"Dann wird Herr Hoeneß was vom Konto holen"

Von Interview: Stefan Moser
Piotr Trochowski wechselte 1999 von St. Pauli zur Bayern-Jugend. 2005 die Rückkehr an die Elbe
© Getty

Piotr Trochowski wurde in München zum Bundesligaprofi und wechselte 2005 als eines der größten Mittelfeldtalente zum Hamburger SV. Vor dem Topspiel gegen die Bayern (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) spricht der 26-Jährige über seine Entwicklung beim HSV, den Druck der Medien, seine Rolle als Sündenbock und das berühmte Festgeldkonto des Rekordmeisters.

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SPOX: Piotr Trochowski, zusammen mit dem Wolfsburg-Spiel sahen viele den Sieg in Mainz als die beste Saisonleistung des HSV. Sie waren trotzdem unzufrieden - was hat Sie gestört?

Piotr Trochowski: Ich war gar nicht unzufrieden. Das wäre wohl ein bisschen vermessen. Immerhin ist es uns als erster Mannschaft gelungen, die Mainzer zu schlagen. Wir haben ein gutes Spiel gemacht. Aber es gibt immer Dinge, die man besser machen kann. Mitte der zweiten Hälfte haben wir uns zu sehr in die eigene Hälfte drängen lassen und hatten keine Spielkontrolle mehr.

SPOX: Die "Bild" hatte das Spiel zur "letzten Chance für Trochowski" erklärt. Haben Sie die Chance genutzt?

Trochowski: Die Zeitungen jedenfalls waren wohl einigermaßen zufrieden mit mir. Insofern also: Chance genutzt.

SPOX: Das klingt trotzig. Weil diese zugespitzten Formulierungen zusätzlich Druck erzeugen?

Trochowski: Den größten Druck macht man sich als Spieler doch selbst. Ich gehe doch nicht auf den Platz und sage mir: 'Heute will die Bild-Zeitung oder welches Medium auch immer eine besonders tolle Leistung von dir sehen, also gib Gas.' Ich sehe mich als Teil der Mannschaft, es geht nicht darum, meine persönliche Leistung heraus zu stellen.

SPOX: Druck entsteht aber auch im Umfeld: Fans und Medien wirken in diesem Jahr oft besonders kritisch. Hat die Mannschaft in der abgelaufenen Rückrunde "emotionalen Kredit" verspielt?

Trochowski: Das mag sein. Die Enttäuschung am Ende der vergangenen Saison war natürlich enorm. Zum zweiten Mal in Folge ein Halbfinal-Aus im internationalen Wettbewerb schmerzt richtig. Dazu die Zielvorgabe in der Bundesliga verfehlt, ein Trainerwechsel. Da muss man sich bestimmt auch als Fan erst wieder sammeln und orientieren. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die Leute wieder komplett hinter uns zu bringen.

SPOX: Im Vergleich zu vielen nominellen Konkurrenten steht der HSV mit Platz fünf ordentlich da, doch die Mannschaft schwankt stark in ihren Leistungen. Wie sehen Sie den Saisonstart?

Trochowski: Wir hätten gern ein paar Punkte mehr auf dem Konto. In den Spielen gegen Wolfsburg und Bremen haben wir welche liegen gelassen. Noch sind die meisten Mannschaften in der Tabelle eng zusammen, in den nächsten Wochen wird das Feld sich nach und nach auseinander reißen. Wir wollen dann unbedingt nach oben mitgehen. Dafür brauchen wir jetzt den nächsten Sieg gegen die Bayern.

SPOX: Tatsächlich steht die Tabelle nach wie vor etwas auf dem Kopf, große Mannschaften hängen im Keller, während vermeintlich kleine für Überraschungen sorgen: Noch immer eine Spätfolge der WM?

Trochowski: Schwierig zu beantworten. Klar ist, dass andere Vereine aufgeholt haben. Die Erfolge von Mainz, Freiburg und St. Pauli sind kein Zufall. Dort wird seit Jahren gut gearbeitet. Dazu haben sie den großen Vorteil, sich in Ruhe entwickeln zu können. Bei den Traditionsvereinen bricht nach zwei Niederlagen in Folge dagegen die Welt zusammen und es werden Köpfe gefordert. In Mainz hat man die starke Verbindung von Fans, Mannschaft und Umfeld gespürt. In Freiburg hat man sich nicht beunruhigen lassen, als es in der vergangenen Saison gegen den Abstieg ging. St. Pauli hat die ständigen Querelen hinter sich gelassen und präsentiert sich als Einheit.

SPOX: Aber Schalke und Stuttgart auf Abstiegsplätzen?

