Die Nachwuchskoryphäe in der Bundesliga-Realität: Ernst Tanner (44) wurde vor einem Jahr vom Jugendchef zum Manager befördert und ist seitdem der mächtige Mann bei 1899 Hoffenheim. Nun zieht Tanner ein Fazit - und spricht über seine unbequeme Art, den schlechten Ruf seines Klubs, neue Juwelen und die Zukunft in Hoffenheim.
SPOX: Vor fast genau einem Jahr wurden Sie zum neuen Manager von 1899 Hoffenheim befördert - und erklärten, dass Sie 18 Stunden pro Tag zu arbeiten hätten und immer erst um Mitternacht das Büro verlassen würden. Das kann nicht gesund sein.
Ernst Tanner: Das stimmt - aber damals ging es nicht anders. Ich musste mich einarbeiten, außerdem gab es viel zu tun an der Mannschaft und im Umfeld. Die Situation hat sich jedoch entschärft: Auch in diesem Sommer ist der Aufwand groß, aber der Kader steht zu weiten Teilen und wir haben unser Funktionsteam beisammen. Ich kann mich nicht zurücklehnen - aber immerhin etwas früher nach Hause gehen. (lacht)
spoxSPOX: Sie machten sich zuvor einen Namen als einer der besten Nachwuchsexperten des Landes. Was haben Sie in Ihrem ersten Jahr als Verantwortlicher einer Profimannschaft gelernt?
Tanner: Sehr viel. Mir kam es zwar zugute, dass ich in Hoffenheim zuvor der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums war und daher die Abläufe innerhalb des Vereins kannte. Aber ich musste mich erst einmal mit den Spielern und der Bundesliga an sich vertrauter machen. Darunter fallen auch die mitunter hart geführten Verhandlungen und die Öffentlichkeitsarbeit.
SPOX: Wie schwer fiel Ihnen die Umstellung auf das doch andere Miteinander in der Bundesliga? Sie gelten als geradlinig und ehrlich, aber eben auch als sehr stur und dickköpfig.
Tanner: Jeder hat eben seinen eigenen Stil - und meinen haben Sie exakt beschrieben. Ich bin geradlinig und ehrlich, manchmal aber auch etwas stur und dickköpfig. Einige stören sich daran, aber ich sehe es nicht ein, warum ich mich verändern soll. Ich bekomme auch sehr gutes Feedback, weil es vielen Leuten lieber ist, wenn jemand klar und offen sagt, was er haben möchte und was nicht - und entsprechend berechenbar ist. Das klingt für mich vernünftiger, als um den heißen Brei herumzureden und mit unklaren Informationen auseinanderzugehen.
SPOX: Ihr recht kompromissloser Stil hatte in der Rückrunde jedoch auch einen Anteil an den Unruhen im Verein, nachdem Sie sagten, dass dem damaligen Trainer Marco Pezzaiuoli die nötige Leidenschaft fehlen würde und dieser sich daraufhin angegriffen fühlte.Tanners Antrittsinterview bei 1899: "In Hoffenheim entsteht Großes"
Tanner: Natürlich kam es unglücklich rüber. Ich habe damals gesagt, dass der zukünftige Trainer Holger Stanislawski ein leidenschaftlicher und emotionaler Typ sei und wurde dann gefragt, ob der Mannschaft die Leidenschaft fehlt - was ich bejaht habe. Das wurde speziell auf Pezzaiuoli interpretiert, was einfach nicht stimmt. Aber damit muss ich leben. Wer geradlinig antwortet, fährt einigen an die Karre. Das gehört dazu.
SPOX: Sie erlebten im ersten Jahr einige Extreme: Der umstrittene Luiz-Gustavo-Verkauf, die darauffolgende Trennung von Ralf Rangnick, Demba Bas fast schon absurd anmutender Streik. Was ging Ihnen am meisten an die Nieren?
Tanner: Die Ba-Geschichte unmittelbar nach der Trennung von Ralf Rangnick war sehr, sehr hart. Mit so etwas rechnet man nicht. Der Gustavo-Verkauf wurde durch David Alabas Kommen sofort kompensiert, aber dann geht plötzlich Ba und wir müssen in der ohnehin schwierigen Winter-Transferperiode einen schlagkräftigen Stürmer finden. So kamen wir in eine extreme und schwer zu meisternde Drucksituation.
SPOX: Wie schwer wog die menschliche Enttäuschung?
Tanner: Der Fall Demba Da ist für mich abgeschlossen. Blicken wir lieber in die Zukunft.
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SPOX: Sie wie auch Gönner Dietmar Hopp betonen wiederholt, dass sich der Verein für die kommende Saison keine allzu hohen Ziele setzen sollte. Doch nach dem 33. Spieltag, als Hoffenheim auf Rang neun lag, sagte Hopp, dass er eine bessere Platzierung und attraktiven Fußball erwartet. Klingt durchaus ambitioniert.
