Verteidiger Martin Demichelis konnte beim FC Bayern München zuletzt nicht immer überzeugen. Auch nach sieben Jahren beim FCB fehlt es dem Argentinier an Konstanz - und an Zuspruch. Dabei wäre eine zweite verpasste WM für ihn eine persönliche Katastrophe. Mit dem Heimspiel gegen den HSV und dem Länderspiel am Mittwoch gegen Deutschland stehen für ihn zwei ganz wichtige Spiele an.
Martin Demichelis kann mit Fug und Recht behaupten, schon auf jeder Position im Fußball eingesetzt worden zu sein. Sogar im Tor war er während seiner Zeit bei River Plate Buenos Aires mal zu bewundern, als Aushilfskeeper während des Spiels. Jan Koller und Michael Tarnat lassen grüßen.
Auch seine Bayern-Karriere war jahrelang vom Schicksal geprägt, auf den Positionen hin und her geschoben zu werden. Erst seit gut drei Jahren kommt Demichelis beim FC Bayern regelmäßig in der Innenverteidigung zum Einsatz. Eine Zeit mit Höhen und Tiefen - in der Saison 2007/2008 galt er auf dieser Position als Bester der Bundesliga, Anfang 2009 zählte er sich sogar selbst "zu den besten Innenverteidigern der Welt". Davor und danach stand er aber immer wieder in der Kritik.
"Er ist weit von seiner Bestform entfernt"
So wie dieser Tage, in denen Demichelis auf dem Platz eher durch fahrige Abspielfehler und unglückliche Klärungsversuche als durch gutes Stellungsspiel und kompromisslose Tacklings auffällt. Das brachte ihm unlängst sogar einen Rüffel des Kaisers ein.
"Er ist weit von seiner Bestform entfernt", sagte Franz Beckenbauer am letzten Wochenende: "Er ist ein bisschen abwesend. Ich kenne die Beweggründe nicht. Vielleicht hat er irgendwelche Probleme. Er ist sicherlich nicht der Stabilste."
Ein hartes Urteil über einen Spieler, der nach Bastian Schweinsteiger die längste Dienstzeit an der Säbener Straße aufzuweisen hat und als der einzige Transfer des FCB gilt, der den Sprung aus Südamerika erfolgreich geschafft hat. Auf der anderen Seite ist es eine Aussage, die zeigt: Auch nach sieben Jahren bei den Bayern hat der 29-Jährige keine echte Lobby. Denn seine Zeit in München ist geprägt von Missverständnissen.
Großes Tief nach der WM
Als er 2003 an die Säbener Straße kam, galt er als talentierter defensiver Mittelfeldspieler, der sich mit dem Namen eines ganz Großen schmückte: "Beckenbauer" nannten sie ihn in Argentinien, wegen seiner Spielübersicht und seiner eleganten Art, den Ball zu spielen.
Dabei sah sich Demichelis immer schon als Innenverteidiger. Doch es dauerte, bis er seine Trainer davon überzeugen konnte. Felix Magath stellte ihn sogar einmal als Aushilfsstürmer auf. Meistens sicherte er jedoch das defensive Mittelfeld ab. Seine Rückennummer, die "Sechs", zeugt heute noch von dem Missverständnis, das ihn die WM 2006 kostete.
Ein Stachel, der heute noch tief sitzt. "Nach der WM brauchte ich acht Monate, um mich von diesem emotionalen Tief zu erholen", bekannte Demichelis mit ein wenig Abstand und sprach sogar von depressionsähnlichen Zuständen, die ihn ab dem WM-Sommer begleiteten. Für die Nationalmannschaft war er nicht nominiert worden, weil ihm die Spielpraxis als Innenverteidiger fehlte.
Für ihn stand seit diesem Zeitpunkt fest: So etwas passiert mir nie wieder. Er wusste, dass er seinen Standpunkt ("Ich bin ein Abwehrspieler, ein Abwehrspieler spielt in der Abwehr, nicht im Mittelfeld") fortan vehementer verteidigen muss, wenn er in der Albiceleste eine Rolle spielen will.
Die Sache mit Hitzfeld...
Es dauerte fast fünf Jahre, bis sich das Mittelfeld-Missverständnis bei Bayern endgültig aufklärte. Erst seit zwei Jahren ist er als Innenverteidiger auch unumstritten. "Ich habe mein Ziel erreicht. Das zählt. Ich habe mich immer motiviert, auch wenn hier in München alle bis hoch zum Vorstand fanden, der Micho ist ein Mittelfeldspieler", sagte er vor einem Jahr. "Gut, dass ich in München geblieben bin."
