SPOX: Thomas Schaaf, Real Madrid hat im Sommer eingekauft wie noch nie ein Verein zuvor. Eine ganze Reihe von Top-Stars ist nach Madrid gewechselt, dazu kommt mit Manuel Pellegrini ein neuer Trainer. Der dürfte jetzt den leichtesten und zugleich auch schwierigsten Job der Welt haben. Würden Sie mit ihm tauschen wollen?
Thomas Schaaf (lacht): Die Mannschaft schürt unglaubliche Erwartungen, jeder will das Nonplusultra sehen. Wenn man so einkaufen kann, wird das natürlich immer gleichgesetzt mit einer unglaublichen individuellen Qualität im Kader. Man hat aber auch schon oft gesehen, dass die Konstellation mit zu vielen "Stars", mit zu vielen Häuptlingen und zu wenigen Indianern, schief gehen kann. Trotzdem glaube ich, dass man in Madrid in dieser Saison etwas Besonderes geboten bekommt. Für einen Trainer kann es eine sehr reizvolle Geschichte sein. Auf der anderen Seite aber auch sehr gefährlich. Ich wüsste nicht, ob ich unbedingt mit ihm tauschen wollte.
SPOX: Ein Trainer muss heute immer häufiger Pädagoge als Fußballlehrer im traditionellen Sinn sein. Wie hat sich das Jobprofil in den letzten Jahren gewandelt?
Schaaf: Es hat sich sehr stark verändert. Früher war man nur auf dem Platz, das Drumherum fand kaum Beachtung. Wir hatten neulich am Tag der Fans unsere Mannschaftsvorstellung im AWD Dome. Ich stand mit Klaus Allofs auf der Bühne und habe ihn gefragt: 'Überleg mal, wie das bei uns damals noch war...' Heute läuft jeder einzeln auf die Bühne, neudeutsch nennt man das dann Event. Das ist eine reine Show. Früher war das nicht vorstellbar.
SPOX: Mögen Sie das?
Schaaf: Es war schon eindrucksvoll. Es macht Spaß, wenn man merkt, dass die Leute mitgehen. Das ist dann auch gut so. Aber früher war man eher auf dem Platz. Da ging es um inhaltliche Dinge, um Fußball. Das hat sich alles verändert. Aber es wird heute eben erwartet, dass man die inhaltlichen Dinge perfekt beherrscht und richtig inszeniert. Das Drumherum bekommt eine unheimliche Gewichtung.
SPOX: Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es einen ziemlich großen Hype um eine neue, junge, moderne Generation von Trainern. Haben Sie den ganzen Wirbel verstanden?
Schaaf: Dem konnte und kann ich nicht hundertprozentig folgen. Es ist nicht wichtig, ob man jung oder alt ist, sondern es geht darum, wie man den Job macht. Es geht darum, wie der Mensch, die Person, wie der Trainer funktioniert. Es gibt Trainer, die hervorragende Arbeit leisten, obwohl sie selbst nie hochklassig gespielt haben. Und trotzdem haben sie so viel aufgesogen und sich selbst angeeignet, dass sie etwas Tolles darstellen können mit ihrer Mannschaft. Und dann gibt es andere, die waren super Spieler - bekommen aber als Trainer nichts auf die Reihe, weil ihnen etwas fehlt. Es geht vor allem um die Person und nicht um die neuesten Methoden. Manchmal bleiben auch die vermeintlich altmodischen Methoden die effektivsten.
SPOX: Sie kultivieren seit über zehn Jahren Ihren Stil bei Werder. Gibt es noch Kollegen oder Mannschaften, von denen Sie sich etwas abschauen?
Schaaf: Nur zu gerne. Ich gucke gerne. Ich gucke nicht unbedingt ab, aber ich will mich informieren: Ist da etwas dabei, das für mich interessant ist? Wie wird was umgesetzt? Wie wird was gemacht? Es gibt Dinge, die man aufnimmt, in seine Gedanken einbringt, daran bastelt und für seine Inhalte modifiziert. Das gilt speziell für Trainingsübungen und -formen und dann entwickelt man daraus einen gewissen Stil. Aber: Ich übernehme nicht eins zu eins. Das passt nicht für mich.
