Hleb: "Der Frustrations-Grad ist sehr hoch"

Von Interview: Florian Regelmann
Alexander Hleb spielte schon von 2000 bis 2005 beim VfB Stuttgart
© Getty

Der VfB Stuttgart befindet sich in einer der tiefsten Krisen der Vereinsgeschichte. Die Krise ist so tief, dass der gemeine VfB-Fan die Darbietungen seines Klubs inzwischen recht leblos über sich ergehen lässt. Nur wenn sich Alexander Hleb den Ball schnappt, kommt es zu Zuckungen: Man weiß es nicht genau, aber jetzt könnte ja vielleicht doch etwas Positives passieren.

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Der Weißrusse ist in Stuttgart die personifizierte Hoffnung - auch wenn er gegen Schalke die Wende noch nicht einleiten konnte. Vor dem Champions-League-Spiel gegen den FC Sevilla (ab 20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei SKY) spricht der 28-Jährige im SPOX-Interview über die schwierige Situation beim VfB, Vergleiche mit Maradona und russische Popmusik.

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SPOX: Alex, wenn man in Ihren Steckbrief schaut, steht bei Lieblingsmusik "Russische Popmusik". Sind das so seltsame Sachen, die man auch beim Eurovision Song Contest hört?

Alexander Hleb: (lacht) Ich könnte Ihnen ja jetzt noch Russische Popmusik erklären, doch um das Ganze abzukürzen und nicht noch komplizierter zu machen: Ungefähr ja. Wenn ich neue Musik benötige, dann habe ich hier wenig Glück, denn die russischen Stars sind in Deutschland weitestgehend unbekannt.

SPOX: Zum VfB-Spiel passt eine traurige Ballade aktuell sowieso viel besser als Popmusik. Wie hoch ist der Frustrations-Grad?

Hleb: Natürlich sehr hoch, keine Frage. Die Ergebnisse der letzten Wochen sprechen für sich. Wir haben einen anderen Anspruch an uns.

SPOX: Gegen Schalke roch es nach dem Ausgleich ganz kurz nach dem erhofften Befreiungsschlag, aber dann folgte doch die Pleite.

Hleb: Wir wollten das Spiel unbedingt gewinnen, haben viel investiert und alles gegeben. Unsere Fehler wurden leider direkt bestraft, und am Ende hat auch ein wenig das Glück gefehlt, zumindest noch einen Punkt zu holen.

SPOX: Es ist immer noch früh, aber langsam ist doch schon eine gewisse Panik angebracht, oder?

Hleb: Ein Blick auf die Tabelle genügt. Wir befinden uns im Abstiegskampf und von anderen Zielen spricht niemand. Jetzt helfen uns nur Punkte weiter, um so schnell wie möglich da unten rauszukommen.

SPOX: Für viele sind Sie der große Hoffnungsträger, ja eine Art Heilsbringer und Messias, der alles lösen soll. Wie gehen Sie damit um?

Hleb: Mir ist bewusst, dass die Erwartungshaltung sehr hoch ist. Sicher bin ich noch nicht im Vollbesitz meiner Kräfte, vor allem nach meiner Verletzung, doch ich arbeite daran und möchte der Mannschaft noch mehr helfen.

SPOX: Gegen Schalke wurde das System auf Raute umgestellt. Fühlen Sie sich auf der 10 am wohlsten?

Hleb: Wie gesagt, das Ergebnis hat nicht gestimmt. Egal welches System gespielt wird, entscheidend ist, dass wir es mit Leben füllen. Aber ich persönlich fühle mich wohler, wenn ich mehr aus dem Zentrum kommen kann, das stimmt schon.

SPOX: Jetzt steht schon wieder eine englische Woche an. Eigentlich sind die Champions-League-Spiele Festtage für jeden Fußballer, aber wenn es in der Liga so schlecht läuft... Wie groß ist da eigentlich noch die Freude auf einen Champions-League-Abend?

Hleb: Die Champions League ist etwas Besonderes. Mit einer guten Leistung gegen Sevilla können wir uns auch Selbstvertrauen für die nächsten Aufgaben in der Liga holen. Die Freude ist trotz allem groß, und unser Ziel, die Gruppenphase zu überstehen, wollen wir unbedingt erreichen.

SPOX: Kommen wir zu Sevilla. Sie kennen die Mannschaft aus Ihren Barca-Zeiten sehr gut. Was fällt Ihnen bei Sevilla als erstes ein?

Hleb: Dass es eine sehr spielstarke Mannschaft ist, die vor allem in der Offensive hervorragend besetzt ist. Die Stürmer Luis Fabiano und Kanoute nutzen ihre Möglichkeiten konsequent aus und sind sehr gut aufeinander abgestimmt, da sie bereits seit längerem zusammen spielen. Wir müssen hochkonzentriert sein und dürfen ihnen keinen Platz lassen.

SPOX: Ganz ehrlich: Wie kann der VfB in der aktuellen Verfassung Sevilla schlagen?

Hleb: Ganz einfach: Wir glauben an uns und unsere Stärke. Sevilla ist zu schlagen, doch dafür müssen wir alles abrufen und bis zur letzten Minute kämpfen, dabei die Räume eng machen und sie nicht zur Entfaltung kommen lassen. Ein Heimsieg wäre wichtig, um weiterhin die Chance auf das Erreichen der nächsten Runde zu wahren.

SPOX: Wie wichtig ist gerade jetzt Jens Lehmann für die Mannschaft?

