So lief die Vorrunde
Begleitet von großen Hoffnungen nahm im Sommer mit Frank Arnesen endlich wieder ein Sportchef in Hamburg die Arbeit auf. Seine erste und wichtigste Aufgabe: Den Kader verjüngen und dabei viel Geld sparen. Mit Piotr Trochowski, Eljero Elia, Frank Rost, Ruud van Nistelrooy und Ze Roberto wurden umstrittene Leitwölfe und Symbolfiguren für das Scheitern der letzten Jahre abgegeben, dafür kamen unbelastete und hungrige Talente. Die meisten davon aus der Reserve des FC Chelsea, Arnesens letztem Arbeitgeber.
Mit dem Etikett "Umbruch" warben die Verantwortlichen für das Projekt und erbaten sich dafür Zeit und Geduld. Ihre eigene Geduld allerdings war bereits nach sechs Spieltagen aufgebraucht.Mit nur einem Punkt und satten 17 Gegentoren war der HSV Tabellenletzter. Und vor allem: Es fehlte die Aussicht auf Besserung. Michael Oenning war es nicht gelungen, der Mannschaft eine spielerische Identität zu geben. Er orientierte sich stattdessen stark am Gegner und schraubte exzessiv an Personal und Taktik.
Auf atmosphärischer Ebene drohte der Umbruch zu scheitern, noch ehe er so richtig begonnen hatte; denn die neue Mannschaft offenbarte früh die alten Krankheiten: Unsicherheit, Verkrampfung, Lähmung. Also musste Oenning gehen.
Als Interimslösung übernahmen zunächst Rodolfo Cardoso und Frank Arnesen und holten in drei Spielen immerhin die ersten zwei Saisonsiege. Doch trotz der existenziell wichtigen Punkte geriet der Sportchef plötzlich selbst in die Schusslinie: Die Suche nach einem Nachfolger für Oenning ging einigen Kritikern nicht schnell und geradlinig genug.
Doch die verstummten am 10. Spieltag, als Thorsten Fink zum ersten Mal auf der Bank saß. Arnesen hatte ihn vom FC Basel losgeeist und damit offenbar ins Schwarze getroffen.
Zwar holte auch Fink in acht Spielen nur zwei Siege. Doch er verpasste der Mannschaft überraschend schnell eine Handschrift und damit eine sportliche Perspektive. Mit seiner starken Persönlichkeit gelang es ihm zudem, das Gesamtgefüge in der sportlichen Führung kompetent und glaubwürdig zu komplettieren. Im Duo mit Arnesen wirkt der Überbau des HSV nun plötzlich wieder stabil, geschlossen und leistungsfähig.
Das war gut
Unter Fink ist der HSV noch ungeschlagen, nach acht sieglosen Monaten platzte mit den Erfolgen gegen Hoffenheim und Nürnberg auch zuhause endlich der Knoten. Tatsächlich hat der neue Trainer in kurzer Zeit einen neuen Spirit und neues Selbstvertrauen entwickelt.
Die Mannschaft spielt leidenschaftlich und dennoch konzentriert und geschlossen. Trotz einer explizit offensiven und aktiven Ausrichtung hat der HSV seit dem 10. Spieltag nur noch sechs Gegentore kassiert - und kein einziges mehr nach einem Konter.
Finks Klarheit und Konstanz in taktischen und personellen Fragen hat außerdem dazu geführt, dass sich einzelne Spieler stabilisiert haben. Nach schwachem Saisonstart ist Jaroslav Drobny ein echter Rückhalt geworden, Heiko Westermann und Jeffrey Bruma harmonieren immer besser im Abwehrzentrum.Gökhan Töre hat sich mit Mut, Spielfreude und präzisen Standards zu einem der besten Vorbereiter der Liga entwickelt. Tomas Rincon hat seine Position gefunden und schließlich zahlt auch Paolo Guerrero das neue Vertrauen zurück.
Eine große Stärke des HSV war in der Hinrunde auch die gute Ausbeute nach eigenen Standards - das allerdings vor allem unter Oenning.
Das muss besser werden
Zweifellos hat Fink schon viel bewegt. Die nackten Zahlen aber könnten deutlich besser sein. Nüchtern betrachtet liegt Hamburg nach wie vor nur drei Punkte vor dem Relegationsplatz. Für die eigenen Ansprüche sind vor allem die drei Punkte aus den Heimspielen gegen Wolfsburg, Kaiserslautern und Augsburg zu wenig.
Die größten Probleme liegen dabei im Mittelfeld. Gegen den Ball spielt der HSV dort häufig noch zu passiv, gerade auf Außen hat der Gegner oft zu viel Zeit. Immer wieder entstehen so Gegentore nach Flanken oder Pässen in den Rücken der Abwehr. Auch noch in den Testspielen im Winter.
Nach vorne dagegen kommt noch zu wenig Input aus dem Zentrum, die Doppelsechs Rincon und Gojko Kacar kommt zusammen auf nur zwei Torbeteiligungen. Das Umschaltspiel gehört fast traditionell zu den größten Hamburger Schwächen, auch unter Fink hat sich daran wenig geändert.
Insgesamt wirkt die Offensive des HSV dadurch leicht eindimensional und berechenbar, fast alle Angriffe laufen über die Flügel - und enden allzu oft in unpräzisen Flanken. Kein anderes Team der Bundesliga erspielte sich in der Hinrunde weniger Großchancen als Hamburg.
Die vier Stürmer Mladen Petric, Guerrero, Marcus Berg und Heung-Min Son kommen zusammen auf nur neun Treffer aus dem Spiel heraus.
Spieler im Fokus
Gökhan Töre wird dem HSV bis Ende Februar verletzt fehlen. Bis dahin liegt die kreative Hauptlast im Mittelfeld auf Ivo Ilicevic. Dribbelstärke, Schnelligkeit, Übersicht und Torriecher bringt der 25-Jährige mit. Früher als erwartet muss er nun auch Verantwortung übernehmen. Im Trainingslager zeigte seine Formkurve jedenfalls nach oben.
Die zweite Schlüsselpersonalie ist der oft unterschätze Robert Tesche. Als offensiver Part der Doppelsechs überholte er in Marbella offenbar Gojko Kacar. Mit seinem Tempo, seiner Schusstechnik und seiner Kopfballstärke ist der 24-Jährige als Box-to-Box-Spieler eigentlich auch prädestiniert. Arbeiten muss er aber noch an seiner Präsenz und Handlungsschnelligkeit sowie an seiner Konstanz.
Prognose
Hamburg hat ein gewaltiges Auftaktprogramm. Die für die Stimmung wichtigen ersten Heimspiele gehen gegen Dortmund, Bayern und Bremen.
Dazwischen liegen komplizierte Auswärtsaufgaben in Berlin, Köln und Gladbach.
Sollte sich der HSV aus diesem Saisonstart Rückenwind und ein paar Punkte holen, ist zumindest der Angriff auf die Europa League ein realistisches Ziel. Das Mittelfeld der Liga ist extrem eng beisammen, auf Platz sieben fehlen nur vier Punkte.
Holt sich Hamburg, wie in der Hinrunde, aber gleich eine blutige Nase und punktet nicht zum Auftakt, wird das Thema Abstiegskampf lange erhalten bleiben.
Der HSV-Kader im Überblick