Huntelaar: "Ich musste böse werden"

Haruka Gruber
09. August 201115:04
Klaas-Jan Huntelaar geht in seine zweite Saison beim FC Schalke 04Imago
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Die Gerüchte um Manchester United sind vergessen: Klaas-Jan Huntelaar ist auf Schalke Ralf Rangnicks Nummer eins im Sturm. Ein Interview über seine Droge, seinen Freund Arjen Robben und das Leben bei den "Super-Bauern".

SPOX: Wie oft haben Sie es bereut, Mario Gavranovic erzählt zu haben, dass Sie aus einer Region der Niederlande stammen, in der vor allem Bauern leben? Deswegen hat er Sie bei der legendären Pokalfeier doch als 'Bauer' vorgestellt, oder?

Klaas-Jan Huntelaar: Ach, so gebildet ist der Kleine nicht, dafür ist er zu jung und hat zu wenig Ahnung. (lacht) Nein, das ist natürlich ein Scherz, Mario und ich verstehen uns sehr gut. Ich glaube, das mit den Bauern hat Raul zu unserer Zeit bei Real Madrid irgendwann aufgeschnappt und einmal nebenbei in der Schalke-Kabine erwähnt. Mario hat das offenbar mit halbem Ohr gehört und versucht seitdem, mich damit aufzuziehen.

SPOX: Mit Erfolg?

Huntelaar: Überhaupt nicht. Er sagt zwar immer, dass ich ein Bauer sei, weil ich beim Kartenspielen immer verliere. Aber damit habe ich keine Probleme, weil ich ihn in Wahrheit immer abziehe. Daher sollte Mario lieber mal ruhig sein. (lacht)

SPOX: 'Bauer' hätte insofern auf Sie gepasst, weil Sie von De Graafschap ausgebildet wurden. Ein Klub, der in den Niederlanden auf den Spitznamen 'Die Super-Bauern' hört.

Huntelaar: Das stimmt, wobei 'Die Super-Bauern' nur positiv gemeint ist. De Graafschap ist ein kleiner Verein, bei dem es sehr gemütlich und familiär zugeht. Der perfekte Ort für einen Nachwuchsspieler wie mich damals, um sich in Ruhe zu entwickeln.

SPOX: Mit 16 wechselten Sie aus der Provinz zum PSV Eindhoven, bei dem Ihnen jedoch der Sprung zu den Profis verwehrt blieb. Warum?

Huntelaar: Es war nicht einfach: Ich bin erstmals aus meinem 2000-Einwohner-Dorf ausgezogen und stand auf einmal alleine da. Plötzlich hatte ich nicht mehr meine beiden Brüder um mich herum und lebte in einer größeren Stadt. Dazu kam die Konkurrenz: Damals spielte bei den Profis Mateja Kezman und erzielte ein Tor nach dem anderen. Dahinter hatte PSV mit Jan Vennegoor of Hesselink einen weiteren Topstürmer als Ersatz. Und dann kam ich: Ein Jugendspieler, der auf Erstliga-Niveau noch nie etwas gezeigt hatte.

SPOX: Deswegen ließen Sie sich in der Rückrunde 2002/03 zu Ihrem Heimatklub De Graafschap verleihen. Eine Fehlentscheidung?

Huntelaar: Es ging schlecht weiter. Die Mannschaft war damals Letzter und überhaupt nicht eingespielt. Außerdem passte die defensive Spielweise nicht zu mir, weil ich nur an eine nach vorne gerichtete Taktik gewöhnt war. Nach einem halben Jahr fiel das Fazit so aus: Ich habe nicht viel zeigen können, kam häufig nur als Einwechselspieler für die letzten 15 Minuten rein und De Graafschap stieg ab.

SPOX: Sie wurden 20 und warteten auf Ihren Durchbruch. Gab es Selbstzweifel?

Huntelaar: Selbstzweifel sind in einem solchen Moment normal. Ich hatte schon den Gedanken: Wenn das so weitergeht, werde ich nicht lange Spaß am Fußball haben.

