Als ob die Manuel-Neuer-Nachfolge nicht belastend genug wäre: Torwart Ralf Fährmann wird von seinen Chefs mal gefördert, mal drastisch unter Druck gesetzt. Der nächste Rivale ist im Anflug. Was denkt sich der FC Schalke?
Tim Siedschlag wollte nicht viel mehr als den Freistoß in den Strafraum hereingeben in der Hoffnung, dass einer seiner Mitspieler den Ball ins Tor des FC Schalke 04 köpfen möge.
Vielleicht war es dem Wind geschuldet, vielleicht der Unachtsamkeit der Schalker Abwehr, vielleicht war es auch nur eine unglückliche Fügung. Aber der als Flanke gedachte Freistoß aus dem halblinken Mittelfeld flog und flog - am erstaunten Ralf Fährmann vorbei ins Schalker Gehäuse.
Der Bundesligist gewann zwar das Testspiel bei Siedschlags Holstein Kiel mit 4:2, doch für Gesprächsbedarf sorgte nur das beschriebene Gegentor, weil dieser sich womöglich als folgenschwer erweisen könnte für Fährmann.
Wie widerstandsfähig ist Fährmann?
Spätestens seit Schalkes Interesse an Jens Lehmann erst mit gezielten Indiskretionen, später vom Verein offiziell bestätigt wurde, ist Fährmann nur eine Nummer eins auf Bewährung. Trainer Ralf Rangnick und Manager Horst Heldt kündigten an, die Vorbereitung dafür nutzen zu wollen, um dessen Talent und vor allem dessen Belastbarkeit zu evaluieren.
Und dann fällt ausgerechnet in der ersten Partie des Sommers gegen einen einigermaßen erstzunehmenden Gegner gleich ein solches Gegentor. Während die meisten Journalisten bei allem Pech Fährmann einen Großteil der Schuld dafür zuwiesen, beeilte sich die sportliche Führung, diesen von jeglicher Verantwortung zu befreien.
"Es war ein schwieriger Ball, kein Fährmann-Fehler", sagte Rangnick. Heldt ergänzte: "Kein Vorwurf an Ralf, das war kein Patzer." Ein vermeintliches löbliches Unterfangen, um den eigenen Spieler zu schützen, möchte man meinen.
Rangnick in großer Sorge
Nur: Es wollte so gar nicht zu den teils kurios anmutenden Äußerungen zuvor passen, die die beiden in Richtung Fährmann getätigt haben. Zu erwarten wäre seit dem Trainingsstart gewesen, dass die Schalker Bosse Fährmann öffentlich stützen werden, im Wissen darum, wie schwer doch die Nachfolge von Manuel Neuer ist.
Stattdessen jedoch setzten Rangnick und Heldt den Rückkehrer aus Frankfurt bei fast jeder sich ergebenden Gelegenheit unter Druck. "Ich kann nicht jedem Spieler das Vertrauen aussprechen. Wir schauen, wie die Vorbereitung läuft. Präsentiert sich Ralf gut, müssen wir nicht mehr nachlegen... ", sagte Heldt. Und als es einer Klarstellung bedurft hätte, erklärte er auch: "Ralf ist nicht automatisch gesetzt."
Noch drastischer formulierte es Rangnick. Dass Fährmann das Trikot mit der Eins bekommen hat, sei nur Zufall, weil "die Nummer nach Manuel Neuers Abschied frei war". Niemand dürfe sich sicher fühlen und der 35-jährige Reservist Mathias Schober, seit zweieinhalb Jahren ohne Einsatz, sowie der gänzlich unerfahrene Lars Unnerstall von Schalke II würden ebenfalls als neue Stammtorhüter in Betracht kommen.
Ohnehin bereite Rangnick Neuers Wegang zum FC Bayern große Sorgen: "Neuer hat bei uns ein Loch hinterlassen - es ist mit die schwierigste Mission, vor der wir stehen. Die Aufgabe, ihn zu ersetzen, wird die schwerste."
"Fährmann eine Top-Entscheidung"
Es ist davon auszugehen, dass Heldt und Rangnick derlei Worte nicht ausversehen, sondern durchaus gewollt getätigt haben, um Fährmanns Reaktion zu beobachten. Bricht er zusammen? Oder ist er mental gefestigt?
