Die Erschütterung war gewaltig. Dabei ist Philipp Lahm ein sehr schmächtiger Typ: 1,70 Meter groß, 65 kg schwer, Schuhgröße 38,5. Der bayerische Ausdruck vom "Zwetschgenmanderl" kommt ihm schon ganz nahe.
Aber Lahm wollte nicht länger der kleine, brave Junge sein, der zwar herausragend Fußball spielt, aber sonst nicht weiter auffällt. Er wollte Führungsspieler sein - auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Und dazu musste er Lautsprecher werden. Deshalb gab er der "Süddeutschen Zeitung" im November ein Interview von außerordentlicher Schärfe. Vereinsführung, Trainer, Mitspieler, alle bekamen ihr Fett weg.
Irgendwann mal Kapitän
Bereuen werde er diese Aussagen, polterte Uli Hoeneß, der Lahm von seinem Berater Roman Grill ferngesteuert wähnte. Aber Lahm hatte sich seine Kritik - zusammen mit Grill - gut überlegt, nur der Zeitpunkt der Veröffentlichung passte ihm nicht. An einem Samstag vor einem Spiel gegen Schalke 04.
In einer Phase der Saison, in der es nicht gut um den FC Bayern stand und auch der Prozesstrainer Louis van Gaal von vielen Seiten in Frage gestellt wurde. Die Partie wurde auch zu einem kleinen Spießrutenlauf für Lahm.
Die Wirkung des Interviews war aber die gewünschte. Schon zwei Tage später erklärte der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern, Karl-Heinz Rummenigge, dass Lahm ein sehr wichtiger Spieler sei und sicher irgendwann mal Kapitän des FC Bayern werde.
Die Umstellung auf rechts fiel schwer
Das Interview war auch umstritten, weil Lahm selbst bis zu diesem Zeitpunkt eine sehr durchschnittliche Saison spielte und auf seiner neuen, rechten Seite ungewohnt unsicher wirkte. Stellungsfehler in der Defensive, schwache Zweikampfführung und Flanken ins Nichts. Schwächen, die der linke Lahm nicht hatte.
"Links war ich fünf Jahre und wusste immer, was zu tun war. Ich ging mit dem ersten Kontakt gleich nach innen. Rechts ist alles anders", sagte Lahm im "Kicker".
Mittlerweile hat er sich auf dieser Position stabilisiert und alle seine Kritiker eines Besseren belehrt. Das belegen auch die Zahlen. In den ersten 15 Bundesligaspielen bereitete Lahm nur ein Tor vor, in den nächsten sieben dafür vier. Fünf Assists schaffte Lahm bisher nur in der Saison 2006/2007. "Wenn ich mir die Fakten anschaue, habe ich die richtige Entscheidung getroffen", sagt Trainer Louis van Gaal.
Robben schwärmt von Lahm
Zusammen mit Arjen Robben bildet Lahm die starke rechte Seite der Bayern. "Da gibt es in Europa oder weltweit kaum etwas Besseres", sagt Mario Gomez. Ein Statement, das vor einem Jahr noch für die linke Seite galt.
Der Verkauf von Ze Roberto, die Verletzung von Franck Ribery und die Versetzung von Lahm haben die Machtverschiebung bewirkt. Außenverteidiger von Weltklasse-Format sind rar, Lahm ist einer davon.
"Das Verständnis mit Philipp ist wirklich super. Er ist ein Weltklasse-Spieler und wir verstehen uns toll. Es macht richtig Spaß mit ihm", schwärmt Robben.
Ribery fehlt die Unterstützung
Wie wichtig Lahm für den Niederländer ist, zeigte sich im Pokal gegen Fürth (6:2). In der ersten Halbzeit spielte Lahm auf links, von Robben, der Christian Lell hinter sich hatte, war fast nichts zu sehen. Erst als Louis van Gaal Diego Contento einwechselte und Lahm auf rechts beorderte lief das Spiel der Münchner wieder. Das Duo Lahm/Robben lässt sogar van Gaal in Superlativen schwelgen: "Mit diesen Spielern können wir der beste rechte Flügel der Welt werden."
Der Leidtragende dieses Wechsels ist Franck Ribery. Dem Franzosen fehlt die Unterstützung von Lahm. Mit Badstuber hat er normalerweise keinen gelernten Außenverteidiger hinter sich, der 20-Jährige hält sich mit Vorstößen zurück und konzentriert sich auf die Defensive.
Durch die Verletzung von Daniel van Buyten rückte gegen Florenz Contento ins Team. Der Neu-Profi muss sich auf Dauer erst noch an das Niveau gewöhnen und wird Ribery auf Anhieb auch nicht die gewünschte Hilfe sein. Mit Danijel Pranjic wäre die linke Seite sehr offensiv ausgerichtet. Optimal ist keine der Varianten. Van Gaal drückt das so aus: "Ich denke, dass Ribery mit jedem Spieler gut zusammen spielen kann, aber mit Lahm geht es einfacher."
Wo ist der Sagnol-Nachfolger?
Dass auf der Außenverteidigerposition Handlungsbedarf besteht, bewies van Gaal schon im Sommer. Mit Pranjic und Edson Braafheid kamen zwei Spieler, die auf dieser Position spielen können. Den Qualitätsnachweis blieben sie aber bisher schuldig.
Seit Willy Sagnol seine Karriere verletzungsbedingt beenden musste, klafft auf einer der beiden Seiten ein Loch. Ein Loch, das der zierliche Lahm beim Verlassen einer Seite hinterlässt.
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