Ramadan: Die fünfte Jahreszeit

Von Stefan Rommel
Auch das gehört dazu: Ägyptens Spieler feiern ein Tor während des Confed-Cups gegen Italien
© Getty

Die Muslime im Profi-Fußball durchlaufen die vier härtesten Wochen der Saison. Aber nicht Champions League, Pokal oder Länderspiele sind daran schuld, sondern der Fastenmonat Ramadan. Den umschwirrt seit Jahren schon eine komplexe Diskussion: Die Diskrepanz zwischen religiöser Tradition und dem harten Geschäft des Profi-Fußballs.

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Serdar Tasci hatte noch eine Trinkflasche in der Hand, einen halben Liter kaltes, klares Wasser angereichert mit ein paar Elektrolyten.

Es war schon spät an diesem Mittwochabend, der VfB Stuttgart hatte gerade mit einem 0:0 gegen Timisoara den Einzug in die Gruppenphase der Champions League perfekt gemacht, und Tasci nahm einen tiefen Schluck.

Große Herausforderung...

Es ist eine besondere Zeit für Tasci und die rund 50 Muslime, der derzeit im deutschen Profi-Fußball ihrem Tagwerk nachgehen. Es ist Ramadan, der Fastenmonat und eine der fünf Säulen des Islam. Es ist eine ungewohnte Tradition für die Kultur des Abendlandes. Und es ist ein krasser Gegensatz zu den Grundlagen des professionellen Fußballs.

"Beginnt und beendet das Fasten, wenn ihr die Mondsichel seht", heißt es im Koran. Zwischen Sonnenauf- und Untergang darf der Gläubige nichts essen und trinken. Was Normalbürgern schon schwierig erscheint, ist für einen Bundesligaprofi eine ungemein große Herausforderung.

Vom 21. August bis 19.September geht der Ramadan in diesem Jahr. In den Zeitraum fallen drei Bundesliga- und zwei Länderspiele, dazu eventuell die ersten Gruppenspiele der Champions und Europa League. Nicht eben wenig für jemanden, der von morgens bis abends nichts zu sich nehmen darf. Von den täglichen Trainingseinheiten ganz zu schweigen.

...und viele Probleme

"An freien Tagen faste ich, da geht das ohne Probleme. Ansonsten ist es natürlich schwer umzusetzen", sagt Tasci im Gespräch mit SPOX. Mit den freien Tagen meint er alle Nicht-Spieltage. Aber wenn er jetzt bei der Nationalmannschaft weilt, fallen bisweilen zwei Trainingseinheiten pro Tag an. Und da beginnen die Probleme.

"Es ist aus meiner Sicht unmöglich zu fasten, da wir eine extrem hohe körperliche Belastung haben. Wir brauchen einfach unsere Nahrung und auch unsere Flüssigkeit, um 100 Prozent Leistung geben zu können", gibt Sami Khedira zu.

Khedira ist Sohn einer Deutschen und eines Tunesiers und glaubt an den Koran. Aber für seinen Beruf nimmt er Ausnahmen in Kauf. "Ich halte es so, dass ich es nicht mache. Aber das muss letztlich jeder Spieler für sich zu entscheiden."

Kleines Schlupfloch im Koran

Einige entscheiden sich dagegen, die Mehrheit begeht den Ramadan aber nach alter Tradition. Der Prophet Mohamed konnte zu Lebzeiten natürlich nichts davon ahnen, dass es Jahrhunderte später zu einem Konflikt seiner Lehren mit dem Hochglanzprodukt Fußball kommen könnte.

Also legen die Verweigerer des Ramadan eine Lücke im Geflecht zu ihren Gunsten aus. So erlaubt der 185. Vers der zweiten Koran-Sure eine Ausnahmeregelung für das religiös motivierte Fasten: Nach gängiger Koran-Interpretation gelten Ausnahmen für Reisende, kranke Menschen, schwangere Frauen, kleine Kinder oder körperlich schwer Arbeitende.

Ob also auch Profi-Fußballer zu den "schwer Arbeitenden" zu zählen sind, interpretiert eben jeder ein wenig anders. Shikh Mohammed al Taweel will das so allerdings nicht gelten lassen. Der prominente Imam aus Marokko ist eindeutig in seiner Betrachtungsweise: Fußball ist ein Spiel und man kann das Fasten nicht wegen eines Spiels unterbrechen.

