Die Nationalmannschaft wird schon kommen

Von Daniel Börlein
Sidney Sam erzielte in dieser Bundesliga-Saison bereits fünf Treffer für Leverkusen
© Getty

Sidney Sam ist derzeit einer der auffälligsten Spieler der Liga. Weil er Dinge kann, die nur wenige können. In Leverkusen sieht man den 22-Jährigen als kommenden Nationalspieler. Der Hamburger SV ließ den Mittelfeldmann im Sommer dennoch ziehen. Das hatte allerdings nicht nur sportliche Gründe.

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Es gehört mittlerweile fast schon zur Etikette, dass Fußballer nach einem Treffer gegen ihren Ex-Klub auf das übliche Jubel-Zeremoniell verzichten. Kein Tänzchen an der Eckfahne, kein ausgelassenes Feiern mit den Fans, keine einstudierte Choreographie mit den Kollegen. Kurz abklatschen, das war es meist.

Bei Sidney Sam ist das anders. Beim Aufeinandertreffen mit seinem Ex-Klub Kaiserslautern erzielte der Leverkusen zwei Tore für Bayer und ließ seiner Freude hinterher freien Lauf. Vor allem sein Volley-Hammer aus über 20 Metern sorgte für Begeisterung - bei ihm selbst wie auch bei allen Betrachtern.

"Ich bin jetzt viel wacher"

Mittlerweile begeistert der 22-Jährige regelmäßig. Sam ist momentan einer der auffälligsten Spieler der Liga. Weil er Qualitäten hat, die sonst nur wenige in der Liga haben. "Er vereinigt zwei Sachen, die wichtig sind", sagt Bayer-Kapitän Simon Rolfes. "Er ist schnell und hat eine gute Technik. Er kann Eins-gegen-Eins-Situationen sehr gut lösen und ist auch noch torgefährlich."

Kaum einer dribbelt so gerne wie Sam - und so erfolgreich. "Durch seine Schnelligkeit ist er da kaum zu bremsen", sagt Coach Jupp Heynckes. "Seine Dynamik ist überragend. Vor allen Dingen wie er aus dem Stand antritt, dabei diese Ballkontrolle behält und das Tempo wechseln kann, das ist schon überdurchschnittlich", sagt Frank Pieper, der Sam jahrelang beim HSV trainierte, gegenüber SPOX. Für Sportdirektor Rudi Völler ist er "mit dem Ball sogar schneller als die meisten anderen ohne".

Hinzu kommt Sams starker linker Fuß und eine überragende Schusstechnik. "Ich bin jetzt viel wacher als früher. Ich habe in jedem Spiel meine Chancen, suche die Lücken und den Abschluss", sagt der Mittelfeldmann selbst.

Längst ist Sam nicht mehr aus Bayers Stammelf wegzudenken. Seit dem siebten Spieltag durfte er mit einer Ausnahme immer von Beginn an ran, erzielte bereits acht Pflichtspiel-Tore und bereitete fünf Leverkusener Treffer vor. Auch wegen Sam hat Bayer den zweitbesten Sturm der Liga und steht vorzeitig in der K.o.-Runde der Europa League.

Warum nicht beim HSV?

"Es läuft sehr gut für mich, ich bin auf einem guten Weg", sagt er. Dass ihn dieser Weg überhaupt nach Leverkusen geführt hat, ist durchaus überraschend. Nach einer starken Saison in Kaiserslautern, in der er mit zehn Toren und sieben Assists maßgeblich am Aufstieg der Pfälzer beteiligt war, rechneten fast alle damit, dass Sam ab Sommer wieder das HSV-Trikot tragen würde.

Die Norddeutschen hatten Sam 2008 nach Kaiserslautern ausgeliehen, ließen ihn nach Ende des Leihgeschäfts dann aber für rund 2,2 Millionen Euro nach Leverkusen ziehen, wo er bis 2015 unterschrieb. "Einerseits ist es schade, dass er jetzt bei Leverkusen ist, denn sportlich hätte er eine gute Entwicklung nehmen können", sagt HSV-Sportchef Bastian Reinhardt, "aber andererseits hatte der Verkauf nicht nur sportliche Gründe."

