"Wir brauchen wieder Spieler, die Werder prägen"

Florian ReindlStefan Rommel
15. Juli 201111:15
Zwei Bremer Häuptlinge: Abwehrchef Per Mertesacker (r. ) und Torhüter Tim WieseGetty
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Per Mertesacker steht vor seiner sechsten Saison bei Werder Bremen - oder auch nicht. Die Zukunft des Abwehrchefs an der Weser ist weiter ungewiss. Im Gespräch mit SPOX äußert sich Mertesacker über die Wechselgerüchte um seine Person, die Probleme von Werder, die Nationalmannschaft mit und ohne Michael Ballack und die nachrückende Generation junger Innenverteidiger in Deutschland.

SPOX: Herr Mertesacker, was macht Ihre Verletzung an der Ferse?

Per Mertesacker: Mir geht es so weit ganz gut. Ich habe jetzt eine lange Pause hinter mir, die ich ganz bewusst gewählt habe. Ich habe letzte Saison gemerkt, dass ich so nicht mehr weiterspielen kann, auf Grund der Schmerzen in der linken Ferse. Ich kann den Fuß jetzt langsam wieder belasten.

SPOX: Wann werden Sie wieder auf dem Trainingsplatz stehen?

Mertesacker: Da muss man jetzt erst abwarten. Erst wenn ich mein linkes Bein wieder voll belasten kann, wird das möglich sein. Alles andere bringt nichts. Ich bin jetzt in einem Alter, wo ich mich noch weiter verbessern kann und gerne noch einen Schritt nach vorne machen möchte - und dazu muss ich topfit sein.

SPOX: Bei Werder Bremen gibt es mit Zugang Andreas Wolf derzeit nur einen gesunden Innenverteidiger im Profikader. Muss der Verein jetzt schnell handeln?

Mertesacker: Natürlich ist das nicht einfach. Es ist eine sehr, sehr prekäre Situation. Wir müssen schleunigst alle wieder fit werden oder der Verein muss eben schnell nachbessern.

SPOX: Ist so ein Rückstand für einen Innenverteidiger bis zum Saisonstart aufzuholen?

Mertesacker: Nur schwer. Vor allem, wenn man seit Jahren über die Saison hinaus spielt und dadurch nur wenig Urlaub und eine sehr kurze Vorbereitung hat. Das mache ich schon sehr lange und jetzt kam auch noch die Verletzung dazu. Ich muss einfach sehen, dass ich schnell gesund werde und mir die nötige Fitness dann über die Spiele hole. Anders geht es leider nicht.

SPOX: Werder scheint mit Mehmet Ekici wieder auf ein System mit einem klaren Spielmacher zurückzukehren. Der richtige Schritt nach einem Jahr mit einigen Umstellungen?

Mertesacker: Wir hatten im letzten Jahr natürlich viele Probleme. Wir mussten oft das Spielsystem wechseln, weil uns oft nicht genügend Spieler zur Verfügung standen. Das droht uns diese Saison leider schon wieder. Aber ob nun mit oder ohne klassischen Spielmacher - wir brauchen wieder Spieler, die Werder Bremen prägen! Das hat uns immer ausgezeichnet und ich denke, mit den bisherigen Verpflichtungen können wir sehr zufrieden sein.

SPOX: Also Spieler wie Micoud, Diego, Özil um bei der Zehner-Position zu bleiben. Ekici bringt viele Anlagen mit. Die Erwartungen in ihn dürften aber auf Grund seiner prominenten Vorgänger enorm hoch sein. Wollen Sie an Fans und Berichterstatter vielleicht einen kleinen Appell richten?