Tanner: Unsere Zielsetzung lautet: einstelliger Tabellenplatz. Wir sind am letzten Spieltag zwar auf Platz elf heruntergefallen, mit einem Sieg gegen Wolfsburg wären wir jedoch Siebter gewesen. Daher halte ich unsere Vorgabe für nicht unrealistisch. Ich erwarte, dass der Wettbewerb härter wird, weil es keine WM gibt und alle Mannschaften sich komplett auf die Saison vorbereiten können und es dadurch nicht so viele Ausreißer nach unten geben wird. Andererseits könnten wir davon profitieren, dass uns nach der vergangenen Saison nicht so viel zugetraut wird. Das ist eine Chance.
SPOX: Ein großes Thema der kommenden Saison wird die bisher mangelnde Verzahnung zwischen dem Profi- und Jugendbereich sein. Woran liegt es, dass trotz der intensiven Förderung keinem Eigengewächs der Sprung in die Bundesliga gelingt? Zuletzt verließ Christoph Hemlein den Verein und sucht in Stuttgart sein Glück.
Tanner: Was wir brauchen, ist etwas mehr Zeit.
SPOX: Sind fünf Jahre oder mehr nicht genug?
Tanner: Es ist nicht so, dass wir untätig sind. Wir haben in diesem Sommer einiges verändert, vor allem im Coachingbereich. Von der U 16 über die U 23 bis zu den Profis haben wir neue Trainer. Wir versuchen, zukünftig noch mehr darauf zu achten, nahe an der Trainerausbildung zu sein und unsere Trainer auf die Hoffenheim-Philosophie einzuschwören. Wir werden im Jugendbereich noch einmal angreifen, dann wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Eigengewächs die nötige Qualität für die Bundesliga mitbringt.
SPOX: Bernhard Peters, Direktor für Sport und Nachwuchsförderung, führte im SPOX-Interview das Konzept von der "zweiten Identität" aus, woran sich auch die Trainer zu halten hätten. Wurden die falschen Trainer ausgesucht?
Tanner: Es ist nicht so, dass wir unzufrieden waren. U-23-Trainer Markus Gisdol hat sich definitiv verbessert, indem er als Co-Trainer von Ralf Rangnick zu Schalke folgte. Xaver Zembrod trainiert statt unserer U 17 die U 23 von Freiburg, das ist auch nicht schlecht. Wir sind einfach an den Punkt gekommen, an dem man sagt: Wir müssen etwas anders machen und frischen Wind reinbringen.
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SPOX: Hoffenheim verfügt über einige viel versprechende Talente. Wem ist die Bundesliga zuzutrauen? Vielleicht dem allseits gelobten dänischen Innenverteidiger Jannik Verstergaard?
Tanner: Einen Durchbruch kann man nicht fest terminieren. Aber klar: Jannik bringt alles mit, genau wie Offensivspieler Denis Thomalla. Und aus der A-Jugend kommen weitere Jungs nach, die gerade noch hinten anstehen, von denen wir aber einiges erwarten. Uns ist es dann lieber, solchen Spielern in der U 23 eine Chance zu geben als zum Beispiel Hemlein noch zu halten, der nach zwei Jahren Regionalliga verständlicherweise eine neue Aufgabe sucht.
SPOX: Was auffällt: Sie verpflichteten nach Peniel Mlapa mit Tobias Strobl, Kevin Volland und Fabian Johnson mit Vorliebe Spieler, die bei Ihrem Ex-Verein 1860 München ausgebildet wurden. Zufall?
Tanner: Von Strobl abgesehen, der für die U 23 eingeplant ist, hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Volland war in der Rückrunde der hoffnungsvollste Nachwuchsspieler der 2. Liga. Johnson kann nach Holger Stanislawskis Einschätzung auf beiden Außenbahnen verteidigen und erfüllt damit perfekt unser Profil. Wir müssen uns in erster Linie um diese Spieler bemühen, egal ob sie von 1860 ausgebildet wurden oder nicht.
SPOX: Zu Ihrer Zeit bei 1860 waren Sie der wichtigste Förderer von Savio Nsereko. Noch vor drei Jahren gehörte er zu den größten Talenten Deutschlands, nun ist er abgestürzt und ohne Perspektive - mit 21 Jahren. Wie geht es ihm?
Tanner: Ich habe keinen Kontakt und weiß nicht, wie es ihm geht. Aber ich verfolge natürlich seine Entwicklung.
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SPOX: Was ist geschehen?
Tanner: Er hatte eine sehr gute Phase gehabt, als er 2008 bei der U-19-EM als bester Spieler ausgezeichnet wurde. Die Karriere ging steil nach oben, aber der Wechsel von Brescia zu West Ham war der Knackpunkt. Es ging wohl alles zu schnell für ihn und er hat es nicht gepackt. Letztendlich hat er eine tolle Karriere hergeschenkt.