Eine Frage des Glaubens

Etwas gemäßigter ist da Burhan Kisici, Generalsekretär des Islamrats für die Bundesrepublik Deutschland: "Leistungssport und Ramadan sind miteinander zu vereinbaren. Man muss sich darauf vorbereiten, gut ernähren und Ruhepausen einhalten."

Kisici findet es begrüßenswert, dass Sportler das Fasten einhalten: "Es gibt genügend muslimische Sportler, die den Ramadan einhalten und trotzdem zu Top-Leistungen fähig sind." Allerdings will er seinen Glaubensbrüdern auch freie Hand in ihrem Handeln lassen.

Im Prinzip ist es eine Frage der Gewöhnung - und des starken Glaubens. "Ich möchte später ins Paradies, da mache ich doch keine Ausnahme", sagt Abdelaziz Ahanfouf. Der Marokkaner war bis zu seinem schweren Autounfall im Dezember 2007 bei sechs deutschen Klubs als Profi angestellt.

"Wie soll ich das schaffen?"

Und bei jeder Station zog er die vier Wochen des Ramadan mit allen ihren Begleiterscheinungen rigoros durch. Allerdings nicht immer ohne Schwierigkeiten. "In den ersten Jahren gab es schon Tage, an denen ich dachte: ‚Leck mich am Toupet! Wie soll ich das schaffen, ich kann nicht mehr!' Mit der Zeit ist es aber leichter geworden. Natürlich zwickt es dann einmal hier oder tut es da weh, aber man gewöhnt sich an alles."

Aus sportmedizinischer Sicht ist das Fasten bei hohem Flüssigkeitsverlust ein bedenklicher Vorgang, speziell im Leistungssport. "Flüssigkeit ist ein wesentlicher Faktor beim Leistungssport", meint der Sport- und Ernährungswissenschaftler Hans Braun, der am Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport der Sporthochschule Köln tätig ist.

"Wer seinen Wasserhaushalt nicht reguliert, verliert an Leistungsfähigkeit. Man sollte zwei bis drei Stunden vor dem Training Kohlehydrate, also Nudeln, Reis oder Kartoffeln, zu sich nehmen. Und abends sollte auf leicht bekömmliche Kost geachtet werden."

Die absolute Reinheit

Deshalb beginnt für viele muslimische Profis der Arbeitstag während des Ramadan schon in aller Herrgottsfrüh. Um 4 Uhr stehen viele auf und essen und trinken, was der Kühlschrank hergibt. Das muss dann reichen, bis spätabends die Abstinenz durchbrochen wird.

Oder man greift zu Nahrungsergänzungspräparaten. "Ich nehme Tabletten, muss meinen Körper versorgen. Schließlich verdiene ich damit mein Geld", sagt Nürnbergs Jaouhar Mnari. Aber das ist nur eine Randnotiz im großen Ganzen.

"Es geht im Ramadan nicht nur ums Essen und Trinken. Es geht in diesen vier Wochen um absolute Reinheit, darum, nicht böse zu sein und nichts Böses zu denken, nicht zu fluchen und auf gar keinen Fall zu lügen", sagt Ahanfouf. "Wenn du das machst, dann kannst du auch gleich essen."

Coulibaly klappt zusammen

Ahanfouf gehört zu den Hardlinern. Andere haben sich darin auch versucht, sind aber gescheitert. "Sammy Coulibaly hat letzte Saison mal für zwei Tage komplett versucht, ohne Nahrung auszukommen. Danach war er drei Tage nicht mehr in der Lage, überhaupt mitzutrainieren", erzählte Karim Matmour über seinen damaligen Teamkollegen bei Borussia Mönchengladbach.

Einige andere wie Mnari hängen jeden Fastentag, den sie wegen eines Spiels verpassen, am Ende einfach dran. Das ist zwar nicht unbedingt im ursprünglichen Sinne des Propheten, aber immerhin pragmatisch gedacht.

Ebenso wie Houssine Kharja gedacht hat. Der Marokkaner, Zugang des italienischen Erstligisten FC Genua, wollte seinen verpassten Trainingsrückstand aufholen und nach dem Serie-A-Spiel gegen die Roma noch nach 23 Uhr alleine mit einem Fitnesscoach trainieren.

Seine Teamkollegen waren da schon längst zu Hause oder in der Stadt unterwegs.

Nur, Kharja kam nicht dazu. Der Verband hatte ihn zur Dopingkontrolle gelost, wo der Marokkaner aber im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu Potte kam. Die eigens anberaumte Trainingsstunde fiel buchstäblich ins Wasser. Kharja konnte stundenlang nicht pinkeln.