SPOX: Glauben Sie daran, dass gegenseitige Verantwortung auf dem Platz ein großer Bestandteil des Erfolgs ist? Oder glauben Sie, dass die Spieler so professionell sind, immer den Erfolg als Ganzes im Vordergrund zu sehen - ganz ohne Elf-Freunde-Romantik?
Schaaf: Das ist machbar. Professionalität schadet ja nicht. Es ist kein Problem, dass einer nur hingeht und seinen Job verrichtet, während die anderen Freunde sind. Man muss nicht gut Freund mit jedem sein. Es gibt immer Spieler, die nicht zu hundert Prozent mit anderen auf einer Wellenlänge liegen. Aber sie sind Profi genug und wissen, was auf dem Platz abgefragt wird. Dort ist es dann allerdings schon entscheidend, Verständigung, Respekt und Akzeptanz füreinander zu finden und zu sagen: 'Deshalb bin ich hier: Ich will Erfolg haben, wir ziehen an einem Strang'.
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SPOX: Fußball ist das populärste Spiel der Welt, weil die Regeln überschaubar und einfach sind. Aber ist Fußball - in all seiner Komplexität - wirklich noch so ein einfaches Spiel?
Schaaf: Das populärste Spiel ist es deshalb, weil jeder meint, es zu verstehen und mitreden zu können. Das einfache Spiel kann durchaus das wirkungsvollste Spiel sein. Und manchmal wird es zu kompliziert gemacht und kann deshalb nicht erfolgreich sein.
SPOX: Gibt es heute zu viele Besserwisser?
Schaaf: Die gab es früher auch schon. Nur werden sie heute mehr gelesen, mehr gesehen, mehr gehört. Die Medien sind da der Multiplikator.
SPOX: Der sehr begehrte Marko Marin hat sich für Bremen entschieden, viele "Experten" sehen Werder als den idealen Ort an, um sich als junger Spieler zu entwickeln. Fühlen Sie sich auch durch solche Transfers in Ihrer Arbeit bestätigt?
Schaaf: Er ist gekommen, weil Werder Bremen eine gute Adresse ist.
SPOX: Und trotzdem gab es in letzter Zeit einige, die den zweiten Schritt vor dem ersten getan haben und damit nicht glücklich geworden sind...
Schaaf: Marko Marin hat offenbar Einklang gefunden mit dem, was wir ihm anbieten können, und was er für Vorstellungen hat. Darüber freuen wir uns, weil wir glauben, dass wir mit einem der größten deutschen Talente einen erfolgreichen Weg gehen können und beide davon profitieren.
SPOX: Es bleibt aber ein teurer Transfer.
Schaaf: Es war für Werder im Bezug auf die Ablösesumme eine besondere Nummer. Aber für unsere Arbeit ist das nicht wichtig. Uns beschäftigt mehr der Mensch - was kann ich mit ihm gestalten und entwickeln? Was kann ich ihm beibringen? Wie kann ich ihn ausbilden? Und wie kann ich davon selbst profitieren?
SPOX: Sehen Sie noch Handlungsbedarf auf den Außenverteidigerpositionen?
Schaaf: Es gibt immer Handlungsbedarf, weil man immer die Vorstellung hat, das Optimale zu erreichen. Man ist da immer auf dem Weg dorthin und könnte immer noch besser werden. Aber wir sind insgesamt gut aufgestellt, wir haben einen guten Kader. Und auf den Außenverteidigerpositionen haben wir genügend gutes Potenzial im Team. Sicherlich gibt es in allen Bereichen immer noch eine bessere oder idealere Lösung. Aber wir sind mit dem, was wir aufgestellt haben, sehr zufrieden.