SPOX: Ist es denkbar, dass Sie ihn vielleicht zu Hoffenheims U 23 holen und ihn wieder aufbauen?
Tanner: Nein, das ist ausgeschlossen. So hart es klingt: Er befindet sich dort, wo er hingehört. Wie ich höre, hat er sich bei seiner Rückkehr zu 1860 nicht gut verhalten. Er muss versuchen, sich irgendwie wieder aufzurappeln und einen Klub von sich zu überzeugen.
SPOX: Hoffenheim muss ebenfalls mit einem Ruf leben, der nicht besonders gefällt: dem des künstlich hochgezüchteten Retorten-Vereins, weswegen noch immer nach einem potenten Trikotsponsor gesucht wird. Angeblich geht auch der Dauerkarten-Verkauf zurück. Wie wichtig ist Image im Fußball?
Tanner: Um es vorweg zu sagen: Die ersten Tendenzen zeigen, dass der Dauerkarten-Verkauf nicht signifikant zurückgeht. Und zum Thema Trikotsponsoring: In der Regel werden die Budgets der Unternehmen im Herbst vergeben, also zu einem Zeitpunkt, als wir noch guten Fußball gespielt haben und die Fans zufrieden waren. Die bisher erfolglose Sponsorensuche hängt auch damit zusammen, dass die generelle wirtschaftliche Lage nicht die allerbeste ist. Für uns gibt es lediglich eine Maßgabe: Wir müssen attraktiveren Fußball zeigen. Wenn wir das schaffen, kommt alles automatisch: die Begeisterung der Fans und ein gestiegenes Image des Gesamtvereins.
SPOX: Es bleibt aber der Eindruck, dass Hoffenheim auch bei der Konkurrenz nicht wohlgelitten ist. Da war der Streit mit Hertha um die Abwerbung zweier Teenager. Oder der Streit mit Schalke um den nicht genehmigten Medizincheck von Carlos Zambrano.
Tanner: Im Fall von Schalke müssen wir uns entschuldigen. Es ist alles sehr unglücklich verlaufen. Jemand hätte Schalke informieren müssen, aber leider haben weder wir, noch St. Pauli oder Zambranos Management daran gedacht. Das bedauern wir. Und die Sache mit der Abwerbung: Es ist eben Mode, auf uns einzuhauen und Klischees zu bedienen, wie es Hertha getan hat. Wir sind konkurrenzfähig und greifen an, auf allen Ebenen. Das gefällt vielen nicht, aber das müssen sie akzeptieren.
SPOX: Wie wichtig ist es, in Deutschland an Akzeptanz zu gewinnen, indem 1899 mit Holger Stanislawski und Lutz Pfannenstiel zwei neue Gesichter verpflichtet hat, die als sympathische Kultfiguren gelten?
Tanner: Stani und Lutz zu holen, begrüße ich ausdrücklich. Über Stani wurde bereits ausreichend geschrieben, aber auch Lutz freut mich außerordentlich, weil er optimal reinpasst und den Verein im Ausland perfekt vertreten kann.
SPOX: Welttorhüter Pfannenstiel übernimmt den Bereich "International Scouting and Relations". Was heißt das?
Tanner: Mit seinen Kontakten verspricht er einen großen Mehrwert. Zum einen soll er seine Beziehungen zu vielen Nationalverbänden für uns nutzen und Hoffenheim auch international bekannter machen. Zum anderen ist es uns wichtig, dass uns mit Lutz ein Experte zuarbeitet, der direkten Zugang zur Fußballszene auf allen Kontinenten hat. Wenn wir beispielsweise eine Frage wegen eines interessanten afrikanischen Talents haben, kümmert sich Lutz direkt darum und wir bekommen sofort die Antwort. Das ist in Zeiten der Globalisierung fast unbezahlbar.
SPOX: Wie passt dieser internationale Anstrich zur proklamierten Neuausrichtung Hoffenheims, wonach der Fokus auf junge, deutsche Spieler gelegt werden soll?
Tanner: Das schließt sich doch nicht aus. Der Kern soll deutsch sein - aber es ist illusorisch zu glauben, dass wir in Zukunft mit elf Deutschen auflaufen. In der Rhein-Neckar-Region leben insgesamt zwei Millionen Menschen, entsprechend klein ist der Markt an ortsnahen Talenten. Daher können wir uns nicht auf sie versteifen, wenn wir Jugendförderung auf allerhöchstem Niveau betreiben wollen. Das heißt: Wir werden der Entwicklung Rechnung tragen und aus aller Welt Spieler dazuholen, die die nötige Spitzenqualität mitbringen.
Der Kader der TSG 1899 Hoffenheim