Mertesacker: Ich glaube, dass Mehmet das so möchte. Den Druck macht man sich ja in erster Linie selbst. Mehmet ist gewechselt, um sich bei Werder noch mehr in den Fokus zu spielen, als das in München vielleicht möglich gewesen wäre. Für mich war Werder Bremen entwicklungstechnisch sehr gut. Wenn du in einer starken Mannschaft häufig zum Einsatz kommst, entwickelst du dich viel schneller weiter. Das hat Mehmet zuletzt ja in Nürnberg angedeutet. Natürlich kommt er jetzt zu uns in einer Umbruchphase, aber dann liegt es an den erfahrenen Spielern, die jungen zu integrieren. Fußballerisch wird er uns in jedem Fall weiterhelfen.

SPOX: Auch finanziell ist die Situation gerade schwierig bei Werder Bremen. Tim Wiese liebäugelt angeblich mit einem Wechsel nach Wolfsburg. Mit diesem Geld könnten neue Spieler geholt werden. Vor einem Jahr hat das bei Werder noch ganz anders ausgesehen. Ist die Situation jetzt besonders gefährlich im Hinblick auf die mittelfristige Zukunft des Klubs?

Mertesacker: Wir haben auf Grund der fehlenden Erfolge in der letzten Saison einfach nicht so viele Möglichkeiten. Das ist jetzt erst mal die Ausgangslage. Tim und ich sind schon sehr lange bei Werder Bremen und hängen natürlich an diesem Verein. Wir wollen in erster Linie helfen, bessere Möglichkeiten zu erschaffen.

SPOX: Auch durch einen Wechsel vor Vertragsende, um für Werder Transfergewinne zu erzielen? Die Situation ist bei Ihnen ja nicht anders, ihr Vertrag läuft nach der Saison aus.

Mertesacker: Tim und ich haben diesem Verein sehr viel zu verdanken. Daher ist für mich der erste Blick darauf gerichtet, wieder dort hinzukommen, wo ich schon einmal war. Vor allem jetzt mit meiner Verletzung habe ich nicht all zu viele Argumente auf meiner Seite. Ich muss einfach zusehen, schnellstmöglich wieder fit zu werden, um interessant zu sein - in erster Linie für Werder, aber auch für andere Vereine.

SPOX: Hat Ihnen die Verletzung einen Wechsel ins Ausland versperrt?

Mertesacker: Ein verletzter Spieler hat natürlich keine guten Karten. Aber ich nutze diese Zeit jetzt ganz bewusst, um einfach mal abzuschalten. Diesen Druck - immer fit sein zu müssen, immer besser werden zu müssen - macht man sich ohnehin schon sein ganzes Fußballerleben. Von daher werde ich jetzt keinen Gedanken daran verschwenden, mir hinsichtlich eines verpatzten Auslandswechsels auch noch Druck zu machen.

SPOX: Sie sagten vor kurzem in einem Interview, ein Wechsel ins Ausland würde einen sportlich wie menschlich enorm weiterbringen. Inwiefern?

Mertesacker: Das kann ich nicht belegen. Aber ich habe das von anderen Spielern gehört.

SPOX: Also haben Sie sich schon Rat von Spielern geholt, die den Schritt ins Ausland gewagt haben?

Mertesacker: Ja, beispielsweise von Christoph Metzelder. Auch wenn der nicht viel gespielt hat bei Real Madrid, hat er allein schon durch die neue Kultur oder die neue Sprache, die er kennengelernt hat, persönlich enorm profitiert. Mit einem Auslandswechsel kommen viele Dinge auf einen zu, die man bewältigen muss. Das ist eine große Herausforderung, an der man wachsen kann.

SPOX: Wie müsste der Klub dann aufgestellt sein, wie dessen Spielidee sein? Der Name FC Arsenal fällt immer wieder.

Mertesacker: Seit der B-Jugend spiele ich in der Viererkette, von daher dürfte der Verein nicht mit Libero spielen (lacht).

SPOX: Also scheidet ein Wechsel zu einem Klub von Otto Rehhagel aus?

Mertesacker: Ja (lacht).

SPOX: Ernsthaft: Wäre Arsenal ein Verein, der Ihnen zusagt? Wie müsste der neue Klub sportlich aufgestellt sein?

