Es geschah im Juni 2005. Emanuel Pogatetz bestreitet sein letztes Spiel für Spartak Moskau. Ganze zehn Minuten sind gespielt, als Gegenspieler Yaroslav Kharitonskiy den Ball nahe der Seitenlinie am jungen Östereicher vorbeilegen will. Doch dazu kommt es nicht mehr. Pogatetz prescht mit seinen 1,89 Metern wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug in die Beine seines Gegners. Kharitonskiy krümmt sich am Boden, er schreit vor Schmerz. Sein Bein ist zweifach gebrochen.
Der rüde Blackout sorgte international für Aufsehen - die ursprüngliche Bestrafung für Pogatetz war nicht weniger spektakulär. Der damals 22-Jährige, der gerade einen Vertrag beim FC Middlesbrough unterschrieben hatte, wurde vom russischen Verband für 24 Spiele gesperrt - eine Sperre die auch im Ausland Bestand hatte.
Zweites Opfer: Rodrigo Possebon
Doch Pogatetz hatte Glück, mehr Glück als sein Gegenspieler: Nach einer Anhörung ließ sich der Verband auf acht Wochen herunterhandeln, er fehlte seinem neuen Verein nur für drei Partien. "Das war eine schwierige und unglückliche Situation. Da war keinerlei Absicht dahinter", rechtfertigte sich Pogatetz anschließend in diversen Interviews.
Doch auf der Insel sorgte er schließlich mit einer weiteren brutalen Szene beim Carling Cup 2008 erneut für Schlagzeilen. Im Spiel gegen Manchester United mähte Pogatetz den jungen Rodrigo Possebon kurz hinter der Mittellinie mit weit hochgezogenen Beinen rücksichtslos um. Die grausigen Bilder machten bald als Horror-Video (hier geht's zum Video) die Runde. Doch immerhin hatte sein Gegenspieler Glück im Unglück - der Startelf-Debütant der Red Devils kam mit einer Fleischwunde davon.
Pogatetz kassierte zu Recht die Rote Karte. Der knappe Kommentar von Sir Alex Ferguson traf es auf den Punkt: "Fürchterlich". Dass er selbst im hartgesottenen Mutterland der Grätsche den Beinamen Mad Dog erhalten hat, spricht für sich.
Hart. Aber fair?
Die zwei Szenen summierten sich schnell zum Bild des blutrünstigen Knochenbrechers. Spätestens seit dem Foul an Possebon muss sich Pogatetz immer wieder rechtfertigen - und Argumente gegen sein öffentliches Image vorbringen. In seiner zehn Jahre andauernden Profilaufbahn sah er lediglich vier Rote Karten, kam in den letzten drei Jahren in England ohne jede Gelb-Sperre aus (8 Gelbe Karten in 64 Partien). "Ich spiele zwar hart, aber immer fair. Ich bin grundsätzlich ein ehrlicher Spieler. Versteckte Fouls mache ich nicht", beschreibt er selbst seine Spielweise.
Die Härte, die er seinen Gegnern abverlangt, nimmt er konsequenterweise auch selbst in Kauf. "Ich würde einem Gegenspieler nie einen Vorwurf machen. Sobald man die weiße Linie überschreitet, weiß man, worauf man sich einlässt." Auf Typen wie Cristiano Ronaldo ist er indes nicht gut zu sprechen: "Ich hasse solche Spieler. Sie spielen körperlich nicht hart, aber fabrizieren Schwalben und schinden Elfmeter. Das ist für mich die schlimmste Krankheit im Fußball."
"Niemals weniger als 300 Prozent"
Pogatetz sieht den professionellen Fußball als Vollkontakt-Sport: Wer damit nicht zurechtkommt, solle sich einen anderen Job suchen. Keine platten Worthülsen des Abwehrspielers, das letzte Bundesligaspiel gegen Schalke 04 bestritt der Neuzugang von Hannover 96 trotz eines Nasenbeinbruchs. Ganz selbstverständlich.
Dieser Spirit machte ihn schon in England, insbesondere bei Middlesbrough, zum Publikumsliebling. 2007 wurde Pogatetz dort zum Spieler des Jahres gewählt. "Er gibt niemals weniger als 300 Prozent in einem Spiel", lobte sein damaliger Coach Steve McClaren.
Erster österreichischer Kapitän
Dabei war sein Karriereweg anfangs keineswegs so geradlinig wie seine Spielweise. Als 18-Jähriger wechselte er 2001 vom FC Kärnten nach Leverkusen. Fast fünf Jahre stand er bei Bayer unter Vertrag - und machte kein einziges Bundesligaspiel. Nach Jahren des Suchens und zahlreichen Vereinswechseln auf Leihbasis hatte er im Riverside Stadion in Middlesbrough seinen Wohlfühlplatz gefunden. Der kantige, niemals aufsteckende Pogatetz und die Premier League - das passte wie die Faust aufs Auge.
Er entwickelte sich dort stetig weiter, verbesserte seine Spieleröffnung und stieg sowohl bei Boro als auch in der österreichischen Nationalelf zum Kapitän auf. Er war der erste Österreicher überhaupt, der die Binde eines englischen Teams trug. Großes Herz bewies Pogatetz, als er dem Klub nach dem Abstieg in die Championship die Treue hielt.
Doch in der letzten Saison folgte plötzlich ein Rückschlag dem anderen. Verletzungsbedingt konnte er nur 13 Spiele für Middlesbrough machen. Der Wiederaufstieg mißlang, Pogatetz rutschte zudem aus dem Fokus des ÖFB-Teams. Ein gebrauchtes Jahr. Ein verlorenes Jahr.
Mad Dog an der Leine
Mit dem Wechsel zu Hannover 96 soll nun ein neues, erfolgreiches Kapitel in seiner Laufbahn eingeleitet werden. Furchtlos heuerte er bei der Schießbude der Liga an - und gab der Mannschaft vom ersten Tag an das, was sie so dringend benötigte: Stabilität und Führung: "Es ist einfach meine Art und Weise, auf dem Platz Kommandos zu geben und ich glaube, dass mich der Verein unter anderem auch deshalb verpflichtet hat", sagt Pogatetz.
Und er nimmt seine Rolle durchaus ernst, blickt als Leader auch über den Tellerrand des Verteidigers hinaus. "It's your fucking job!", brüllte er etwa 96-Stürmer Mikael Forssell an, der zuvor im Training eine 100-Prozent-Chance versemmelt hatte.
Die ersten Liga-Auftritte des Österreichers wirkten vielversprechend und bestätigten den guten Eindruck der Saisonvorbereitung. Wie das gesamte Team von Hannover 96 spürt auch Emanuel Pogatetz persönlich wieder deutlichen Aufwind. Zum ersten Mal nach einer längeren Verletzungpause steht er nun auch wieder im Kader der österreichischen Nationalmannschaft.
"Ich versuche, mich einfach durch Leistung aufzudrängen. In erster Linie war es für mich wichtig, wieder zurück zu alter Form zu finden und ich glaube, auf einem sehr guten Weg zu sein."
Emanuel Pogatetz im Steckbrief