SPOX: Herr Kutowski, Sie sind bis heute eine Dortmunder Legende. Können Sie sich erklären, wieso Sie zum Publikumsliebling der Fans wurden?
Günter Kutowski: Dortmund war lange Zeit eine Arbeiterstadt und meine Art Fußball zu spielen war ebenfalls sehr mit Arbeit verbunden. Es ist beim Publikum sehr gut angekommen, dass ich mit viel Leidenschaft gespielt und alles für den Erfolg getan habe. Der Rest hat sich mit der Zeit dann einfach so ergeben.
SPOX: Und das, obwohl Sie in Ihrer Profilaufbahn nur drei Tore erzielt haben.
Kutowski: (lacht) Es hätten schon ein paar mehr sein können. Ich war bei Standardsituationen vorne nicht eingeteilt und musste hinten bleiben. Das war damals anders als heute, wo viele Abwehrspieler vorne mit dabei sind.
SPOX: Sie haben in der Rückrunde 1984/1985 Ihr erstes Bundesligaspiel bestritten. Und dann gleich gegen den großen FC Bayern. Wie kam es dazu?
Kutowski: Das war damals meine erste Saison in Dortmund. Im ersten halben Jahr war ich etwas neben der Spur und hatte kaum Einsatzchancen. Nach der Winterpause konnte ich mich jedoch steigern und habe vom Verletzungspech anderer profitiert. Man hat mich eben ins kalte Wasser geworfen. Nach dem Spiel gegen die Bayern war ich auf einmal Stammspieler.
SPOX: Wie lief das Spiel?
Kutowski: Das war genial. Unser Stadion war natürlich ausverkauft. Als ich dann aus dem Kabinentrakt herausgekommen bin, überkam mich eine Gänsehaut. Danach habe ich versucht, mich so gut es geht auf die Geschehnisse auf dem Platz zu fokussieren. Das gelang auch, wir haben 1:1 gespielt. Ich kann mich aber noch gut erinnern, dass ich nach 60 Minuten von einem Krampf zum anderen gelaufen bin. Ich habe aber durchgehalten.
SPOX: 1984, also genau zu Ihren Anfängen als Profi, durchlebte der BVB eine große finanzielle Krise. Nur durch die Hilfe lokaler Sponsoren erhielt man damals die Lizenz. 1985 beendete man die Spielzeit nur auf Rang 14. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Unruhen im Verein?
Kutowski: Für mich als 19-Jähriger war das alles absolutes Neuland. Wenn man als Neuling in die Kabine kommt und Spieler wie Rolf Rüssmann oder Eike Immel vor sich hat, dann hat man sowieso etwas Ehrfurcht. Ich war damals sehr zurückhaltend. Als junger Spieler wird man nicht sofort in alle Geheimnisse des Vereins eingeweiht. Ich kann mich allerdings noch gut an ein Gespräch mit Reinhard Rauball erinnern, der damals als Not-Präsident eingesprungen war. Er sagte mir, dass wir auf Teile unseres Gehalts verzichten mussten. Was soll man da als junger Kerl dann sagen? (lacht) Ich habe natürlich zugestimmt.
SPOX: 1986 musste Dortmund sogar in die Relegation gegen Fortuna Köln. Wenn man heutzutage mit älteren Dortmunder Fans spricht, heißt es immer, dass der Torjubel beim erlösenden 3:1 von Jürgen Wegmann im Rückspiel, durch das man das Entscheidungsspiel erreichte, noch immer als der lauteste Jubel gilt, den es jemals im Dortmunder Stadion gegeben hat. Sie waren dabei, stimmt das?
Kutowski: Das kann ich absolut nachvollziehen. Das war ein enormer Jubel voller Erleichterung. Wir hatten das Hinspiel in Köln relativ arg verbockt (0:2, Anm. d. Red.). Im Rückspiel haben wir zwar gut gespielt, aber ich selbst hatte nicht mehr mit dem 3:1 gerechnet. Durch das Tor ist aber beispielsweise Jürgen Wegmann zu einer Dortmunder Legende geworden. Manchmal reichen eben auch ein paar Sekunden.(lacht)
SPOX: Was wäre mit dem Verein passiert, wenn man damals abgestiegen wäre?
Kutowski: Man hätte sicherlich eine Talsohle durchschreiten müssen, ganz klar. Allerdings glaube ich, dass die Zuschauer in Dortmund auch bei einem solchen Szenario zum Verein gestanden hätten. Zu diesem Zeitpunkt standen mit Rauball und Gerd Niebaum auch bereits Leute an der Spitze, die den Verein dann auch wieder in ruhiges Fahrwasser geleitet hätten. Ob der direkte Wiederaufstieg gelungen wäre, weiß ich aber nicht.
SPOX: In der Folge erholte sich die Borussia sportlich wieder und zog auch in den UEFA-Cup ein. Nach einem 3:0-Heimsieg setzte es in Brügge eine legendäre 0:5-Pleite.