SPOX: "Es kann nicht sein, dass jemand, der so viele Erfolge mit einem Klub gefeiert hat, so in Frage gestellt wird." Vor über fünf Jahren haben Sie das im Bezug auf den damaligen Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld gesagt. Im Winter waren Sie in Bremen selbst in der Kritik. Wie haben Sie die Zeit damals empfunden?
Schaaf: Es ist Teil des Geschäfts. Ob es sein muss, ist eine andere Frage. Wir haben ja wieder eine Steigerung erlebt. In Bielefeld wurde der Trainer vor dem letzten Spieltag entlassen, jetzt einer vor dem ersten. Das ist eine ganz neue Variante. Ich habe in der schwierigen Phase damals immer wieder betont, dass ich mich nie aus der Kritik ausnehmen darf. Nur, ich habe auch immer wieder gesagt - auch damals, als es um Ottmar ging: Wer darf sich überhaupt das Recht herausnehmen, diesen Mann zu kritisieren? Man sollte sich Gedanken darüber machen, ob das jeder richtig einschätzen kann.
SPOX: Worum geht es Ihnen konkret?
Schaaf: Wenn jemand sachliche - und darum geht es - sachliche Kritik äußert, dann stellen sich dem Ottmar Hitzfeld oder Thomas Schaaf auch. Dann setze ich mich damit auch auseinander. Davon könnte ich ja auch profitieren. Aber polemische oder banale Dinge irgendwo reinzufeuern, nur um ein paar billige Klatscher zu bekommen - darum kümmere ich mich nicht.
SPOX: Wie ist der aktuelle Stand bei den Verhandlungen um Claudio Pizarro?
Schaaf: Wir arbeiten sehr gerne mit ihm zusammen und haben ihm die Sache mit Werder Bremen auch immer versucht, sehr schmackhaft zu machen. Und wir wissen, dass er Geschmack gefunden hat, dass er sich sehr wohl fühlt und sehr gerne zu Werder Bremen zurückkommen würde. Aber: Wir können es noch nicht realisieren. Es hängt am FC Chelsea und an Dingen, die es zu klären gilt.
SPOX: Haben Sie Alternativen im Auge?
Schaaf: Das ist normal, wir müssen immer zweigleisig fahren. Es wäre fatal, wenn wir uns nur auf eine Person einschießen würden. Wir müssen immer eine Palette haben, auf die wir dann zugreifen können. Ob das dann wiederum machbar ist, muss man im Einzelfall sehen.
SPOX: Ein Thema des Transfersommers war Stuttgarts Suche nach geeignetem Personal. Wie haben Sie die Sache aus der Ferne beobachtet? Die zur Schau gestellte Unaufgeregtheit dürfte Ihnen gefallen haben...
Schaaf: Stuttgart hat sehr gute Spieler dazu gewonnen. Sie haben den "Wahnsinn" nicht mitgemacht. Es ist doch so: Man muss immer schauen, was man von dem, was man einnimmt, auch wieder ausgeben will. Der VfB hat das sehr gut gemacht, weil sich die Verantwortlichen die nötige Zeit genommen haben, um nicht irgendetwas zu machen, sondern etwas Sinnvolles.
SPOX: Am Samstag steht das Spiel bei den Bayern an. Wie gehen Sie diese Partie an - mit dem 5:2-Sieg aus dem Vorjahr im Kopf und der 2:3-Niederlage gegen Frankfurt vor einer Woche als Bürde auf dem Buckel?
Schaaf: Es kann nicht schaden zu sagen: 'Leute, ihr habt das schon mal sehr gut gemacht.' Aber dazu müssen wir kompletter und besser in der Defensive stehen und es dem Gegner nicht so einfach machen. Deshalb sind wir stark auf uns fixiert.
SPOX: Im Juni 2010 läuft Ihr Vertrag in Bremen aus. Gibt es schon Gespräche über eine Verlängerung oder eine Tendenz?
Schaaf: Ich will darüber im Moment gar nicht reden. Meine volle Konzentration gilt der Startphase der Saison. Alles Weitere besprechen wir zu gegebener Zeit.
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