Trochowski: Insgesamt wird es für die etablierten Vereine schwerer. Über Jahre alle drei Tage Top-Leistungen abzurufen, ist eine echte Herausforderung. Dazu kommen die vielen Abstellungen für die Nationalmannschaften - da kann es schon zu Schwankungen kommen. Dennoch bin ich überzeugt, dass sich das Tabellenbild noch zurecht rücken wird. Ein, zwei Überraschungsteams sind ja jedes Jahr dabei.

SPOX: Mit dem HSV und Bayern treffen am Freitag die beiden dominantesten Mannschaften der Liga aufeinander. Im Augenblick spricht die Tabelle aber eher für Teams, die wenig Ballbesitz haben und das Mittelfeld schnell und mit Risiko überbrücken. Wer hat nun Recht: Die Tabelle oder Armin Veh und Louis van Gaal?

Trochowski: Wir jedenfalls wollen dominant auftreten, den Ball spielen und sofort mit Tempo hinterher gehen. So geht es auch schnell aus dem Mittelfeld in die Spitze. Und das macht auch am meisten Spaß. Vorausgesetzt, es werden dann auch Tore geschossen. Gegen Wolfsburg hatten wir ungefähr 70 Prozent Ballbesitz, 15 zu null Ecken und 35 zu vier Torschüsse. Am Ende stand es 1:3. Das macht keinen Spaß.

SPOX: In der aktuellen Mannschaft stehen fünf Spieler mit Bayern-Vergangenheit. Ist die momentane Situation in München zwischen Ihnen, Ze Roberto, Jansen, Guerrero oder Jarolim noch Thema?

Trochowski: Eigentlich nicht. Wir sprechen über uns und arbeiten an unserer Entwicklung. Die Bayern werden schon noch kommen. Wenn im Winter ein paar Punkte fehlen, wird der Herr Hoeneß sicher noch was vom Konto holen. Im letzten Jahr sind die Bayern auch nicht so gut gestartet, dann haben sie mal eben Arjen Robben verpflichtet. Bis heute Abend wird das aber nicht möglich sein. Es wird ein spannendes, enges Spiel. Hoffentlich mit dem besseren Ende für uns.

SPOX: Als Sie 2005 von München nach Hamburg gewechselt sind, galten Sie als eines der größten deutschen Mittelfeldtalente. Beim HSV wechselten sich erfolgreiche Phasen mit weniger erfolgreichen ab. Wie sehen Sie selbst Ihre Entwicklung?

Trochowski: Der HSV hat sich in den vergangenen Jahren richtig gut entwickelt. Es hat zwar noch nicht zum ganz großen Wurf gereicht, aber wir waren schon ein paar Mal ganz dicht dran. Ich habe diese Entwicklung in all den Jahren begleitet, bin hier auch zum Nationalspieler geworden. Es geht aber nicht darum, das Zurückliegende zu beurteilen. Mir geht es aktuell darum, meinen Platz und meine Position in der Mannschaft zu finden. Jetzt ist doch entscheidend.

SPOX: Sie sind in Hamburg aufgewachsen, sind lange beim HSV, haben wichtige Tore geschossen, gelten als ehrgeizig und fleißig - und müssen trotzdem immer wieder als Sündenbock herhalten. Warum eigentlich?

Trochowski: Ich habe mich häufiger mal sehr selbstbewusst geäußert und halte das auch für richtig. Mir ist aber auch klar, dass die Erwartungshaltung dadurch steigt und die Kritik rauer wird, wenn es nicht so funktioniert. Es geht aber in erster Linie darum, sich selbst vernünftig einzuschätzen. Kritik von außen - egal ob positiv oder negativ - bringt da nur bedingt etwas. Ich weiß, wo meine Stärken und Schwächen liegen. Dann geht es darum, die Stärken so oft wie möglich einzubringen und an den Schwächen zu arbeiten, sie abzustellen.

SPOX: Sie sagen selbst, Sie stehen am Übergang vom jungen Spieler zum gestandenen Profi, von dem auch Führungsqualitäten verlangt werden. Zudem läuft Ihr Vertrag 2011 aus: Ist diese Saison ein Schlüsseljahr für Ihre weitere Karriere?

Trochowski: Das würde ich nicht so sagen. Ich möchte jetzt auch gar nicht so weit denken. Gerade habe ich genügend Schlüssel in der Tasche. Im Fußballgeschäft ändern sich die Dinge tagtäglich. Es geht mir jetzt darum, meine Stärken hier beim HSV einzubringen und Spaß mit meiner Mannschaft zu haben. Dann kommt alles andere von selbst.

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