Kutowski: Das war ein wirklich außergewöhnliches Spiel. Wir hatten einige verletzte Spieler zu beklagen. Ich glaube, dass wir uns nach dem Hinspiel einfach zu sicher gefühlt haben. Im Nachhinein wäre es besser gewesen, wenn wir das erste Spiel nur 2:0 gewonnen hätten, denn dann wären wir mit einer anderen Einstellung in die Partie gegangen. Die Umstände in Brügge waren für uns zudem recht ungünstig. Es war kalter Winter, der Platz knallhart gefroren, da sind wir einfach nicht ins Spiel gekommen und haben die Geschehnisse über uns ergehen lassen.
SPOX: Zu dieser Zeit waren Sie fester Bestandteil der Mannschaft. Als es in den 1990er Jahren mit dem BVB sportlich immer weiter bergauf ging, sanken Ihre Einsatzzeiten jedoch immer mehr.
Kutowski: In den ersten zwei Jahren unter Ottmar Hitzfeld war ich noch Stammspieler, da haben wir 1992 auch die Vizemeisterschaft geholt. Danach wurde es immer weniger, da dem Verein mit der Zeit auch andere Mittel zur Verfügung standen. Das Ziel von Gerd Niebaum war, eine europäische Spitzenmannschaft zu formen. Dazu wurde Geld in die Hand genommen und Spieler verpflichtet, die auf sehr hohem Niveau gespielt haben - beispielsweise Andreas Möller, Stefan Reuter, Jürgen Kohler oder Julio Cesar. Das waren Spitzenleute, die den Verein nach vorne gebracht haben. Für mich war das letztendlich Pech.
SPOX: Das haben Sie damals aber sicher anders gesehen?
Kutowski: Klar, es sind auch einige Verpflichtungen getätigt worden, wo ich mir dachte, dass ich sicherlich nicht schlechter bin als die. Ich war zwar nicht neidisch auf deren Gehalt oder Vita, aber ich war weiterhin von mir überzeugt und hätte mir in diesen Jahren mehr Einsätze gewünscht und auch zugetraut. Der Trainer wollte jedoch eine neue Mannschaft formen und dadurch bin ich immer mehr aufs Abstellgleis geraten.
SPOX: Haben Sie zu jener Zeit einmal den Gedanken gehabt, den Verein zu verlassen?
Kutowski: Es gab immer mal wieder Anfragen. Ich fühlte mich in Dortmund aber sehr wohl. Das war, ist und bleibt mein Verein. Ich habe es lange hinausgezögert, bis ich letztlich den Entschluss gefasst habe, zu gehen. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht doch ein oder zwei Jahre zu spät.
SPOX: Wie bewerten Sie die Zeit Ihres Reservistendaseins im Nachhinein? Fühlen Sie sich beispielsweise als deutscher Meister 1995 und 1996?
Kutowski: Auf jeden Fall. Ich war Teil der Mannschaft. Auch wenn ich nur sehr wenig eingesetzt wurde, muss man sich ja vorstellen, dass man den ganzen Tag mit der Mannschaft zusammen ist. Daher sehe ich mich schon als deutscher Meister.
SPOX: Ihren legendärsten Auftritt hatten Sie 1992 im UEFA-Cup-Spiel in Saragossa. Sie hatten sich böse am Kopf verletzt. Erzählen Sie mal.
Kutowski: Das sah natürlich sehr wüst aus. Die Wunde entstand nach einem Zweikampf mit Andreas Brehme, der damals in Spanien spielte. Es war eigentlich eine dumme, aber auch alltägliche Aktion. Ich ging irgendwo im Mittelfeld mit dem Kopf und er eben mit dem Fuß zum Ball. Dann hat es geknallt...
SPOX: ...und Sie bekamen einen Turban aufgesetzt, der aber nach kurzer Zeit wieder vollständig durchgeblutet war.
Kutowski: Ich wollte auf jeden Fall weiterspielen. Ich hatte auch keine großen Schmerzen. Die Wunde hat einfach nicht aufgehört zu bluten. Zum Glück ging es am Ende dann aber.
SPOX: Wie fühlten Sie sich, als das Adrenalin weniger wurde?
Kutowski: Ich musste nach dem Spiel dummerweise auch noch zur Dopingkontrolle. Von daher hatten wir genug Zeit, um die Wunde ordentlich zu nähen. Ich habe mir auch noch eine Tablette eingeworfen. Der Brummschädel kam erst ein oder zwei Tage später. Dank des Sieges in Saragossa fiel mir die ganze Geschichte aber deutlich leichter, als es möglicherweise nach einer Niederlage der Fall gewesen wäre.
SPOX: Wie oft werden Sie auf dieses Spiel heute noch angesprochen?