Lange habe man beim HSV im Sommer über die Personalie Sam nachgedacht, am Ende sei der Mittelfeldspieler allerdings durch den Charaktertest gefallen, heißt es aus Hamburg. Grund dafür soll vor allem ein Vorfall aus dem Jahr 2006 sein. Damals musste Sam "wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung" das HSV-Internat vorzeitig verlassen.

Sam: "Ich wollte nicht zum HSV"

"Wir waren nicht immer mit seinem Verhalten abseits des Platzes einverstanden", sagt Reinhardt dazu nur. Immer wieder eckte Sam in Hamburg an, meistens allerdings nicht absichtlich. "Genie und Wahnsinn liegen bei überragenden Spielern ja oft nah beieinander. Er wirkte für manche überheblich. Er hat eine Körpersprache, die manchmal, gerade wenn es um Kritik geht, nicht so günstig ist", sagt Pieper. "Bei ihm ist das aber nicht böswillig."

Sam ist einfach so: mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet. Das zeigt auch eine Anekdote aus seiner Jugendzeit beim HSV. Damals habe man Sam mal zur Seite genommen, erzählt Pieper, und ihn gefragt, woran er arbeiten müsse und was seine Schwäche sei. Sams Antwort: "Nichts!"

Entscheidender Punkt

Pieper und Cheftrainer Karsten Bäron wussten damit umzugehen und Sams Selbstbewusstsein in die richtigen Bahnen zu lenken. Mit Erfolg. Später, so Pieper, als Sam längst fester Bestandteil des Bundesliga-Kaders war, sei er eines Tages von sich aus gekommen und habe darum gebeten, einen Schritt zurückzumachen und in der zweiten Mannschaft spielen zu dürfen.

"Das habe ich ihm vorher nicht zugetraut", sagt Pieper. "Genau das war der Punkt, an dem er gemerkt hat, dass er etwas tun muss. Die alten Vorwürfe, er sei hochnäsig und nicht mannschaftsdienlich, waren von da an ausgeräumt."

Deshalb kann Pieper es auch nicht nachvollziehen, warum Hamburg Sam nach Leverkusen abgegeben hat. Sam selbst hat seine ganz eigene Erklärung für die Trennung vom HSV: "Der HSV wollte mich ja, aber ich wollte nicht. Ich wollte den nächsten Schritt in meiner Entwicklung machen und habe mich für Leverkusen entschieden, weil die international spielen und auf Talente setzen."

Rolfes: "Ein Kandidat für die Nationalelf"

Wer auch immer letztlich über Sams Zukunft entschieden hat, das Thema HSV ist längst abgehakt. In Leverkusen hat der gebürtige Kieler mit nigerianischen Wurzeln den nächsten Schritt in seiner Karriere gemacht.

Nach seiner Ausbildung in den Jugendabteilungen von Holstein Kiel und dem HSV und zwei erfolgreichen Jahren in der 2. Liga beim FCK hat er nun den Sprung zur Bundesliga-Stammkraft geschafft. Und seine Entwicklung scheint noch nicht am Ende.

"Er hat großes Potenzial", sagt Völler. "Wenn er sich weiter so gut entwickelt und so professionell verhält, ist er ein klarer Kandidat für die deutsche Nationalelf. Dann führt an ihm kein Weg vorbei", erklärt Rolfes.

Sam selbst sieht das ähnlich. "Wenn es so weiter läuft, wird die Nationalmannschaft schon irgendwann kommen", sagt er selbstbewusst und verzichtet damit auf die übliche Zurückhaltung. Bei Sidney Sam ist eben einiges anders.

Sidney Sam im Steckbrief

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