"Ich bin nie rumgerannt wie Oliver Kahn"

Von Interview: Pascal Jochem
Heinz Müller ist die alte und neue Nummer eins unter Thomas Tuchel
© Getty

Heinz Müller ist die alte und neue Nummer eins beim FSV Mainz 05. Der 33-Jährige konnte den Konkurrenzkampf gegen Christian Wetklo für sich entscheiden. Im Interview mit SPOX spricht Müller über seine bewegte Karriere, die junge Torhüter-Generation in Deutschland, sein Faible für Mode und Nacktfotos im Internet.

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SPOX: Herr Müller, wie läuft eigentlich Ihr Nebenjob?

Heinz Müller: Was meinen Sie?

SPOX: Es hieß vor einiger Zeit, sie seien unter die Modedesigner gegangen und hätten mit einem Freund ein eigenes Label gegründet.

Müller: Modedesigner ist ein bisschen hoch gegriffen. Wir versuchen eine eigene Produktlinie herauszubringen mit Poloshirts, die nach unseren Vorstellungen designt sind. Das ist sehr zeitaufwändig, man muss etwa ins Ausland reisen und die Stoffe einkaufen. Aber um sich intensiv darum zu kümmern, fehlt mir momentan einfach die Zeit. Deshalb plätschert das nebenbei so vor sich hin.

SPOX: Welcher Modetyp sind Sie, bevorzugen Sie einen bestimmten Stil?

Müller: Ich trage das, wonach mir gerade ist. Eigentlich alles von A bis Z. Mal komme ich im Jogging-Anzug zum Training, mal perfekt gestylt. Einen besonderen Stil habe ich nicht.

SPOX: Es gibt ja auch wichtigere Themen. Sie sind im April zum zweiten Mal Vater geworden. Beflügelt so etwas auch im täglichen Training?

Müller: Ich würde es so ausdrücken: Die Familie ist ein wichtiger Rückhalt. Wenn du Negativerlebnisse verarbeiten musst, bist du froh abends heimzukehren und die Familie zu sehen. Deine Kinder sehen dich als Papa, und nicht als Torwart von Mainz 05. Wenn das eigene Kind gesund ist, fröhlich spielt und lacht, wird Fußball zur Nebensache. Klar, es ist unser Job, aber es gibt Wichtigeres im Leben.

SPOX: Negativerlebnisse gab es in dieser Saison auch schon - das 2:4 gegen Schalke und das Aus in der Europa-League-Qualifikation. Dabei verlief der Start mit sieben Punkten aus vier Spielen recht ordentlich. Täuscht der Eindruck oder ist Mainz in dieser Saison unberechenbar?

Müller: Das Aus in der Europa-League war unglücklich. Wir hatten bestimmt 100:4 Torchancen, nur das Ding nicht reingemacht und sind dann im Elfmeterschießen ausgeschieden. Aber dieses Spiel sollte man separat betrachten. Da haben wir Lehrgeld bezahlt. In der Bundesliga haben wir uns bis auf das Spiel gegen Schalke in allen Partien über 90 Minuten gut präsentiert. Ich denke, wir können mit der Punkteausbeute zufrieden sein.

SPOX: Hängt das Aus in der Europa League noch nach? Praktisch hat sich Mainz die gesamte vergangene fantastische Saison kaputt gemacht.

Müller: Das ist abgeschlossen. Wenn man so einem Spiel lange hinterher trauert, ist das nicht förderlich. Wir haben das Aus am nächsten Morgen aufgearbeitet und abgehakt. Schwamm drüber. Drei Tage später ging es in der Bundesliga los. Und beim 2:0 zum Auftakt gegen Leverkusen waren die Jungs voll da.

SPOX: Was kann Mainz in dieser Saison erreichen?

Müller: Das Saisonziel für den Verein kann nur der Klassenerhalt sein. Das ist nicht anders als im vergangenen Jahr. Wir wissen um unser Potenzial, aber wir machen uns keinen Druck. Wenn allerdings die Möglichkeit besteht, sich da oben festzusetzen, werden wir es wieder versuchen.

SPOX: Trainer Tuchel hat die Stammplatzfrage für das Tor lange offen gehalten. War das nötig aus Ihrer Sicht?

Müller: Wenn der Trainer das so lange hinauszögert, ist das seine freie Entscheidung. Konkurrenzkampf gibt es auf jeder Position. Aber ich war mir von vornherein sicher: Wenn ich meine Form habe, führt kein Weg an mir vorbei.

SPOX: Es ist dennoch eine außergewöhnliche Situation. Sie und Konkurrent Christian Wetklo sind ähnlich alt, haben einen ähnlichen Werdegang. Und sie scheinen sich ganz gut zu verstehen.

