Nach Spielschluss konnte man in Kaiserslautern einen BVB-Fan beobachten, den das Gefühlschaos der letzten zehn Minuten am Betzenberg scheinbar kalt gelassen hatte.
Gut gelaunt stimmte der Anhänger auf dem Nachhauseweg zur Melodie von "Eviva Espana" mehrfach lauthals folgende Textzeile an: "Die Sonne scheint uns aus dem Arsch - Feliiiiipe Santana!"
Zwei Santana-Tore unter Zorcs Augen
Die Verantwortlichen der Dortmunder haben es anscheinend geschafft, dass auch die Anhänger den Blick direkt auf das nächste Spiel richten. Denn da - am Samstag gegen den FC St. Pauli - muss Felipe Santana nach der Gelb-Roten Karte für Neven Subotic wieder aushelfen.
Rein sportlich gesehen trifft der umgedichtete Schlager nur bedingt auf Santana zu. Sind Subotic oder Mats Hummels einsatzfähig, hockt Santana auf der Bank. Dort verbringt er seit seinem Wechsel nach Deutschland im Sommer 2008 die meiste Zeit. Und das ohne Murren. Eher mit einem Lächeln.
Es gibt wohl kaum einen Ersatzspieler in der Liga, der zumindest nach außen hin einen solch gut gelaunten und fröhlichen Eindruck macht. So lässt sich auch verstehen, woher der Anhänger seine Inspiration für den Schlachtruf hat - von Santana selbst.
Vor einer gefühlten Ewigkeit, zu einer Zeit, als der Name Leo Beenhakker als möglicher Nachfolger von Thomas Doll durch Dortmund geisterte, bastelte Manager Michael Zorc im Hintergrund an der Verpflichtung Santanas.
Zorc beobachtete in jenen Tagen den Ligaauftakt zwischen Santanas Verein Figueirense FC und Portuguesa live vor Ort in Brasilien. 5:5 ging die Partie aus, Santana erzielte zwei Treffer und erhielt im Anschluss einen Fünfjahresvertrag beim BVB.
Erste Eindrücke schwach
Sechs Wochen später, im Juli 2008, startete Santana ins Abenteuer Europa und ließ das ihm Bekannte hinter sich. Alles sei neu für ihn gewesen, sagt er heute - und grinst.
Dennoch bringt der damals 22-Jährige eine gehörige Portion Professionalität mit nach Deutschland. In der Heimat war Santana ein Star. Er gab als jüngster Mannschaftskapitän, der je in Brasilien Profi-Fußball spielte, den Ton an.
Wer Santana jedoch bei seinen ersten Einheiten im BVB-Trainingslager in Donaueschingen zusah, befürchtete Schlimmes. Reichlich ungelenk und staksig tapste der 1,94-Meter-Mann über das Spielfeld. Keine Spur von brasilianischer Leichtigkeit.
Jürgen Klopp legte sich schon früh fest und vertraute in seinen ersten Partien als BVB-Trainer dem Duo Hummels/Subotic. Santana durfte nur sporadisch erste Erfahrungen sammeln, ließ dabei aber gleich mit einer außergewöhnlichen Statistik aufhorchen.
Ohne das Archiv zu bemühen, lässt sich wohl festhalten, dass nur sehr wenige Abwehrspieler in ihren ersten drei Bundesligaeinsätzen jeweils ins Tor trafen.
Von der Schießbude zum Luxusproblem
Als Hummels zu Jahresbeginn 2009 aufgrund einer Sprunggelenksverletzung das Saisonaus ereilte, nutzte Santana die komplette Rückserie an Subotics Seite, um Eigenwerbung zu betreiben.
Der Santana aus Donaueschingen war fast vollkommen verschwunden. Wenn auch die technischen Mängel in der Spieleröffnung bis heute blieben - Stellungsspiel, Schnelligkeit und Kopfballstärke waren herausragend.
Der Hüne überzeugte als vollwertiger Ersatzmann und verschaffte der Borussia, die noch in der Vorsaison die Schießbude der Liga stellte, ein Luxusproblem in der Innenverteidigung.
Abseits des Spielfelds ging Santanas Integration in schnellen Schritten voran. Dede und Tinga kümmerten sich um ihren Landsmann, der in seiner Freizeit fleißig an seinen Sprachkenntnissen feilte und sich so innerhalb der Mannschaft schnell ein hohes Standing erarbeitete.
Kein Vorbeikommen an Hummels/Subotic
Exemplarisch dafür erzählt Dolmetscher Paolo Rodrigues eine Episode aus der damaligen Zeit: "Er wollte sich eine Lampe im Baumarkt kaufen. Anstatt mich zu fragen, ob ich ihn begleite, hat er sich von mir die Vokabeln geben lassen, sie intensiv gepaukt und ist alleine losgezogen."