Im März 2008 musste er allerdings noch mal schlucken. Ottmar Hitzfeld wollte ihn für das Auswärtsspiel in Cottbus im Mittelfeld aufbieten, Demichelis weigerte sich vehement. Was wie eine übertriebene Trotzreaktion eines Jungen wirkte, war für Demichelis die Verteidigung seines Status. Der Argentinier wurde anschließend für ein Spiel suspendiert.
"Das war meine traumatischste Erfahrung beim FC Bayern", erklärte Demichelis später. "Ich bin nie ein Problemfall gewesen, ich hatte nie einen Konflikt mit einem Trainer oder einem Mitspieler. Dass mir dieses Image verpasst wurde, ärgert mich heute noch."
"Es fehlt nicht mehr viel, Maradona zu überzeugen"
Die letzte Eruption des Monte Demichelis gab es im vergangenen Herbst. Nach einer Knöchelverletzung wurde der 29-Jährige einige Spiele von Louis van Gaal nicht berücksichtigt. Demichelis schäumte: "Ich bin nicht der einzige, der lange ausfiel. Aber ich muss um meinen Platz kämpfen. Das kann ich nicht verstehen. Es macht mich wütend und sauer!"
Seitdem hat sich die Lage etwas beruhigt. Demichelis spielte fortan - wusste zuletzt aber nicht gerade durch Leistung zu überzeugen. Nun steht wieder eine WM vor der Tür, am Mittwoch gastiert zudem Argentiniens Nationalmannschaft in München. Demichelis ist dabei und fungiert für den Tross um Diego Maradona als Fremdenführer.
"Das Länderspiel ist eine große Gelegenheit, meine Rolle für die Nationalmannschaft noch mal zu unterstreichen und mich gegen die deutsche Mannschaft zu beweisen", sagt Demichelis. "Es fehlt nicht mehr viel, Maradona zu überzeugen, dass ich der Richtige bin."
Der letzte Südamerikaner
Dementsprechend motiviert wird er die Aufgabe angehen und auch das Spiel des FC Bayern gegen den Hamburger SV am Sonntag. Weil Maradona im Stadion ist? "Ich hoffe, dass er da ist", sagt Demichelis. "Ich habe mir meinen Platz schließlich mit meinen Leistungen im Verein verdient. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn ich nicht bei Bayern auf gutem Niveau gespielt hätte."
Dennoch: Beim FC Bayern angekommen ist Demichelis nie so richtig. Er trägt das Trikot des Rekordmeisters mit Stolz, wie er immer wieder betont, und doch lässt sich die Distanz zwischen Argentinien und Deutschland nicht leugnen. Seit dieser Saison ist er zudem der letzte Südamerikaner im Kader. Demichelis fühlt sich zeitweilig isoliert, hat in der Mannschaft kaum Ansprechpartner.
"Auf dem Platz fühle ich mich wohl und bin auch sehr zufrieden. Aber manchmal ist es auch schwer für mich. Nach dem Spiel, nach dem Training, nach der Reise. Hier hat jeder nach dem Training sein eigenes Leben. Ich vermisse hier viel", sagte Demichelis am Freitag offen. Eine schwierige Phase für Demichelis, der mittlerweile Freundin Evangelina und Söhnchen Martin junior (neun Monate alt) permanent nach München geholt hat.
Evangelina allein zu Haus
Schon im Januar hatte er in einem "Kicker"-Interview betont, dass seine junge Familie in München nicht gut zurecht käme: "Ich war in den letzten Monaten mit der Nationalelf in Madrid und Barcelona, da fühlst du dich gleich ganz anders. Ich spreche darüber oft mit meiner Frau, sie ist den ganzen Tag mit unserem Sohn zu Hause. In Spanien wäre es für sie anders, da verstünde sie die Sprache."
Solange er bei Bayern spielt, ist alles in Ordnung. Dann ist er auch bei der WM dabei. Sein Vertrag läuft noch bis 2012.
Aber wird er ihn erfüllen? "Wenn ich nicht wichtig bin für die Mannschaft, gehe ich lieber zurück nach Hause", sagt Demichelis. Um wichtig zu sein, muss er aber seine Leistung stabilisieren. Nicht, dass es sonst wieder zu Missverständnissen kommt.