Es ist derzeit so etwas wie die Frage aller Fragen im Fußball hierzulande. Nicht ob Dortmund oder Bayern Meister wird, sondern: Welches Trikot hätten's gern - weiß oder rot? Also: Deutschland oder Türkei?
Die Türken möchten keinen zweiten Fall Özil erleben, und die Deutschen keine Spieler verlieren, die man gefördert und zu potenziellen A-Nationalspielern ausgebildet hat. Verständnis haben kann man für beide Seiten.
Sicher hat auch Ömer Toprak Verständnis für vieles, doch nicht dafür, dass er sich immer wieder mit einem Thema konfrontiert sieht, mit dem er eigentlich nichts zu tun haben will.
So reagierte er am vergangenen Samstag sichtlich genervt auf Nachfragen zum Thema, die natürlich kommen mussten, weil schließlich der türkische Nationaltrainer Guus Hiddink in Hannover auf der Tribüne gesessen hatte.
Auf dem Weg zu alter Stärke
Topraks Ärger ist nachvollziehbar. Er hat andere Prioritäten als die Wahl der passenden Trikotfarbe. Oder sollte man sagen: andere Sorgen?
Ömer Toprak ist auf der Suche nach seiner alten Form, seiner alten Stärke, auf dem Weg zurück zu jenem Leistungsniveau, das er einmal hatte, bevor ihm das Schicksal einen dicken Knüppel zwischen die Beine warf.
Blick zurück: Als B-Jugendlicher wechselt Toprak 2005 aus seiner Geburtsstadt Ravensburg nach Freiburg zum SC. Dort ist man von seinen Anlagen vollauf überzeugt. Toprak verkörpert den Prototyp des modernen Innenverteidigers, ist technisch stark, schnell und behände und löst Problemstellungen im Spiel lieber mit Hirn und Auge als mit dem Tackling.
Mit DFB U-19-Europameister
Im Sommer 2008, er hat gerade mit Freiburg II die Oberliga und mit der A-Jugend die deutsche Meisterschaft gewonnen, debütiert er bei der EM in Tschechien unter Trainer Horst Hrubesch in der deutschen U-19-Nationalmannschaft. Im Eröffnungsspiel gegen Spanien gelingt ihm gleich ein Tor und keine zwei Wochen später ist er Europameister.
Das Tempo ist hoch und es bleibt hoch, doch er kann es gehen.
Er absolviert sein erstes Pflichtspiel für die Profis und ist eine feste Größe in einem Team, das schon drei Spieltage vor Saisonschluss als Zweiligameister und Aufsteiger feststeht. Das nächste Ziel ist klar: in der Bundesliga spielen.
Doch auf seinen ersten Einsatz im Fußball-Oberhaus muss Ömer Toprak lange warten. Seine Karriere erlebt eine Zäsur, eine gewaltsame, durch seinen schweren Kartunfall am 9. Juni 2009.
Nach Kart-Unfall auf Intensivstation
Sieben Monate dauert es, ehe er wieder für den Sport-Club in einem Freundschaftsspiel aufläuft. Wenig später, im Januar 2010, macht er seinen Traum von der Bundesliga wahr, als er in Hamburg in der 65. Minute eingewechselt wird.
Das Comeback als solches grenzt schon an ein Wunder. Zwei Wochen liegt er mit seinen schweren Verbrennungen, die er erlitt, als der Benzintank des Karts vor ihm explodierte, auf der Intensivstation.
Zwei Monate verbringt er insgesamt im Krankenhaus, wird sieben Mal operiert. Es heißt, hier stehe nicht nur eine Fußballerkarriere auf dem Spiel, vielmehr gehe es darum, dass er überhaupt wieder gesund werde.
"Erst war es schon ein ziemlicher Schock. Es hätte auch noch schlimmer kommen können", erzählt Toprak im Gespräch mit SPOX. "Aber ich habe nach vorne geschaut, und die Ärzte haben mir versichert, dass es wieder gehen wird. Und mit dieser Zusage, dass es wieder wird, war es eine absolute Selbstverständlichkeit für mich, auch daran zu glauben."
"Ich habe immer an mich geglaubt"
Von diesem Gefühl von "absoluter Selbstverständlichkeit" sind Topraks Aussagen geprägt, wenn man mit ihm über die Zeit nach dem Unfall spricht.
Man kann ihm glauben, wenn er sagt, er habe das Unglück schnell verarbeitet und sich an die Arbeit gemacht, denn Toprak sagt, was er denkt und meint, was er sagt.
"Ich wollte unbedingt wieder zurück. Das war mein Traum. Und da war keine Reha-Einheit, keine zusätzliche Einheit ein Problem für mich. Ich hab einfach Gas gegeben. Was andere gesagt haben, irgendwelche Pressemenschen, hat mich nicht interessiert. Ich habe immer an mich geglaubt", erzählt er und fügt lachend an: "Und das zu Recht."
Kleinigkeiten zu schätzen gelernt
Toprak sagt auch, was alle sagen, die einen vergleichbaren Schicksalsschlag zu verkraften haben: Dass sich das Leben in gewisser Weise verändert, weil man Kleinigkeiten wieder mehr zu schätzen lernt und dass man an der Situation gereift sei.
Er ist aber gleichzeitig weit davon entfernt, die Vergangenheit beim Blick in den Rückspiegel zu verklären. Dem Gedanken etwa, die erzwungene Pause könnte vielleicht auch einen positiven Aspekt gehabt haben, kann er gar nichts abgewinnen.
"Was heißt hier Pause? Davon konnte man nicht sprechen. Ich musste ja durch die Reha. Ich hatte es selbst in der Hand, meinen Traum von der Bundesliga zu verwirklichen, wobei ich nicht fand, dass es vorher zu schnell ging."
Mit dem hohen Tempo konnte er umgehen, jetzt ist seine Geduld gefragt, denn den Weg zurück hat er erst zur Hälfte gemeistert.
"Ich habe das Fußballspielen nicht verlernt"
"Ich weiß um meine Qualitäten und habe das Fußballspielen nicht verlernt", sagt Toprak. "Ich brauche jetzt meine Zeit - und ich merke, wie es von Training zu Training, von Spiel zu Spiel besser geht."
Unter viel ungünstigeren Umständen als er hat wohl selten ein junger Spieler seine ersten Bundesliga-Erfahrungen gesammelt. Als sich sein Team auf die vergangene Saison vorbereitete, lag er im Krankenhaus und ließ komplizierte Hauttransplantationen über sich ergehen. Im vergangenen Sommer musste er sich einem Eingriff am Knie unterziehen und verpasste einen guten Teil der Vorbereitung - eine Hypothek, die ihm immer noch zu schaffen macht.
Ömer Toprak ist immer noch ein Bundesliga-Neuling, auch wenn er inzwischen auf 25 Einsätze zurückblickt.
Nationalmannschaft derzeit kein Thema
"Zeit und Ruhe" sind für ihn jetzt die entscheidenden Faktoren, um wieder der Alte zu werden, auch wenn er hofft, "dass es so schnell wie möglich geht".
Und dann ist da noch die Selbstverständlichkeit, mit der er an sich glaubt: "Ich bin zuversichtlich, dass ich bald wieder so gut bin wie früher."
Für Ömer Toprak gibt es wichtigere Dinge als die Farbe des Trikots. "Ich beschäftige mich nicht mit irgendwelchen Nationalmannschaften. So lange ich meine Form nicht habe, habe ich dort auch nichts zu suchen." Sagt's, meint's und will in Ruhe gelassen werden.