Mertesacker: Der Verein müsste einfach viel im taktischen Bereich arbeiten. Das zeichnet den modernen Fußball aus und das ist auch die Voraussetzung Nummer eins, um wirklich erfolgreich zu sein. Aber das ist bei Werder Bremen genauso der Fall wie bei Arsenal. Ich bin momentan bei Bremen, dazu noch verletzt. Alles was jetzt zählt ist, mich wieder auf einen guten Stand zu bringen, um gute Leistung zu bringen. Alles andere blende ich aus, denn das bringt einen nur davon ab, sich nicht auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Teil 2: Merte über Ballack, Konkurrenz im DFB-Team und den EM-Titel

SPOX: Sie sind ein langjähriger Weggefährte von Michael Ballack in der DFB-Elf. Wie beurteilen Sie die ganze Geschichte um sein Ende in der Nationalmannschaft?

Mertesacker: Grundsätzlich haben wir es in der Nationalmannschaft in den letzten Jahren geschafft, dass eine sehr positive Stimmung herrschte und es wenige bis keine Streitigkeiten gab. Aber ist sehr schwierig, wenn ein Zeitpunkt kommt, wo einem gesagt wird: 'Du stehst jetzt nicht mehr zur Verfügung.' Oder: 'Wir setzten auf jüngere Spieler.' So ein Wechsel ist immer schwierig. Da gab es auch in der Vergangenheit Reibereien, das ist ja normal. Diesen Generationenwechsel wird es immer geben. Davon schließe ich mich nicht aus, auch mich wird es einmal treffen.

SPOX: Können Sie es nachvollziehen, dass er auf sein 'Abschiedsspiel' verzichtet und stattdessen einen kurzzeitigen Mini-Krieg angezettelt hat?

Mertesacker: Das ist natürlich schade, weil ich beide, Michael Ballack und Jogi Löw, sehr gut kennengelernt habe. Und zwar so, dass man mit beiden immer alles aus der Welt räumen konnte. Aber ich stecke da nicht tief genug drin, um mir ein Urteil zu erlauben. Das wäre reine Spekulation.

SPOX: Sie haben mit und ohne Ballack bei großen Turnieren bestanden. Gab es gravierende Unterschiede - sowohl auf, als auch außerhalb des Platzes?

Mertesacker: Was heißt gravierend unterschiedlich?

SPOX: Das System mit einem Anführer, das die Nationalmannschaft mit Michael Ballack ja verkörpert hat, gegen das System mit einer flachen Hierarchie, so wie es jetzt herrscht..

Mertesacker: Fakt ist, dass wir uns in der Mannschaft immer gegenseitig unterstützt haben. Das hat nichts mit einem Anführer zu tun. Michael war eben so ein Spielertyp, der die Mannschaft geprägt hat, aber er hat auch immer wichtige und entscheidende Tore geschossen. Mich stört es nur, wenn viele jetzt alles schlecht reden. Denn ich konnte aus der Zeit mit Michael viel Positives für mich gewinnen. Es ist mit ihm gegangen und es wird jetzt auch ohne ihn gehen.

SPOX: An der grundlegenden Spielidee hat sich nicht all zu viel verändert. Deutschland muss neben dem schnellen Überfall-Konterfußball jetzt auch die nächste Teilstrecke erlernen: Das dominante Ballbesitzspiel. Wie ändert sich dabei die Aufgabenstellung für einen Innenverteidiger?

Mertesacker: Ich glaube, dass wir im Vergleich zu 2006 bei der letzten Weltmeisterschaft einen enormen Sprung nach vorne gemacht haben. Ich bin kein Fan von Statistiken, aber was Dinge wie vertikales Passspiel, Laufbereitschaft oder durch Pressing geschaffene Drucksituationen betrifft, waren die Zahlen bei uns durchweg positive. Es gibt es viele kleine Dinge, die das dominante Ballbesitzspiel bestimmen. Spanien ragt da heraus, aber die sind sehr perfektionistisch veranlagt und haben ihre Spieler auch in den entsprechenden Vereinen untergebracht.

