Christian Heidel: Innovative Visionen

Von Stefan Rommel
Die Macher in Mainz: Manager Christian Heidel (l.) und Präsident Harald Strutz
© Getty

Das Prinzip Mainz und seine Protagonisten: Christian Heidel ist ein gewiefter Taktiker mit einer kleinen Schwäche - und mittlerweile auch einer der besten Manager der Liga.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

In der untersten Schublade war er schon. Rudi Assauer hatte ihn dorthin verortet, im Streit um das damalige Talent Mimoun Azaouagh und dessen Knieverletzung ging es gar nicht fein zur Sache.

Vielleicht lag es an Christian Heidels bodenständiger Vita, die im Vergleich zum schillernden Auftreten Assauers langweilig erschien. Der Macho, der Meister der Herzen, der Grandseigneur der Liga gegen den gelernten Bankkaufmann und Autohändler aus Mainz.

Bezirkssportanlage, 3000 Zuschauer

Anderthalb Dekaden führte Heidel das allenfalls mittelständische Unternehmen Mainz 05 im Ehrenamt. Für einen gebürtigen Mainzer zwar eine Herzensangelegenheit, aber ohne Aussicht auf die ganz große Welt des Fußballs. Kein Big Player, kaum Glamour und noch weniger Erfolge.

"Ich weiß, wo wir herkommen, wie alles begann, denn ich war dabei: auf einer besseren Bezirkssportanlage, 3000 Zuschauer", sagt Heidel im Rückblick. Und: "Ich hatte das Glück, den Manager-Job in Mainz von der Pike auf zu lernen und den Klub, wie mich, weiter zu entwickeln."

Alles begann 1991 mit einem sechsstelligen Etat. Heute hat der Klub einen 32-Millionen-Etat, 15 Millionen gehen in die Mannschaft, der Rest in die Lizenzspielabteilung. "Wir gehen da schon auf die 40 Millionen zu", sagt Präsident Harald Strutz. Er kennt seinen Weggefährten jetzt seit 20 Jahren.

Niemand wird von sich behaupten wollen, beruflich mehr Zeit mit Heidel verbracht zu haben, mehr zusammen gelacht und diskutiert zu haben und aus einem unbekannten Verein eine der derzeit heißesten Marken des europäischen Fußballs geformt zu haben.

Beeindruckende Zahlen

Überall auf der Welt wird über den FSV Mainz 05 berichtet. Selbst die "New York Times", die für Fußball so viel übrig hat wie Josef Ackermann für die zentrale Planwirtschaft, widmete den Rheinhessen einen ausführlichen Artikel.

Die Mitgliederzahlen sind von 1500 auf 10.800 gestiegen, der VIP-Club hat 2000 Fans - früher waren es 80. Kein anderer Bundesligist kann mit einem ähnlichen Wachstum aufwarten. Nächstes Jahr zieht der Verein vom altehrwürdigen, aber viel zu kleinen Stadion am Bruchweg in die Coface Arena um.

Der Sprung von 20.300 auf 34.000 Zuschauer pro Heimspiel und die damit garantierten Mehreinnahmen sollen der nächste Meilenstein in der Entwicklung eines Klubs werden, der von sich selbst behaupten kann, Kult zu sein, ohne dabei affektiert oder überheblich zu wirken.

Die Suche nach der Nische

In Mainz haben sie irgendwann begriffen, dass man sich seine eigenen Nischen schaffen muss. Falls möglich auch mit den Fingernägeln. Dass man kreativ sein muss und innovativ. Und genau hier kommt Heidel ins Spiel.

Er mag in seiner Art gewitzt sein und keck, forsch in seinen Ansagen und manchmal auch ein wenig provokant.

"Das sind seine Charakteristika. Er ist im Job auf der anderen Seite aber auch absolut zuverlässig, voller Ideen, voller Verantwortungsbewusstsein und voll des gegenseitigen Respekts für seine Mitstreiter. Er vereint alle Komponenten, die man als Führungskraft braucht", sagt Strutz im Gespräch mit SPOX. "Christian Heidel ist die innovative Vision."

Das Prinzip Mainz beruht dabei auf einem Ur-Vertrauen dem anderen gegenüber. "Man braucht da nicht nachzufragen, weil man weiß: Jeder macht alles im Sinne des Vereins", sagt Strutz. "Bei uns gibt es keine Profilneurotiker, die mitreden wollen", erklärt Heidel.

Neuerungen und frische Ideen

Wo andere sich längst ins Rampenlicht gerückt hätten, arbeitete er fast ein wenig im Verborgenen, erst seit sechs Jahren ist er hauptamtlicher Manager des Vereins. Davor floss für seinen Einsatz keine Mark und kein Euro. Noch nicht mal eine Aufwandsentschädigung.

Dabei sollte man den 47-Jährigen nicht zum alleinigen Baumeister des Mainzer Erfolgs verklären. Heidel ist vielmehr der Typ für die Neuerungen, für frische Ideen und manchmal auch gewagte Experimente.