Hleb: Er ist sehr wichtig für uns, vor allem wegen seiner großen Erfahrung. Er spricht die Dinge ganz offen an, genau das brauchen wir in der jetzigen Phase.

SPOX: Sie hätten auch zu Inter gehen können, die sind Tabellenführer in Italien. Haben Sie den Wechsel nach Stuttgart schon mal eine Sekunde bereut?

Hleb: Nein, absolut nicht. Ich war sofort von der Qualität und vom Potenzial der Mannschaft überzeugt. Das hat einfach gepasst und den Ausschlag gegeben. Beim VfB habe ich mich schon damals sehr wohl gefühlt, und das ist auch heute nicht anders. Mit der momentanen Situation sind wir alle natürlich nicht zufrieden.

SPOX: Einen Wechsel, den Sie aber wohl bereut haben, war der von Arsenal zu Barca. Das wurde jedenfalls in englischen Zeitungen geschrieben.

Hleb: Es wird immer viel geschrieben. Ich blicke nicht zurück, sondern nur nach vorne. Jetzt zählt nur, dass es mit dem VfB wieder aufwärts geht.

SPOX: Bleiben wir aber noch kurz bei Arsenal. Der Hauptgrund für Ihre Liebe zu Arsenal ist wohl Arsene Wenger. Was ist er für Sie? Vaterfigur? Bester Trainer der Welt?

Hleb: Arsene Wenger war für mich eine sehr wichtige Bezugsperson. Auch heute haben wir noch ab und zu Kontakt. Er gehört ohne Zweifel zu den besten Trainern der Welt, denn er hat mit Arsenal permanent Erfolg und baut immer wieder junge hoffnungsvolle Talente ein.

SPOX: Wenger hat aus Arsenal einen ganz besonderen Klub gemacht, Spieler kommen und gehen, aber der Arsenal-Football bleibt. Was ist für Sie das Besondere am Arsenal-Football und wie schafft es Wenger, den Stil auch mit veränderten Teams so spielen zu lassen?

Hleb: Wenger hat eine ganz klare Philosophie, die er jedem Spieler immer wieder einimpft. Egal wer spielt, jeder weiß ganz genau, wie er sich verhalten muss. Das Besondere ist das schnelle Kurzpass-Spiel. An dieses Tempo musste ich mich erst gewöhnen, da war Geduld nötig.

SPOX: Wie mussten Sie Ihre Spielweise im Gegensatz dazu jetzt wieder an die Bundesliga anpassen, im Vergleich zu Spanien und England?

Hleb: Ich muss vor allem schauen, dass ich in den richtigen Situationen mehr ins Eins-gegen-Eins gehe und nicht in jeder Situation den Ball gleich schnell abspiele. An diese Umstellung muss ich mich noch gewöhnen.

SPOX: Sie sprechen damit ja auch das Dribbling an. Wenn Sie an Ihre Anfangszeit zurückdenken, Sie sind noch als echter Straßenfußballer groß geworden. In Minsk sollen Sie und Ihr Bruder zwischen den Häusern auf uraltem Asphalt gespielt haben. Lernt man da das Dribbeln?

Hleb: Früher haben wir jede freie Minute nach der Schule genutzt, um Fußball zu spielen. Doch der Asphalt zwischen den Häusern war nicht eben, sondern hatte viele tiefe Löcher. Sehr alt eben. Man kann sagen, dass sich dadurch meine Technik sehr gut entwickelt hat und insbesondere das Dribbeln. Irgendwie musste ich ja den Unebenheiten entkommen.

SPOX: Als Sie nach Deutschland gekommen sind, sind Sie zuerst mal bei Werner Lorant im Probetraining schön durchgefallen. Auch unter Ralf Rangnick haben Sie beim VfB noch in der 2. Mannschaft gespielt. Aber dann kam das Spiel in Nürnberg, Sie bereiteten drei Tore vor. Erinnern Sie sich?

Hleb: Ja, an das Spiel gegen Nürnberg kann ich mich noch sehr gut erinnern, denn das war mein persönlicher Durchbruch. Für diese Partie habe ich einen langen Anlauf gebraucht, denn anfangs war in Deutschland alles neu für mich. Danach war ich umso glücklicher, dass ich zeigen konnte, was in mir steckt.

SPOX: Gibt es ein Spiel, das Sie als Ihr bestes bezeichnen würden?

Hleb: Nein, ein bestes Spiel gibt es nicht, dafür aber einen unglaublich emotionalen Sieg bei meiner ersten Champions League Teilnahme mit dem VfB gegen Manchester United. Einfach ein grandioser Abend.

SPOX: Krassimir Balakow hat mal über Sie gesagt: "Er ist so talentiert wie Maradona". Ein Vergleich, der Ihnen gefällt?

Hleb: Dieser Vergleich ehrt mich natürlich. Maradona war ein großartiger Spieler, ein begnadeter Techniker. Er hat viele überragende Spiele gemacht und wunderschöne Tore erzielt. Selbst mit der Hand, ein richtiges Schlitzohr eben. Und gerade hat er sich mit Argentinien für die WM qualifiziert - als Trainer.

SPOX: Aber sehr ruhmreich war das nicht gerade. Wer ist für Sie eigentlich der Topfavorit auf den WM-Titel 2010? Sie sind ja wieder ganz neutraler Beobachter...

Hleb: Ja, leider. Heute würde ich sagen, dass Spanien auf jeden Fall einer der Topfavoriten ist, aber bis zur WM vergeht noch eine Menge Zeit.

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