Helferlein im Hintergrund

Stefan Rommel
21. August 201123:30
Däne William Kvist ist der neue Mittelfeldstratege beim VfB StuttgartImago
Werbung

Sein Spiel ist unscheinbar und einfach - und geprägt vom System Solbakken: William Kvist könnte für den VfB Stuttgart der Königstransfer der letzten Jahre werden. SPOX stellt den dänischen Nationalspieler vor.

William Kvist schlendert die Straße entlang, im Trainingsanzug und mit einer kleinen Tasche auf dem Rücken. Mitten durch die kleinen Grüppchen VfB-Fans, die sich noch um die Mercedes-Benz Arena verstreut tummeln. Er fällt kaum auf, die meisten Fans beachten ihn kaum.

Die erste Schlacht ist geschlagen, Kvist hat einen Bekannten aus Kopenhagen am Telefon. Er erzählt ihm von seinem ersten Tag am neuen Arbeitsplatz, dem Sieg über Schalke und wahrscheinlich noch ein bisschen mehr.

Rund 300 Spiele als Profi hat William Kvist auf dem Buckel, gut zwei Dutzend davon auf europäischer Bühne, in der vergangenen Saison sogar gegen den FC Chelsea und Barcelona. Aber das hier, das ist die Bundesliga - hier wollte er hin.

"Stuttgart hatte den besten Plan"

"Es einen Kindheitstraum zu nennen, wäre übertrieben. Andere Ligen haben auch ihren Reiz. Aber in der Bundesliga sehe ich die richtige Herausforderung für mich, ich habe mich lange mit einem Wechsel befasst. Und jetzt war einfach die Zeit dafür gekommen", sagt er im Gespräch mit SPOX.

Der VfB Stuttgart hatte ihn schon lange beobachtet, er sei "ein Produkt unseres neuen Scouting-Systems", so Sportdirektor Fredi Bobic. Ein auf den ersten Blick unscheinbarer Transfer, für beide Seiten.

Kvist hat mit Kopenhagen in der Champions League gespielt, jetzt hat der Klub erneut die Chance auf die Königsklasse. Warum also der Wechsel zu einem Verein im Umbruch, ohne Zugang zum internationalen Geschäft in dieser Saison?

"Als ich mit den Stuttgartern gesprochen habe, spürte ich, dass sie den besten Plan hatten", sagt Kvist. Und das sagt schon viel über seinen Charakter aus.

Ein Kind des FCK

Es ist irgendwie bezeichnend, dass er das wichtigste "Tor" seiner lediglich elf Treffer als Profi aus über 40 Metern Entfernung erzielt hat. Es war das 2:0 im Playoff zur Champions League-Saison vor fünf Jahren bei Ajax Amsterdam.

Seine harmlose Flanke wurde erst durch einen Gegenspieler, Thomas Vermaelen, zu einem nicht zu entschärfenden Geschoss abgefälscht. Es sicherte dem FC Kopenhagen die erste Champions-League-Teilnahme seiner Vereinsgeschichte.

"Tore zu schießen ist nicht unbedingt mein Ding. Ich versuche lieber, dass die anderen spielen können und unsere Abwehr entlastet wird. Das ist meine Aufgabe."

Sein gesamtes Fußballerleben hat er beim FC Kopenhagen verbracht. Mit acht wechselte er zum Kobenhavns Boldklub, der seit der Fusion mit dem Boldklub 1903 quasi fünfzig Prozent des FC Kopenhagen ausmacht. Bis er 15 war, spielte Kvist sogar noch recht erfolgreich Handball. Mit der ersten Berufung in Dänemarks U-16-Nationalmannschaft war dieses Kapitel aber auch erledigt.

Alternative Strategien entwickeln

Kvist ist wie der Prototyp für ein Fußball-Land wie Dänemark. Er ist nicht besonders groß und nicht besonders schnell, er hat keinen extravaganten Torabschluss und ist auch keiner dieser Terrier, die im defensiven Mittelfeld alles wegbeißen. Im Grunde besitzt er keine großen Standortvorteile seinen Konkurrenten gegenüber. Eher im Gegenteil.

Einer kleinen Fußball-Nation wie Dänemark oder den Niederlanden geht das traditionell ähnlich. Es gibt keinen nahezu unbegrenzten Fundus an Spielern wie in Brasilien, Deutschland oder Spanien - also müssen sich die Verbände alternativer Strategien bedienen, um das Ungleichgewicht wieder auszumerzen.

Ähnlich ist das Spiel von William Kvist angelegt. "Ich muss vorausschauend denken und handeln. Wenn ich schneller als der Gegenspieler am Ball sein kann, vermeide ich einen Zweikampf. Wenn ich vor der Ballannahme weiß, wohin ich den Ball spielen will, brauche ich nur einen Kontakt."