SPOX: Was fordert der Bundestrainer von Ihnen genau?

Mertesacker: Als Innenverteidiger muss man nicht mehr einfach nur den Ball an den defensiven Mittelfeldspieler abgeben. Man muss versuchen, Reihen zu überbrücken und das Spiel schnell zu machen. Sich in eine gute Stellung bringen und anbieten, um dann einen guten Pass zu spielen. Man benötigt eine gute Raumaufteilung mit flachem, sicherem Passspiel, wenn möglich nach vorne. Natürlich bedarf das langer Übung, sonst wird das alles sehr hektisch und viele Mannschaften lauern ja genau auf solche Fehler. Man muss das 'seriös spiele', wie der Bundestrainer immer so schön sagt.

SPOX: Wie unterscheidet sich Ihr Spiel im Vergleich dazu in Bremen, wie sehr müssen Sie sich umstellen?

Mertesacker: Es gibt immer Feinheiten, in denen sich das System unterscheidet. Aber die Grundstruktur ist ähnlich. Wenn man eine gute Vorbereitung für beide Systeme hat und eine wichtige Rolle darin spielt, fällt die Umstellung von Nationalmannschaft auf Verein und umgekehrt nicht allzu schwer.

SPOX: Viele sehen in Barcelonas Gerard Pique den derzeit perfekten Innenverteidiger. Schauen Sie sich von solchen Spielern was ab?

Mertesacker: Vielleicht ist er das, aber wenn man sich das Champions-League-Finale angesehen hat, kann man das nicht an einem Spieler fest machen. Er passt einfach perfekt in die Mannschaft und bringt seine Fähigkeiten überragend ein. Man versucht sich da schon einzelne Dinge abzukucken, aber ich bin nicht nur auf eine Person fixiert.

SPOX: In der Nationalmannschaft sind mit Holger Badstuber, Mats Hummels, Benedikt Höwedes oder Jerome Boateng junge Mitspieler Kandidaten für die Innenverteidigung. Geben Sie da als erfahrener Nationalspieler noch Tipps?

Mertesacker: Die Nachwuchsspieler, die seit Jahren in die Nationalmannschaft kommen, sind mittlerweile sehr gut ausgebildet, sind Stammspieler auf höchstem Niveau und haben teilweise schon internationale Erfahrung gesammelt. Da brauchst du nicht mehr viel sagen. Das haben die auch nicht nötig, dass da einer den großen Zampano macht und sagt: 'Das war gut und das weniger.'

SPOX: Es scheint, als holten die Jungen momentan mit großen Schritten auf. Wie sehen Sie Ihre Position derzeit, sind Sie noch immer die Nummer eins, an der sich der Rest messen lassen muss?

Mertesacker: Ich finde diese Entwicklung in Deutschland gut. Es kommen viele gute junge Spieler nach, die sehr gut geschult sind. Für den deutschen Fußball ist das sehr wichtig. Natürlich bin ich da auch gefordert, weil jetzt viele Verteidiger nachkommen. Aber ich habe bislang immer vollstes Vertrauen gespürt. Ich setzte mich da nicht unter Druck. Wenn ich gut bin, dann spiele ich. Und wenn das nicht mehr der Fall sein soll, muss man das auch anerkennen.

SPOX: Wie viel Prozent fehlen in diesem kontinuierlichen Prozess seit 2004 noch, um im kommenden Jahr endlich den großen Wurf zu landen?

Mertesacker: Wir haben in den letzten drei Turnieren gute Spiele gezeigt, waren am Ende aber immer schlechter als unser Gegner. Da wünscht man sich natürlich baldmöglichst ein Happy End. Wir sind auf einem sehr guten Weg und freuen uns auf eine neue Chance. Es gab außer Spanien kaum eine Mannschaft, die kontinuierlich auf Topniveau gespielt hat. Da wollen wir auch hin - möglichst schon 2012 bei der Europameisterschaft.

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