ... obwohl diese in der Regel wesentlich teurer sind. Es heißt, dass einige Scouts aus Deutschland nicht nach Afrika reisen, weil sie Angst vor Schlangen haben.
Todt: Diese Mischung aus medialer Aufbauschung und Afrika-Folklore zeigt doch nur, wieweit wir weg sind, auf dem Kontinent etwas aufzubauen. Dabei kann man heutzutage nicht mehr davon ausgehen, nur zum Africa Cup zu fahren und sich die Rosinen rauspicken zu können. Dafür ist der Wettbewerb zu groß.
SPOX: Agiert die Bundesliga fahrlässig?
Todt: Das greift zu kurz. Jeder Verein verfolgt verständlicherweise kurzfristige Ziele, muss die Klasse halten oder sich für den internationalen Wettbewerb qualifizieren - und hat eben keine Zeit, nachhaltig etwas zu entwickeln. Eine langfristige Afrika-Strategie benötigt aber einen langen Atem und Hingabe. Bisher war kein Verein dazu bereit.
SPOX: Einige europäische Klubs wie Feyenoord Rotterdam oder Ajax Amsterdam gehen hingegen deutlich weiter und haben sogar eigene Fußball-Akademien gegründet.
Todt: Was aber offensichtlich auch nicht die endgültige Wahrheit sein kann. Angeblich ist Feyenoord total unzufrieden mit seiner Akademie in Ghana, ähnliches habe ich von Ajax gehört, das zunächst eine Akademie in Ghana, dann in Südafrika eröffnet hat. Der Ansatz, mit viel Geld allerhöchste mitteleuropäische Standards inklusive mitteleuropäischer Trainer nach Afrika zu verpflanzen, ist nach jetzigem Stand gescheitert. Ich bin gespannt, wie erfolgreich Red Bull sein wird, das für einige Millionen Euro in Ghana eine hochmoderne Anlage gebaut hat, damit dort ein großes Ausbildungszentrum in Westafrika entsteht.
SPOX: Welcher Ansatz ist vielversprechender?
Todt: Es gibt nicht die eine gültige Wahrheit und ich halte mich nach meinen wenigen Reisen nicht für einen Afrika-Experten. Aber ich bin davon überzeugt, dass es eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Respekts ist.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Todt: Es bringt nichts, im Neokolonial-Stil aufzutreten und Afrika europäisieren zu wollen. Vielmehr sollte ein Bundesligist - auf Augenhöhe, nicht von oben herab - mit verlässlichen Partnern vor Ort kooperieren. Ob es nun Vereine, Scouts oder Trainer sind: Die Leute, die seit Jahrzehnten dort aktiv sind, haben das Know-how und die Marktkenntnisse, nicht wir. Und diese Erfahrung sollten wir uns zunutze machen, um vielleicht das nächste afrikanische Toptalent zu finden, bevor es beim Africa Cup Torschützenkönig wird. Dieser Weg ist interessanter - und deutlich günstiger.
SPOX: Wie viele Schnäppchen schlummern in Westafrika?
Todt: Das Niveau der Ligen ist überschaubar, dafür ist das Niveau der jungen Spieler flächendeckend unglaublich hoch. Ghana hat über 20 Millionen Einwohner, Nigeria sogar 140 Millionen, da kann man sich vorstellen, wie viele Talente heranwachsen.
SPOX: Gleichzeitig fällt vielen Afrikanern die Umstellung auf den europäischen Fußball aber sehr schwer.
Todt: Viele Leute lieben afrikanische Fußballer, weil sie das gewisse Etwas verkörpern. Die Kreativität, das Intuitive. Das hat vermutlich damit zu tun, dass sie in ihrer Heimat ständig improvisieren müssen und dadurch eine spezielle Art des Fußballs erlernen. Wenn sie jedoch nach Europa kommen, werden sie mit strukturierten Tagesabläufen und strikten Trainingsplänen konfrontiert und sind davon überfordert.
SPOX: Das bekannte Disziplinproblem?
Todt: Wir dürfen nicht so plump sein und reflexartig sagen, dass man afrikanischen Spielern Disziplin einimpfen muss. Nach meinen Erfahrungen gibt es mit afrikanischen Spielern in dieser Hinsicht keine größeren Probleme als mit europäischen. Es ist eben eine Frage der Lebensart und der Kultur. Und der Betreuung in Deutschland. Die Spieler dürfen hier mit ihrem Kulturschock nicht alleine gelassen werden. Das hat etwa Freiburg jahrelang vorbildlich gemacht.
SPOX: Bei Ihrem Verein, dem Hamburger SV, spielt mit dem 18-jährigen Nigerianer Macauley Chrisantus eines der weltweit größten Sturmtalente. Nach eineinhalb Jahren hat er aber kein einziges Bundesliga-Spiel bestritten und wurde zu Absteiger Karlsruhe verliehen. Warum?
Todt: Er ist hoch veranlagt und war mehrmals schon nah dran. Aber in Hamburg muss er sich mit einer unglaublich starken Konkurrenz auseinandersetzen. Für den Spieler ist es schade, aber es ist bei vielen Topklubs Normalität.
SPOX: Anders formuliert: Wurden bei der Integration Fehler gemacht?
Todt: Wir haben Macauley am Anfang eine gute Hilfestellung geboten und es ist normal, dass solch junge Spieler immer wieder Rückschläge erleiden und Wellentäler durchmachen. Das größte Problem ist ein anderes: Weil volljährige Afrikaner nicht in der zweiten Mannschaft spielen dürfen, können sie kaum Spielpraxis sammeln, wenn ihnen der Sprung zu den Profis nicht auf Anhieb gelingt. Dann ist vielleicht der Punkt gekommen, ausgeliehen zu werden und erst mal woanders sein Glück zu suchen.
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