Auch Dede berichtete bereits von Telefonanrufen von Santanas Mutter, die sich bei ihm für seine Fürsorglichkeit im Umgang mit ihrem Sohn bedankte.
Als Santanas zweite Saison begann, durfte er sich als Stammspieler fühlen. Dies war jedoch der Tatsache geschuldet, dass Hummels im defensiven Mittelfeld aushelfen musste. Als Sven Bender wiedergenesen zurück kam, blieb für Santana wieder nur der Platz auf der Bank.
Da sich die Kollegen Subotic und Hummels immer mehr in Bestform präsentierten, gab es für Klopp im weiteren Saisonverlauf keinen Grund, seine Abwehr umzubauen. "Tele", wie er in Anlehnung an den verstorbenen brasilianischen Nationaltrainer Tele Santana genannt wird, sah dies ein, klagte nicht und arbeitete im Training auf seine nächste Chance hin.
Erstaunlich dabei ist nicht nur die Einsicht, die Santana dabei zeigt, sondern auch die durchweg positive Aura, die ihn zu umgeben scheint. Auch als Reservist fällt es ihm offenbar nicht schwer, seine gute Laune zu behalten und mit der Mannschaft nach einem Sieg in der Fankurve zu feiern.
Hohe Anerkennung im Kollegenkreis
Santana ist fester Bestandteil des Teams und froh über das Vertrauen, das ihm von allen Seiten entgegen gebracht wird. "Das hilft mir, das macht meinen Kopf gut, das gibt meinem Körper Kraft", sagt Santana. Und zwar auf Deutsch, das zwar ein wenig an Ailton erinnert, aber dennoch ausreicht, um das zu transportieren, worauf es ihm ankommt.
"Wir haben halt eine gute Mannschaft. Speziell auf meiner Position habe ich mit Neven und Mats zwei starke Spieler vor mir. So ist das Leben halt. Mal so, mal so." Sagt's und lächelt wieder. Dabei dürfte ihm längst klar sein, dass er bei der Mehrheit der Bundesligisten wohl Stammspieler wäre.
Santanas Umgang mit der nicht ganz einfachen Situation sorgt bei der direkten Konkurrenz für hohe Anerkennung.
"'Tele' ist ein Paradebeispiel für einen Spieler, der wohl in jedem anderen Team gesetzt wäre. Er geht hervorragend mit der Situation um und macht nicht auf zwölfjähriges Mädchen, das herum zickt, weil es seinen Willen nicht bekommt. Bei uns zählt jeder auf 'Tele'. Und jeder weiß, dass er da sein wird, wenn wir ihn brauchen", sagt Subotic.
Auch Hummels ist der Meinung, dass Santana von den Teamkollegen die "größte Bewunderung" verdient: "Er hat sich noch nie darüber beklagt, dass er zumeist auf der Bank sitzt."
Bankdasein knabbert an Santana
Das wird auch in Zukunft nicht passieren, da es einfach nicht Santanas Charakter entspricht, sich zu beschweren. Daraus zu schlussfolgern, dass sich der bald 25-Jährige keine Gedanken über sein Dasein als Dortmunds größter Härtefall macht, ist allerdings falsch.
Auch wenn er wisse, dass Subotic und Hummels nicht nur gut spielen, sondern auch selten verletzt sind, "heißt das ja nicht, dass es für mich einfach ist, nur auf der Bank zu sitzen".
Im Revierderby gegen Schalke vor zwei Wochen durfte Santana aufgrund Subotic' fünfter Gelben Karte mal wieder ran - zehn Monate hat er darauf warten müssen. Dass er trotz fehlender Spielpraxis eine solide Leistung ablieferte, ist angesichts seiner Klasse und der Harmlosigkeit der meisten Schalker Angriffe nicht extrem überraschend.
Situation scheint festgefahren
Auch wenn er nun auf seinen zweiten Startelfeinsatz der Saison nicht lange warten muss, ist Santanas Situation festgefahren und wird sich auf absehbare Zeit kaum grundlegend ändern. Schließlich würde derzeit kein Trainer der Welt das Duo Hummels/Subotic ohne Not sprengen.
Santana grübelt daher, wie es mit ihm und der Borussia weitergehen soll. Sollte seine Perspektive wie befürchtet stagnieren, "dann muss ich mich mit Michael Zorc und meinem Berater zusammensetzen", verkündete er kürzlich.
Als drohende Botschaft an die Verantwortlichen will er dies jedoch nicht verstanden haben. "Im Fußball kann ja alles sehr schnell gehen", schiebt er hinterher und lächelt dabei wieder so, wie es typisch für ihn ist.
Felipe Santana im Steckbrief