SPOX: Doch dann kam der Wechsel zum wenig bekannten AGOVV Apeldoorn, dem damaligen Aufsteiger in die zweite Liga.

Huntelaar: Erstmals konnte ich zeigen, was ich draufhabe. Ohne diese eine Saison wären mir viele Türen verschlossen geblieben.

SPOX: Stimmt es, dass sogar eine Tribüne des Klub-Stadions nach Ihnen benannt wurde?

Huntelaar: Es war damals eine ganz besondere Saison: Apeldoorn spielte das erste Mal überhaupt in der zweiten Liga und dann wurde ich auch noch Torschützenkönig. Deswegen entschloss sich der Verein zu der Umbenennung. Eine große Ehre, vor allem weil ich schon nach einem Jahr weiterzog.

SPOX: Nach Heerenveen, wo Sie angeblich auch erstmals als 'The Hunter' bezeichnet wurden.

Huntelaar: Bei einem Heimspiel hatte ein Fan ein riesiges weißes Bettlaken ausgepackt und aufgehängt, auf dem stand eben 'The Hunter'. Seitdem habe ich meinen Spitznamen weg. Aber auch abgesehen davon war Heerenveen super. Der Verein ist ideal dafür, junge Spieler zu fördern: Ruud van Nistelrooy oder Jon Dahl Tomasson waren schon vor mir in Heerenveen.

SPOX: Van Nistelrooy sagte einmal, dass er abhängig ist von dem Geräusch, wenn ein Ball im Tornetz zappelt. Verstehen Sie, was er meint?

Huntelaar: Jeder Stürmer versteht es. Man sehnt sich die ganze Woche nach dem Gefühl des Toreschießens. Nach diesem Adrenalin-Kick. Es ist wie eine Droge. Es ist so wichtig wie Essen, es ist so etwas wie das Lebenselixier. Es gibt so viele Worte, um dieses Gefühl zu beschreiben. Das englische Wort 'Satisfaction' drückt es für mich am besten aus.

SPOX: Welchen Treffer haben Sie besonders in Erinnerung?

Huntelaar: Es sind zwei: Für Heerenveen gelang mir einmal gegen NAC Breda ein Traumtor nach einem Solo. Und ein Fallrückzieher für die niederländische U 21 gegen England.

Teil II: Huntelaar über Vorbild van Gaal, Robben und seine "Liebe" ManUtd

SPOX: In der U 20 wurden Sie kurzzeitig von Louis van Gaal trainiert, der als damaliger Trainer des A-Nationalteams auch bei der Junioren-WM 2001 die Verantwortung trug.

Huntelaar: Die wenigen Wochen zusammen reichten aber aus, um auf mich einen großen Einfluss zu haben. Nicht so sehr auf meine fußballerische Entwicklung an sich, dafür war die gemeinsame Zeit zu knapp. Aber seine Denkweise, sein professionelles Wesen, sein unfassbares Wissen über Fußball, das alles hat mich tief beeindruckt.

SPOX: Nach Ihrem Wechsel zu Schalke sagten Sie, dass sich van Gaal und Felix Magath ähneln würden. Inwiefern?

Huntelaar: In punkto Trainingsmethodik sind sie verschieden. Unterschiedlicher können zwei Trainer auch nicht sein: Van Gaal arbeitet mit dem Ball und hat viele Übungsformen, in denen es um Technik und Kombinationsspiel geht. Bei Magath hingegen heißt es: viel laufen, viel Physis. Was das zwischenmenschliche Verhalten und das gesamte Auftreten anbelangt, sind sie sich jedoch ähnlich. Ich finde es erstaunlich, wie sie sich mit Haut und Haaren dem Erfolg verschrieben haben.

SPOX: Sie selbst scheinen ähnlich erfolgsfixiert zu seien. Schon vor fünf Jahren war auf 'UEFA.com' zu lesen, dass Sie ein 'wandelndes Lexikon für Mittelstürmer' sind. Stimmt das?

