Er gehört seit Jahren zu den besten Außenverteidigern der Bundesliga und war Felix Magaths Wunschspieler für Schalke 04 - dennoch blieb Javier Pinola beim 1. FC Nürnberg. Bei SPOX spricht der 27-jährige Argentinier über seine ungewöhnliche Liebe zum Club, ein Nationalelf-Comeback und den größten Fehler seines Lebens.
SPOX: Pokal-Gegner Schalke hat mit dem Brasilianer Danilo Avelar einen weiteren Linksverteidiger verpflichtet - was wohl nicht nötig gewesen wäre, wenn Sie im Sommer Felix Magaths Angebot angenommen hätten. Warum haben Sie sich für einen Verbleib in Nürnberg entschieden?
Javier Pinola: Ich bin ehrlich: Am Anfang dachte ich darüber nach, welche Vorzüge Schalke hat. Dass ein Wechsel vielleicht die einzige Chance in meiner Karriere bedeuten würde, in der Champions League zu spielen. Oder dass Schalke bekannter ist als Nürnberg und ich mehr in den Fokus der argentinischen Nationalmannschaft rücken könnte. Es war eine der schwersten Entscheidungen meines Lebens.
SPOX: Warum sagten Sie ab?
Pinola: Es war seltsam: Mit Schalke waren viele Details geklärt, aber irgendetwas sträubte sich in mir, obwohl ich mir bereits drei, vier Wochen Bedenkzeit genommen hatte. Eines Morgens nach dem Aufwachen aber war ich mir plötzlich sicher, dass ich in Nürnberg verlängere. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich etwas geträumt habe, an diesem Morgen hatte ich jedoch die Gewissheit, was das Richtige für mich ist. Nämlich für den Verein weiterzuspielen, zu dem ich eine besondere Verbindung aufgebaut habe.
SPOX: Die vermeintliche Söldner-Mentalität in der Bundesliga trifft auf Sie nicht zu?
Pinola: Ich bin nicht normal, zumindest denken das wahrscheinlich die meisten im Fußball-Geschäft. Für mich war es das Wichtigste, dass mich der Club immer halten wollte und mich gestärkt hat. Als Spieler sollten solche Dinge entscheidend sein.
SPOX: Nachdem Sie 2008 mit Nürnberg abstiegen waren, gelang dem Verein der sofortige Wiederaufstieg, woraufhin Sie vor laufenden Kameras wie ein Schlosshund geheult haben. Lassen sich solche Emotionen mit Ihrer Verbundenheit zum Club erklären?
Pinola: In dem Moment ging es weniger um Nürnberg als mehr um mich. Dass wir in der 2. Liga gespielt haben, fand ich für mich persönlich gar nicht so schlimm, dennoch war die Saison 2008/09 extrem belastend für mich, weil ich mich so sehr unter Druck gesetzt und ich mich verkrampft habe. Nachdem der Aufstieg feststand, konnte ich all das endlich rauslassen.
SPOX: Was hat Sie belastet?
Pinola: Ich wollte unbedingt alles richtig machen und Nürnberg wieder in die Bundesliga führen. Wie ich im Nachhinein weiß, war es die absolut falsche Herangehensweise: Ich habe vor lauter Verbissenheit meine Lockerheit und mein Selbstbewusstsein verloren. Richtig hart wurde es, als mir einige Fans vorwarfen, dass ich auf Nürnberg keinen Bock mehr hätte und nach dem Abstieg lieber abgehauen wäre. Das tat richtig weh. Dabei habe ich mein Bestes gegeben und hart trainiert, ich konnte es nur nicht umsetzen. Entsprechend groß war die Erleichterung, als wir doch aufgestiegen sind.
SPOX: Wie sehen Sie Ihren derzeitigen Leistungsstand?
Pinola: Ich bin noch nicht in der Form von 2007, als wir Pokalsieger wurden und ich den besten Fußball meiner Karriere gespielt habe, aber ich komme wieder heran. Ich lerne langsam, dass ich in der Vergangenheit offenbar zu kritisch mit meinen Leistungen war und mir zu viele Gedanken machte. Nach einem schwachen Spiel wollte ich noch mehr und noch mehr trainieren, aber dieser Ehrgeiz ist nicht immer gut. Seit einigen Monaten weiß ich, dass ich ruhig bleiben und einfach nur an Fußball denken muss, dann läuft es fast von alleine.
SPOX: 2007 wurden Sie bisher zum einzigen Mal in der argentinischen Nationalelf eingesetzt. Ist eine Rückkehr möglich?
Pinola: Es gibt auf jeden Fall über Assistenzcoach Jose Luis Brown lockeren Kontakt zum neuen Nationaltrainer Sergio Batista. Mein Berater wurde darum gebeten, ihm eine DVD mit einigen Spielen und Highlights von mir zu schicken. Mir wurde gesagt, dass ich warten und weiter meine Leistungen bringen soll.
SPOX: Fehlt Ihnen in Nürnberg nicht die Lobby?
Pinola: Bei einem größeren Klub wäre es vielleicht etwas einfacher, berücksichtigt zu werden, andererseits wurde ich 2007 nominiert, obwohl Nürnberg auch damals nicht so bekannt war. Ich muss ehrlich zu mir sein und sagen, dass ich in den Jahren 2007/08 und 2008/09 einfach nicht die Leistungen gebracht habe, um eine Berufung zu rechtfertigen.
SPOX: Doch was war mit der WM 2010? Die vielleicht größte Schwachstelle Argentiniens war die Linksverteidiger-Position. Wissen Sie, ob sich Diego Maradona mit Ihnen beschäftigt hat?