Die Trennung von Aufstiegstrainer Jörn Andersen fünf Tage vor Liga-Beginn im letzten Jahr war mehr Heidels Bauchgefühl, als eine rationale Entscheidung. Und trotzdem genügte ihm eine Stunde, um sein Vorhaben im Vorstand durchzudrücken.

"Einer der besten Manager der Bundesliga"

Ähnlich wie Bayer Leverkusen hat Mainz ein Zukunftsmodell für sich entdeckt, bei dem viele in der Branche immer noch leicht die Nase rümpfen: Das Leihgeschäft. "Ein Leihgeschäft mit Option für einen langfristigen Vertrag ziehe ich grundsätzlich jedem Fix-Transfer vor", sagt Heidel.

Das ist besonders für einen kleineren Klub eine schöne Option. Große Fehlinvestitionen kann sich Mainz nicht leisten. Große Transfers wollen sie sich nicht leisten. Mainz besitzt als einer der wenigen Profi-Klubs in Deutschland keine eigene Scoutingabteilung.

Während andere ihre Späher rund um den Globus verteilt haben, vertraut Mainz hauptsächlich dem Gespür seiner leitenden Angestellten, Trainer Thomas Tuchel und eben Heidel, und deren Überzeugungskraft.

"Wir stellen uns ungeschönt und authentisch bei den Spielern vor, die wir haben wollen. Christian Heidel bringt hierfür alles mit, was einen guten Manager auszeichnet. Er ist ein gewiefter Taktiker. Für mich ist er einer der besten Manager der Bundesliga", lobt Strutz.

Nette Anekdote

Und er ist das heimliche Gesicht von Mainz 05. Heidel pflegt und kultiviert das Image des Vereins, das erdig und griffig sein soll, aber nicht aufgesetzt. Und uneitel, so wie er selbst.

Heidel hat ein Problem damit, mit dem Auto durch längere Tunnel zu fahren, wenn er selbst am Steuer sitzt. Viele seiner Kollegen würden die kleine Schwäche totschweigen. Er erzählt sie als Anekdote.

"Früher habe ich auf Urlaubsfahrten schon mal angehalten und mir in der letzten Kneipe vorm Tunnel jemand gesucht, der mich in meinem Auto durch fuhr."

Der Manager lebt vor, was er im Sinne des Vereins auch von seinen Kollegen erwartet. "Mit einem Trainer, der im Anzug und Zwirn an der Außenlinie steht, hätte ich Probleme. Das ist nicht Mainz 05", erklärt Heidel sein ganz persönliches Corporate Identity.

"Wir haben nichts dagegen, wenn der Trainer wie ein Irrwisch an der Linie herumläuft, den man manchmal bremsen muss - das ist mir lieber als ein Eisblock. Auch Thomas steht für diese Mentalität, obwohl er kein Mainzer ist."

Topadresse für die Jugend

Und weil Stillstand auch in Mainz Rückschritt ist, erscheint Heidel als die treibende Kraft. "Er hat etwas Umtriebiges, eine positive Unruhe", weiß Strutz. Die sieht für die nahe Zukunft vor, "die deutsche Topadresse für Spieler zwischen 18 und 23 zu werden", wie es Heidel formuliert.

Vor nicht allzu langer Zeit hätte der beschwingte Plan ein paar mitleidige Lacher erzeugt. Jetzt sollte man Mainz darin besser ernst nehmen. Erst vor ein paar Wochen hatte der VfB Stuttgart gemurrt, dass viele junge Talente plötzlich nach Mainz wollten - und nicht mehr zum VfB, dem (einstigen) Inbegriff deutscher Nachwuchsförderung.

Mainz 05 ist kein Underdog mehr und Heidel längst ein Manager von überdurchschnittlichem Format. Selbst Rudi Assauer wird das heute so zugeben müssen.

Ihn zwang Heidel vor über fünf Jahren quasi in die Knie. "Assauer führt sich auf wie ein Streetworker, der so tut, als hätte er Mimoun von der Straße holen müssen", hatte der damals noch relativ unbekannte Heidel die Attacken aus Gelsenkirchen frech gekontert, Assauer seine Aussagen der "untersten Schublade" bezichtigt.

Mitten hinein in die verbalen Scharmützel trat der FC Schalke mit Manager Assauer am Mainzer Bruchweg an, die Meisterschaft im Blick. Eine Woche zuvor hatte Schalke die Bayern 1:0 geschlagen und war Tabellenführer.

Es war der Tag der Einhundertjahrfeier des FSV und Mainz siegte 2:1. Schalke holte aus den acht Spielen danach nur noch zehn Punkte. Es war der Anfang vom Ende aller königsblauen Meisterschaftsträume.

Mainz 05 in der Taktikanalyse: Die Schlüssel des Erfolgs