Kutowski: Ständig. Das finde ich manchmal auch etwas schade. Ich habe viele gute Spiele gemacht, die endeten aber nicht alle so blutig.(lacht)
SPOX: Wenige Jahre nach Ihrem Karriereende stand es sehr schlecht um den BVB. Wie haben Sie die Zeit erlebt, als der Verein kurz vor dem Ruin stand?
Kutowski: Ich wohne ja nach wie vor in Dortmund und bin hier verwurzelt. Das war damals überall Stadtgespräch und eine sehr harte Zeit. Die Leute haben sich Sorgen gemacht und hatten regelrecht Angst um ihren Verein. Viele Fans sagten, dass man nun eben mit 40.000 Zuschauern in der Oberliga angreifen müsse. Man konnte spüren, dass die Menschen ihren Verein nicht zugrunde gehen lassen wollten. Auf ihre Unterstützung war schon immer Verlass.
SPOX: Wer trägt für Sie die Schuld an der finanziellen Misere?
Kutowski: Es hatten mehrere Leute damit zu tun. In erster Linie muss man die sportliche Leitung und die Vereinsspitze nennen, die ja in allen Punkten Durch- und Einblick hatten. Man wollte den Erfolg um jeden Preis und hat dabei viele Dinge über- und unterschätzt und den Gesamtüberblick verloren.
SPOX: Sie sind der Borussia immer noch verbunden und geben den Spielführer der BVB-Traditionsmannschaft. Wie sind Sie denn zu dieser Ehre gekommen?
Kutowski: Der Titel des Spielführers ist mittlerweile etwas übertrieben. Ich bin nur noch sportlicher Leiter der Mannschaft, da ich körperliche Probleme habe und kaum mehr selbst auflaufen kann. Theo Redder hat mir vor ungefähr vier Jahren die Mannschaft übergeben.
SPOX: Wie oft wird findet man sich im Jahr zusammen?
Kutowski: Wir haben zehn bis zwölf Spiele im Sommer und zwei bis vier Hallenturniere im Winter. Einmal im Jahr nehmen wir an einem internationalen Turnier in Fuerteventura teil. 15 bis 17 Events kommen so im Jahr zusammen.
SPOX: Wer kickt denn da alles so mit?
Kutowski: Michael Schulz, Günter Breitzke, Michael Lusch, Martin Kree, Lothar Sippel, Billy Reina, Michael Rummenigge, Steffen Freund, Rene Tretschok, Jörg Heinrich, Thomas Helmer - die sind alle mehr oder weniger regelmäßig am Start.
SPOX: Sie arbeiten zudem als Spielerberater. Seit wann genau machen Sie das?
Kutowski: Das war eigentlich ein nahtloser Übergang nach meinem Karriereende. Ich habe bei Lothar Heinze in der Agentur angefangen. Lothar war mein Berater in finanziellen Dingen. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Lothar hat dann zusammen mit Thomas Helmer die Agentur "Heinze & Partner" gegründet, doch da sich Thomas für eine andere Richtung entschieden hat, brauchte der Lothar jemanden, der sich im Sportbereich auskennt. Mittlerweile bin ich aber selbstständig.
SPOX: Wollen Sie diese Arbeit in Zukunft größer fahren und sich einer Spieleragentur anschließen?
Kutowski: Ausschließen will ich das nicht. Auf der anderen Seite genieße ich es im Augenblick, mein eigener Chef zu sein und das umzusetzen, was ich mir vornehme.
SPOX: Sie sind jetzt seit einiger Zeit nur noch Fan und Beobachter der Borussia. Hätten Sie gedacht, dass die aktuelle Philosophie so schnell greift?
Kutowski: In allererster Linie freue ich mich über diese Entwicklung und bewundere den Mut, kontinuierlich auf junge Spieler zu setzen. Es geht seit zwei Jahren wieder bergauf und macht momentan viel, viel mehr Spaß, sich BVB-Spiele anzusehen als andere Partien. Dennoch: Wir haben noch nichts erreicht.
SPOX: Dennoch scheint Jürgen Klopp mehr als ideal nach Dortmund zu passen.
Kutowski: Ich habe schon bei Klopps Verpflichtung gesagt, dass er genau der richtige Trainer für Dortmund ist. Er ist sehr emotional an der Linie, hält seine Meinung nicht zurück, ist sehr offen, geht auf die Leute zu - das sind Dinge, die super nach Dortmund passen.
SPOX: Am Sonntag kommt es zur gleichen Partie wie bei Ihrem Bundesligadebüt, Dortmund spielt gegen die Bayern (17.15 Uhr im LIVE-TICKER). Wie lautet Ihr Tipp?
Kutowski: Auch wenn ich der jungen Mannschaft damit keinen Gefallen tue, denke ich dennoch, dass Dortmund zum jetzigen Zeitpunkt Favorit ist. Ich gehe von einem Dortmunder Sieg aus, zumal die Bayern ja auch nicht in Bestbesetzung antreten können.
Günter Kutowski im Steckbrief