Pinola: Ich weiß nicht, ob Maradona meinen Namen überhaupt kennt. Aber zu ihm sage ich lieber nichts, bevor etwas falsch verstanden wird.
Hier geht's zu Teil II: Pinola und seine Liebe zur deutschen Sprache
SPOX: Sie sind in Deutschland wahrscheinlich bekannter als in Ihrer Heimat. Bedauerlich?
Pinola: Es war damals zu früh, als Teenager von Chacarita Juniors, einem kleinen argentinischen Verein, gleich zu einem Topklub wie Atletico Madrid zu wechseln. Ich hätte erst in Argentinien zu einem größeren Klub wechseln und mir einen Namen machen sollen. Ich war einfach zu unreif und habe in Madrid viele Fehler gemacht.
SPOX: Was für Fehler?
Pinola: Ich habe mich nicht professionell verhalten. Ich bin fünf Minuten vor dem Training gekommen und bin gleich danach sofort wieder gefahren, statt mich zu dehnen oder in den Kraftraum zu gehen. Dazu die falsche Ernährung. Ich habe erst in Nürnberg gelernt, was es heißt, wie ein Profi zu leben.
SPOX: Sie wurden von Atletico zurück nach Argentinien verliehen, bevor Sie in Nürnberg gelandet sind. Wie verliefen die ersten Monate in Deutschland?
Pinola: Im Grunde wusste ich nicht viel von Nürnberg, außer dass ich mal den Namen gehört hatte, weil vorher einige Argentinier, Sergio Zarate, Martin Mandra und Sergio Bustos, hier gespielt haben. Das Einleben verlief schwierig, was dadurch erschwert wurde, dass ich die Sprache nicht konnte und mit Wolfgang Wolf der Trainer, der mich haben wollte, nach wenigen Wochen entlassen wurde. Doch dann kam Hans Meyer und wir haben schnell eine besondere Beziehung zueinander aufgebaut. Er hat sich sehr um mich gekümmert und mich motiviert, schneller deutsch zu lernen, damit ich seine Witze verstehe. (lacht)
SPOX: Wie kommt es, dass Sie sich in Deutschland so gut eingelebt haben? In Nürnberg sind Sie die Bezugsperson für die Südamerikaner wie etwa in der letzten Saison für Breno.
Pinola: Alles hängt mit der Sprache zusammen. Breno zum Beispiel kann zwar schon deutsch sprechen, aber er hat sich nicht getraut und war anfangs bei uns nicht so in den Gesprächen integriert. Ich möchte deswegen ein Vorbild sein und zeigen, wie wichtig es ist, sich mitteilen zu können. Außerdem mag ich die deutsche Mentalität und die deutsche Sprache.
SPOX: Sie mögen die deutsche Sprache?
Pinola: Ja, sie ist sehr schön, auch wenn einige etwas anderes behaupten. Meine Kinder lassen einem zwar keine Zeit, aber wenn sie etwas älter und selbstständiger sind, möchte ich meine Deutschkenntnisse vertiefen und irgendwann soweit sein, Bücher im deutschen Original zu lesen.
SPOX: In Nürnberg gelten Sie als Vorzeigeprofi, in der restlichen Liga jedoch hängt Ihnen ein zweifelhafter Ruf nach, den Sie mit der Spuckattacke gegen Bayerns Bastian Schweinsteiger im November letzen Jahres bestätigt zu haben scheinen. Woher kommen Ihre zwei Gesichter?
Pinola: Ich schäme mich nach wie vor wegen meines Blackouts. Ich hatte eine gute Saison gespielt und nur zwei Gelbe Karten gesehen - und dann kam das. Es war der schlimmste Fehler meines Lebens, so etwas ist mir noch nie passiert. Alleine wenn ich an den Blick meiner Frau denke, die so sauer und tief enttäuscht von mir war, würde ich den Tag am liebsten ausradieren. Ich habe meiner Frau versprochen, dass ich mich als Mensch verbessern werde, damit sie mich niemals wieder so sehen muss.
SPOX: Sie sprachen eingangs von der neu gefundenen Lockerheit. Wie lässt sich entsprechend Ihr Ausraster erklären?
Pinola: In einem Bundesliga-Spiel kommt es häufig vor, dass man unfair angegangen wird, aber gegen Schweinsteiger war es härter als üblich. Innerhalb von 15 Minuten hatte er zwei, drei Aktionen gegen mich. Alle haben das gesehen. In meinem Kopf ist daraufhin etwas umgesprungen und ich hatte den Blackout. Das soll aber keine Ausrede sein. Was ich gemacht habe, ist unverzeihlich.
SPOX: Wie sehr stört es Sie, dass Sie das Klischee über sich bedient haben?
Pinola: In Argentinien wird man als Fußballer mit einem Gedanken aufgezogen: Der Gegner will immer etwas stehlen, was einem gehört, und man muss sich entsprechend verteidigen. Deswegen spiele ich auch so impulsiv und aggressiv. Aber jeder sollte wissen, dass ich nie schmutzig spiele. Die Öffentlichkeit und auch einige Schiedsrichter glauben, dass Spieler wie ich, Maik Franz oder Mark van Bommel andauernd foulen würden, deswegen nehmen es sich auch einige Gegner heraus, nach einem Zweikampf lange liegen zu bleiben und sich bemitleiden zu lassen. Wenn mein Ruf dazu führt, dass andere schauspielern können, nervt es mich.
SPOX: Gibt es Bundesliga-Profis, die Sie mit der Schauspielerei besonders nerven?
Pinola: Mir fällt schon der eine oder andere Name ein. Aber wenn ich sie verpetze, verhalte ich mich selbst nicht besser als diese ganzen Schauspieler.
Ein argentinischer Franke: Javier Pinola im Steckbrief