Kein Glamour, nur Fußball

Stargehabe liegt ihm fern, "ich will hier nur meine Arbeit erledigen". Und die ist ebenso unspektakulär wie sein Erscheinungsbild. Kvist bleibt lieber im Hintergrund.

"Ich will meine Teamkollegen besser machen. Ich möchte sie mit einfachen, kurzen Pässen aus dem zentralen defensiven Mittelfeld in Szene setzen. Dabei ist es wichtig, dass die Pässe die richtige Geschwindigkeit haben. Man muss das Tempo dosieren können und die Angriffe durchdacht einleiten."

Mit dem FCK holte er sechs Meistertitel, drei davon zuletzt in Folge - und insgesamt fünf mit Stale Solbakken als seinem Trainer. Er ist der zweite große Mosaikstein für Kvists Idee und Umsetzung des Fußballs.

Beim FC Kopenhagen war er quasi Mädchen für alles: Vom rechten Verteidiger bis zum linken Außenstürmer spielte Kvist auf jeder Position. In Solbakkens System der defensiven Raumdeckung entwickelte sich sein enormes Spielverständnis.

Entwicklung unter Solbakken

Die Spielidee des Trainers schärfte immer mehr seine Sensoren. In der Raumdeckung mit zwei eng zusammenstehenden Viererketten kommt der Position des zentralen defensiven Mittelfeldspielers die entscheidende Rolle zu.

Die Angriffe sollen durch geschicktes Attackieren auf den Außen in die Mitte gelenkt werden, wo es die beiden Sechser sind, die dann die Falle zuschnappen lassen und den Ball erobern. Gefragt ist hier neben einem hohen Maß an taktischer Disziplin und Scharfsinn auch die Gabe, die Spielzüge des Gegners zu erahnen.

Es gibt nicht viele Spieler, die eine Partie wirklich lesen können, die dem eigenen Spiel Struktur und Ordnung verleihen, auch wenn die eigene Mannschaft gerade nicht den Ball besitzt. "Ich möchte dafür sorgen, dass wir aggressiv und mit Freude gegen den Ball spielen, ihn immer so schnell wie möglich erobern und dann schnell auf Offensive umschalten."

Mit Kvist ist der VfB zumindest schon auf dem Weg dorthin. Aber: "Auch ich muss mich noch in so vielen Dingen verbessern. Auch das war ein Grund für meinen Wechsel nach Deutschland. Hier ist jede Woche Top-Niveau gefordert, es herrscht harter Wettbewerb."

Sechs Jahre Studium nebenbei

So wie er für sich den strategischen Vorteil sucht, macht er das auch für seine Mannschaft. Als sein neues Team im Auftaktspiel gegen Schalke zwar mit 2:0 führte, aber immer müder und unkonzentrierter wurde, riss Kvist die Verantwortung an sich.

Er rüttelte seine Mitspieler verbal wach, übernahm die Rolle im Spielaufbau von Zdravko Kuzmanovic, weil der immer fahriger wurde und der Stuttgarter Ballbesitz spätestens an der Mittellinie endete. "Ein Anschlusstor hätte die Partie ganz schnell kippen lassen können", sagte er später. Es hörte sich nicht wie eine jener oft gehörten Floskeln an, eher wie eine Wahrsagung.

William Kvist will ein "seriöser Spieler" sein. In Kopenhagen hat er zuletzt einen Mentaltrainer engagiert. Der hat mit ihm zusammen seine nächsten Ziele erarbeitet.

Eins davon hat er vor einigen Monaten schon erreicht: Kvist hat jetzt den Bachelor-Abschluss der Copenhagen Business School in der Tasche, sechs Jahre hat er dafür gebraucht. Für ihn ist es wichtig, auch über den Tellerrand des Profi-Fußballs hinaus etwas zu tun.

Basualdo, Dunga, Soldo - Kvist?

Beim VfB glänzten schon oft heimlich die einfachen Arbeiter. Die die Drecksarbeit machen, nicht spektakulär auffallen, einfach den Job erledigen und Ende.

Jose Basualdo, Carlos Dunga, Zvonimir Soldo, Pavel Pardo - einige der sehr guten Transfers aus dem Ausland, die zuerst kaum jemand kannte und die im Laufe der Zeit doch zu kleinen oder großen Ikonen der Klubgeschichte wurden.

Vielleicht wird man schon bald ähnliches über William Kvist erzählen. Auf vier Jahre ist sein Vertrag in Stuttgart datiert. Zeit genug, auch irgendwann einmal Silberware zu gewinnen. "Im Fußball ist alles möglich", sagt Kvist.

Dann muss er noch schnell zwei Autogramme schreiben. Zwei VfB-Fans haben ihn doch noch erkannt. Bald wird er sich nach einem Spiel nicht mehr so unbehelligt den Weg zu seinem Wagen bahnen können.