Müller: Das funktioniert gut, auch zwischenmenschlich. Ich habe mit Wetti kein Problem. Einerseits sind wir Konkurrenten, andererseits lachen wir viel gemeinsam in der Kabine. So, wie es eigentlich auch sein soll.

SPOX: Gibt es auch so etwas wie Mitleid? Wenn etwa ein guter Kumpel wie Wetklo nur auf der Bank sitzt.

Müller: Nein. Das ist wie im normalen Berufsleben auch, überall herrscht Konkurrenzkampf. Mit mir hat auch noch niemand Mitleid gehabt. Da wird nie einer ankommen: Schade, dass du nicht spielst. Das gibt es nicht in diesem Geschäft

SPOX: Tuchel gilt als spezieller Vertreter seiner Zunft. Sie bekommen das in der täglichen Arbeit mit, was macht ihn aus?

Müller: Er ist jung und hungrig. Hungrig auf eine große Trainerkarriere. Er arbeitet akribisch und analysiert mit seinem Team den Gegner und das eigene Spiel. Videoanalyse, Livebeobachtung - alles, was dazu gehört. Und im Training werden wir taktisch entsprechend geschult.

SPOX: Im Sommer hätten Sie dennoch fast den Absprung gewagt. Die Bayern haben sich bei Ihrem Berater erkundigt. Wie sehr hat Sie das beschäftigt?

Müller: Wenn sich so ein Kaliber wie Bayern München nach einem erkundigt, macht man sich natürlich Gedanken. Das kann auch jeder verstehen, glaube ich.

SPOX: Hätten Sie sich auch auf die Bank gesetzt, hinter Manuel Neuer oder Hans-Jörg Butt?

Müller: Die Frage hat sich konkret ja nie gestellt. Aber prinzipiell wäre die Möglichkeit, mit einer Mannschaft um die Meisterschaft und in der Champions League zu spielen, vielleicht mal ins Team zu rutschen und einen Titel zu gewinnen, sehr reizvoll gewesen. Aber letztendlich bin ich in Mainz geblieben. Ich fühle mich wohl hier.

SPOX: Bayern München war nicht der einzige große Verein: Auch der FC Arsenal hat mal ein Auge auf Sie geworfen. Wie heiß war diese Geschichte?

Müller: Ich war vier Tage im Probetraining bei Arsene Wenger. Mit Anfang 20 muss das gewesen sein. Arsenal wollte eigentlich den Deal machen, aber mein damaliger Verein Arminia Bielefeld wollte mich nur verkaufen und nicht ausleihen - für einen Preis, den Arsenal nicht zu zahlen bereit war.

SPOX: Trauert man der verpassten Chance noch nach?

Müller: Ich trauere nie irgendetwas nach. Das bringt mich nicht weiter.

SPOX: Aber in Ihrer Karriere hat Sie nicht gerade das Glück verfolgt. Eher das Verletzungspech. Kreuzbandriss, Schambeinentzündung, längere Auszeiten. Hat das womöglich die ganz große Karriere verhindert?

Müller: Das ist alles utopisch. So ist es nun mal gelaufen, das gehört zum Fußball dazu. Besonders die Schambeinentzündung war sehr hartnäckig. Ich habe ein Jahr lang nicht gegen den Ball treten können. Als dann mein damaliger Verein Jahn Regensburg in die Regionalliga abgestiegen ist, hat sich die Chance in Norwegen bei Odd Grenland ergeben. Das war ein Neuanfang. Ich habe mich nie aufgegeben.

SPOX: Nie aufgeben, auch nach Rückschlägen immer wieder aufstehen. Das hat was von Sylvester Stallone - ihr Idol, wie zu lesen war.

Müller: Die Rocky-Filme passen ganz gut auf Ihre Beschreibung. Aber Sylvester Stallone war jetzt nicht unbedingt ein großes Vorbild, das mich geprägt hat. Ich finde ihn einfach als Schauspieler und als Typ interessant. Und ich habe mir immer gerne seine Filme angesehen.

SPOX: Aus einem früheren Interview ist auch ein Zitat von Ihnen überliefert, wonach Sie einige Bücher über Disziplin und Zielstrebigkeit gelesen hätten und so an ihrer Selbsteinschätzung gearbeitet haben. Können Sie uns einen Autor empfehlen?

Müller: Was, wollen Sie die etwa auch lesen? Ich habe vor allem viel im Internet recherchiert, viele Erfahrungen mit anderen Leuten ausgetauscht. Und so bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man ehrlich zu sich sein muss. Sich selbst kritisch zuhinterfragen, sich seine eigenen Fehler einzugestehen - nur das bringt einen weiter.

