Eine schicksalhafte Begegnung mit dem FC Chelsea endete für Heung-Min Son mit einem Mittelfußbruch. Doch nun verzaubert das Wunderkind aus Südkorea den HSV mit seinem unbekümmerten Fußball. Dabei wäre er als 16-Jähriger fast durchs Raster gefallen.
4. August 2010, der Hamburger SV feiert die Saisoneröffnung mit einem Testspiel gegen den FC Chelsea. Und Ricardo Carvalho versteht die Welt nicht mehr. Der Abwehrchef der Londoner schüttelt den Kopf, hebt hilflos die Arme und winkt schließlich wütend ab. Einer der besten Innenverteidiger Europas war gerade von einem Kind düpiert worden.
Ein 18-jähriges Milchgesicht erobert in der 87. Minute den Ball, dringt halbrechts in den Strafraum ein und zieht zur Mitte: Kurze Körpertäuschung, mit schnellen Schritten locker vorbei an Carvalho - und ein trockener Linksschuss zum 2:1-Siegtreffer für den HSV. Knapp 50.000 Zuschauer feiern einen Teenager aus Südkorea: Heung-Min Son.
Shootingstar der Sommervorbereitung
Der hoch begabte Angreifer war der Shootingstar der Hamburger Sommervorbereitung, traf zuvor bereits acht Mal in acht Spielen, allerdings noch nie gegen einen so renommierten Gegner - und noch nie vor einer vergleichbaren Kulisse.
Und trotzdem flossen nur wenige Minuten später bittere Tränen. Eine perfide Ironie des Schicksals hatte Son in der Nachspielzeit noch einmal zu Carvalho geführt: Im Kampf um den Ball brach ein Knochen im Mittelfuß. Operation, Gips, acht Wochen Pause.
"Erst habe ich mich so gefreut. Und jetzt das! Das ist ganz bitter. Ich bin so traurig", sagte der tragische Held, gestützt von Pressesprecher Jörn Wolf, noch in der Mixed Zone. Es war das erste Mal, dass man Son in Hamburg weinen sah.
Cardoso: "Son ist immer gut gelaunt"
Denn bis dahin hatte der Südkoreaner halb Hamburg mit einem unerschütterlichen Dauerlächeln verzaubert. Auch U-23-Trainer Rodolfo Cardoso: "Son ist sehr respektvoll, immer gut gelaunt und sehr offen. Ein unheimlich positiver Mensch, deshalb mögen ihn alle", erzählt der ehemalige HSV-Profi im Gespräch mit SPOX.
Von Anfang an war Cardoso beeindruckt vom Auftreten seines Schützlings: "Er kam aus Südkorea hierher und wusste, dass er vielleicht nur über den Fußball etwas erreichen kann. Das ist sein Traum, und dafür tut er alles. Er trainiert, geht zur Schule, lernt Deutsch - und trainiert wieder. Seine Tage sind nicht bestimmt von Playstation und Computer. Wenn er frei hat, trainiert er trotzdem - mit einem Lächeln im Gesicht."
Mit seiner Mischung aus kindlicher Unbekümmertheit und zielstrebigem Ehrgeiz kämpfte sich Son mittlerweile auch nach seiner Verletzung wieder zurück, trainierte geduldig im Kraftraum oder im Schwimmbecken und griff - zum Schrecken der Ärzte - auch schnell wieder zum Ball.
Ein Bein im Gips, das andere am Ball
Wenn ihm die Decke in seinem 15-Quadratmeter-Zimmer in Norderstedt auf den Kopf zu fallen drohte, schlich er sich aus dem HSV-Internat und übte: Ein Bein im Gips, mit dem anderen die Kugel hochhalten.
Die Heilung verlief trotzdem nach Plan, und so gab Son am Samstag in Köln schließlich sein Bundesligadebüt für den HSV - und wurde prompt zum jüngsten Torschützen der Vereinsgeschichte.
Zwar ging das Spiel am Ende mit 2:3 in die Binsen, doch Trainer Armin Veh ließ es sich dennoch nicht nehmen, seinen Youngster nicht nur für den technisch anspruchsvollen Treffer zu loben: "Dass ich den Jungen nach so einer langen Pause überhaupt einsetze, ist schon nicht normal. Aber wie er es dankt, mit welcher Frische und Unbekümmertheit er ans Werk geht, das war Belohnung genug."
Veh: "Son wird sich durchsetzen"
Schon vorher war Veh überzeugt: "Son wird sich durchsetzen. Den Jungen gebe ich nicht mehr her. Er kann mit 18 Jahren schon so viel wie andere Profis mit 30 nicht."
Auch Cardoso war bei seiner Ankunft über den fußballerischen Entwicklungsstand des jungen Angreifers überrascht.
"Er hat noch Schwächen im taktischen Bereich, aber ich war erstaunt über die technische Ausbildung. In Südkorea wird viel auf Technik trainiert. Die haben alle eine hervorragende Ballbeherrschung und außerdem einen entscheidenden Vorteil: Sie sind schneller als alle anderen", sagt er.
Ungewöhnlich athletisch
Tatsächlich nutzt Son seine Schnelligkeit und Technik, um Eins-gegen-eins-Situationen für sich zu entscheiden. Dank seiner beidfüssig guten Schusstechnik sucht er auch häufig den Abschluss. Sein ungewöhnlich athletischer Körperbau und seine läuferischen Qualitäten kommen der dynamischen Spielweise zusätzlich entgegen.
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"Er hat absolutes Stürmerblut und seine Laufwege schmerzen den Gegner. Es gibt kaum einen Stürmer in seinem Alter, der solche Laufwege geht", schwärmt Cardoso. Auch er ist sich sicher, dass Son seinen Weg bei den Profis gehen wird.
Dabei wäre das Talent den Hamburgern beinahe schon durchs Raster gefallen. Als 16-Jähriger kam Son bereits 2008 im Rahmen einer Kooperation mit dem südkoreanischen Fußballverband (KFA) zusammen mit zwei Landsleuten zum HSV.
Rückkehr nach Südkorea
Sein Potential war auch damals schon zu erkennen, doch mit den Querelen um den Abschied des damaligen Sportchefs Dietmar Beiersdorfer lag zum einen den Zusammenarbeit mit dem KFA auf Eis, zum anderen glaubten nicht alle im Verein an eine positive Entwicklung.
"Son hatte anfangs auch seine Probleme in Deutschland. Er war fast nur mit den anderen beiden Jungs zusammen, da war es nicht leicht, Kontakt aufzubauen", erinnert sich Cardoso. Im Juni 2009 kehrte Son also nach Südkrorea zurück, das Kapitel Hamburg schien nach einem Jahr bereits beendet.
Entscheidung pro HSV
Doch dann kam im November die U-17-WM in Nigeria. Son überzeugte im Nationaltrikot - und weckte damit das Interesse etlicher Vereine aus Frankreich, England und Deutschland. Trotz zahlreicher Angebote entschied er sich aber für eine Rückkehr nach Hamburg, wo er an seinem 18. Geburtstag schließlich einen Profivertrag bis 2012 unterschrieb.
"Beim zweiten Mal kam er alleine", sagt Cardoso. "Das war sehr gut für ihn. So hat er sich sehr schnell integriert." Um die Integration in die Profimannschaft kümmerte sich vor allem sein neuer Ziehvater Ruud van Nistelrooy - Sons großes Idol aus Kindertagen.
"Ruud hilft mir sehr, sagt mir, wie ich was machen muss. Er spricht viel mit mir, auch außerhalb des Platzes", erzählt Son mit glänzenden Augen. Und dann macht er, was er immer macht. Er lächelt.