Huntelaar: Bis zu einem gewissen Grad: ja. Vor allem in den Anfangsjahren habe ich sehr genau beobachtet, wie sich andere Mittelstürmer verhalten. Ich habe versucht, aus ihren Laufwegen abzuleiten, welche Gedanken sie haben und auf was sie spekulieren. Vor allem habe ich mich an Dennis Bergkamp und Patrick Kluivert orientiert, meine beiden Vorbilder. Mittlerweile schaue ich aber weniger auf andere, das kommt wohl ganz automatisch mit dem Alter.

SPOX: Immerhin sind Sie der 'weltbeste Strafraumspieler', wie van Gaal Sie einmal lobte.

Huntelaar: Ich werde sehr oft mit dem Zitat konfrontiert und ich finde es immer noch schmeichelhaft. Aber nein, das ist doch etwas übertrieben.

SPOX: In Heerenveen und bei Ajax Amsterdam hatten Sie durchschlagenden Erfolg, dann kam der Wechsel zu Real Madrid und damit ein Karriereknick. Wie deprimiert waren Sie, als sich herausstellte, dass Sie nicht einmal für die Champions League gemeldet wurden?

Huntelaar: Das ist einfach von vorne bis hinten unglücklich verlaufen. Ich will Real auch gar keinen großen Vorwurf machen. Der Verein kauft immer viel ein, und damals wurden zur Winterpause Lassana Diarra und ich gleichzeitig verpflichtet. Madrid war sich sicher, dass wir beide spielen könnten, aber das erwies sich als Irrtum. Deswegen wurde entschieden, dass Diarra den Vorzug bekommt, weil damals im Mittelfeld mehr Bedarf bestand. Mein Pech.

SPOX: Die zweite unschöne Episode war Ihr angeblicher Streit mit Mitspieler Arjen Robben.

Huntelaar: Das verfolgt uns seit Jahren, dabei ist überhaupt nichts dran. Um es klarzustellen: Wir waren vorher befreundet, wird sind befreundet und wir werden befreundet bleiben. Eine kleine Sache wurde total übertrieben dargestellt.

SPOX: Nämlich?

Huntelaar: Wir spielten in Bilbao und gewannen 5:2. Obwohl ich am Ende zwei Tore geschossen habe, musste ich bei einer Szene böse werden, weil Arjen bei einem Angriff selbst abschloss, statt zu mir zu passen. Dabei stand ich viel besser. Na ja, dann ergab ein Wort das nächste und Arjen sagte zu mir, von der Kamera eingefangen: 'Shut up!' Dabei sind das Sachen, die auf dem Fußball-Platz passieren und in der Kabine sofort vergessen sind.

SPOX: Über Real und den AC Milan landeten Sie auf Schalke. Welche Ziele haben Sie sich für die neue Saison gesteckt?

Huntelaar: Wir wollen in die Champions-League-Plätze. Wir haben letztes Jahr mit dem Champions-League-Halbfinale und dem Pokalsieg bewiesen, wie viel Klasse in unserem Kader steckt. Aber so schön auch die Erfolge waren: Uns sollte allen klar sein, dass der gesamte Fokus auf der Bundesliga liegen muss.

SPOX: Letztes Jahr waren Sie einer der Star-Transfers, in diesem Sommer gab es hingegen Spekulationen um den Kauf von Freiburgs Papiss Cisse als Ihren Nachfolger.

Huntelaar: Natürlich bekommt man die Gerüchte mit und macht sich seine Gedanken. Umso schöner fand ich es, als Ralf Rangnick gesagt hat, dass ich seine Nummer eins bin. Vor allem, nachdem das letzte halbe Jahr nicht ideal für mich gelaufen ist. Stürmer brauchen diese Art der Rückendeckung des Trainers.

SPOX: Haben Sie deswegen einen möglichen Wechsel zu Manchester United ausgeschlossen, obwohl Sie vor einigen Jahren erklärten, dass diesem Verein Ihre Liebe gehört?

Huntelaar: Ich habe ohnehin nie direkt etwas von United gehört. Es war nur für die Presse ein Thema. Was in der Zukunft kommt, kann man nie sagen, aber für mich stand immer fest, dass ich diese Saison für Schalke spiele.

Die lebende Tor-Maschine: Klaas-Jan Huntelaar im Steckbrief