SPOX: Apropos Internet. Seit kurzem nutzen Sie auch Facebook.

Müller: Ja, weil viele Freunde von mir da sind. Ich nutze das eigentlich nicht um mich mitzuteilen, sondern eher als Chat. Wenn ich sehe, dass die Kumpels online sind, werden kurz ein paar Sätze hin- und hergeschickt und das war es dann auch.

SPOX: Manch weiblicher Fan "postet" auf ihrem Profil Nacktfotos von Ihnen unter Dusche.

Müller: (lacht) Das ist ja nichts Neues. Das war damals ein Foto-Shooting, als ich noch bei St. Pauli gespielt habe. Das Foto ist ja schon alt, kennt ja jeder.

SPOX: Sie sagen es, die Geschichte ist schon eine Weile her. Sie sind jetzt 33 Jahre alt. Nach all den Jahren auf Wanderschaft: Können Sie sich vorstellen in Mainz in Rente zu gehen?

Müller: Definitiv.

SPOX: Ihr Vertrag läuft nach der Saison aus. Gab es schon Gespräche über eine Verlängerung?

Müller: Nein. Wir lassen uns Zeit. Ich habe vor, noch drei bis vier Jahre aktiv zu sein. Ich denke, bis 37 kann ich noch auf diesem Niveau spielen. Ich habe immer gesagt, dass ich mich hier sehr wohl fühle. Ich komme aus der Region, bin in Frankfurt groß geworden. Ansprechpartner Nummer eins ist Mainz 05. Und wenn wir uns im Winter auf einen neuen Vertrag einigen können, werde ich wohl hier bleiben.

SPOX: In der Bundesliga gibt es derzeit einen anderen Trend. Dort sind vor allem junge Torwart-Talente gefragt: Zieler, ter Stegen, Leno. Wie sehen Sie diese Entwicklung als jemand, der erst spät den Durchbruch geschafft?

Müller: Grundsätzlich spielt immer der stärkste Torhüter, das ist eine Frage der Qualität, die ohne Zweifel bei den jungen Torhütern vorhanden ist. Dazu kommt aus meiner Sicht aber noch der Umstand, dass viele Vereine finanziell unter Druck sind. Die Klubs geben für Torhüter ungern Geld aus. Wann hat es in letzter Zeit einen Transfer gegeben, mit Ausnahme von Manuel Neuer, bei dem ein Torwart für ein paar Millionen gewechselt ist? Torhüter wechseln meistens ablösefrei oder für kleinere Beträge. Und viele Vereine entscheiden sich dann eben für eine kostengünstige Personalie. Da steht dann eher der 18-Jährige im Tor, der nur halb so viel verdient wie der 30-Jährige.

SPOX: Birgt es nicht auch Gefahren, wenn man zu früh "hochgepusht" wird? Früher hieß es, Erfahrung sei im Torwartspiel mit das Wichtigste.

Müller: Ja, aber so ist momentan die Marschroute vieler Bundesligisten. Und gute Jungs aus den eigenen Reihen mit einem langfristigen Vertrag, die in der Bundesliga ein gutes Jahr haben, kann man eben auch für viel Geld verkaufen. Darauf spekuliert womöglich auch der ein oder andere.

SPOX: Wer von den jungen Torwart-Talenten ist aus Ihrer Sicht am weitesten?

Müller: Von den jungen deutschen Torhütern ist und bleibt für mich Manuel Neuer ganz klar der Beste. Der Kerl hat Riesen-Anlagen. Und von seinen Fähigkeiten her sehe ich ihn über Jahre hinweg als klare Nummer eins in Deutschland und in Europa. Auch wenn er es momentan ein bisschen schwer hat mit dem Umfeld in München.

SPOX: An welchem Keeper haben Sie sich in jungen Jahren orientiert?

Müller: Ein richtiges Vorbild hatte ich nie. Klar, ich habe immer die Bundesliga verfolgt und die Jungs bewundert und mir versucht, einiges abzuschauen. Aber ich habe nie jemanden kopiert und bin rumgerannt wie Oliver Kahn oder Jens Lehmann. Ich habe stattdessen versucht, meinen eigenen Weg zu gehen. Viel lernen kann man auch von Torhütern, die keinen großen Namen haben oder noch jung sind. Wenn ich sehe, der 18-Jährige aus der A-Jugend, der bei uns mittrainiert, hat einige richtig gute Bewegungsabläufe, dann versuche ich das auch so umzusetzen.

48 Spiele für Mainz 05: Heinz Müllers Bilanz

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