Über die fußballerischen Fähigkeiten dürften keine Zweifel bestehen, auch wenn Heldt sagt, dass "seine Entwicklung längst noch nicht abgeschlossen ist" und Rangnick angeblich Kevin Trapp (Kaiserslautern), Ron-Robert Zieler (Hannove) und Ex-Schützling Tom Starke (Hoffenheim) favorisierte.
Fährmanns Ex-Trainer Mike Büskens sagt: "Er kann Schalkes Nummer eins für die nächsten zehn Jahre hervorragend ausfüllen. Ihn zu holen, ist eine Top-Entscheidung."
Für Schalkes Torwartjugendocach Lothar Matuschak, Entdecker von Neuer und eben Fährmann, war dieser bereits vor drei Jahren "nahezu komplett mit guten Reflexen und einer unglaublichen Ruhe in Eins-gegen-eins-Situationen".
Ivan Rakitic im Interview: "Fährmann ist die richtige Nummer eins für Schalke"
Internationale Konkurrenz
Bei allem Lob jedoch fehlt Schalke offensichtlich noch das rechte Zutrauen in Fährmann. Es ist wohl auch kein Zufall, dass alle paar Tage neue Namen talentierter Keeper auftauchen, die mit Schalke in Verbindung gebracht werden. So sind als Rivalen im Gespräch: Italiens Emiliano Viviano (25, Inter), Polens Grzegorz Sandomierski (21, Jagiellonia Bialystok) und Belgiens Thibaut Courtois (19, Genk). Allesamt begabte Torhüter, Viviano und Sandomierski sogar mit Nationalmannschaftserfahrung.
"Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir vielleicht auch zwei Torhüter verpflichten. Es gibt keine Garantien für Ralf, sondern einen Konkurrenzkampf", sagt Heldt.
Fährmann selbst bleibt darauf angesprochen wie gewohnt verbindlich. Er sei vom Werben um Lehmann frühzeitig informiert worden und es wäre verständlich, dass sich Schalke umschaue. "Die Situation treibt auch an", sagt er.
Fährmann Fan-Liebling auf Schalke
Bei aller Kritik: Er klingt bei weitem nicht so verunsichert und zerknirscht, wie man annehmen könnte. Womöglich, weil er über sein immenses Potenzial weiß. Und weil ihm die Unterstützung der Fans gewiss ist.
2003 wechselte Fährmann von Chemnitz nach Gelsenkirchen und fühlt sich seitdem als echter Schalker. "Hier bin ich erwachsen geworden. Das ist wie eine zweite Familie für mich", sagt Fährmann, der sich eigens eine Schalke-Ausstiegsklausel in den Vertrag schreiben ließ, den er 2009 in Frankfurt unterzeichnete. Daher auch die äußert positive Resonanz der Anhänger.
"Wenn ich ein junger Torwart aus dem Ausland wäre, würde ich mir zweimal überlegen, nach Schalke zu wechseln und das Duell mit Ralf zu suchen", sagt sein Berater Dirk Lips gegenüber SPOX. Er geht davon aus, dass Fährmann beim Supercup gegen Meister Dortmund am 23. Juli im Tor steht und entsprechend auch als Stammkeeper in die Saison geht.
Lips: "Der Vier-Jahres-Vertrag zeigt doch, dass Schalke auf ihn baut. Ihm wurde klar signalisiert, dass er als Nummer eins eingeplant ist. Es gibt also keinen Grund, etwas anderes zu vermuten."
"Kein großer Unterschied zu Neuer"
Die Schalke-Verantwortlichen hingegen wollen sich auf keinen Zeitplan festlegen und erwägen, sogar bis zum Äußerten zu warten, sollte zuvor keine zufriedenstellende Lösung gefunden werden. "Wir können bis zum Ende der Transferperiode am 31. August reagieren. Diese Option halten wir uns auch offen", sagt Rangnick.
Um jedoch einen tatsächlich besseren Torwart als Fährmann zu finden, dürfte nicht allzu leicht fallen. Zwar gestalteten sich seine Anfangsmonate in Frankfurt wegen Verletzungen, Krankheiten und wankelmütigen Leistungen enttäuschend.
Aber in der Endphase der vergangenen Saison bewies er trotz des Abstiegs der Eintracht, warum Konkurrent Schober schon 2008 sagte: "Vom Talent her sehe ich zwischen Ralf und Manuel keinen großen Unterschied."
Schalke Zukunft im Tor: Ralf Fährmann im Steckbrief