So lief die Hinrunde
Unerwartet gut. Mit dieser Bewertung könnte man dieses Kapitel eigentlich auch abschließen, aber die beeindruckende Hinrunden-Leistung Borussia Mönchengladbachs verdient jedes lobende Wort. In der Relegation hatte sich die Borussia vor dem Abstieg gerettet, ohne wesentliche Neuverstärkungen waren die Erwartungen für die neue Saison entsprechend konservativ.
Doch das 1:0 zum Bundesliga-Auftakt beim FC Bayern in der Allianz Arena verfestigte den Glauben, dass die starke Rückrunde 2010/11 kein Zufall war und dass die neue Saison mit der alten nichts mehr zu tun haben wird. Gladbach ließ zwei weitere Siege folgen und setzte sich auf Platz eins.
Die besonders in der vorherigen Hinrunde so katastrophale Defensive? Vergessen! Elf Gegentore in der Hinrunde sind der beste Wert in der Gladbacher Bundesliga-Geschichte. Das lag auch daran, dass Gladbach den einen oder anderen Ausfall von Dante oder Martin Stranzl kompensieren konnte.
Über allem stand aber Marco Reus, der eigentlich wie schon in den vergangenen Jahren stark aufspielte, aber die Wirkung war mit dem Sturmlauf Gladbachs auf die Tabellenspitze umso mächtiger. Unvergessen die Leistungen Reus' gegen Werder Bremen, als ihm ein Hattrick gelang oder gegen Bayer Leverkusen.
Das Sahnehäubchen für Reus und Fans war das 3:0 beim Derby in Köln. Als Reus danach mit gebrochenem Zeh zwei Spiele ausfiel, setzte es ein Remis und eine Pleite. Mit dem Sieg gegen Mainz fand das Jahr aber ein gutes Ende.
Das war gut
Viele Faktoren drängen sich auf: von Marco Reus über die mannschaftliche Geschlossenheit bis zu Mike Hanke, der trotz niedriger Torquote der Liebling der Fans ist. Aber der wesentliche Erfolgsfaktor von Trainer Lucien Favre ist zweifelsfrei die Stabilisierung der Defensive, die in den Vorjahren Gladbach zum Abstiegskandidaten Nummer eins mutieren ließ.
Die Borussia hat die zweitbeste Defensive der Bundesliga, was sich schon in der Rückrunde der vergangenen Saison andeutete. Doch es ist nicht nur ein Verdienst der Viererkette, die auch individuell eine bessere Haltungsnote hinlegt als in den Jahren zuvor. Es sind aber insbesondere die mannschaftliche Geschlossenheit und die taktische Disziplin, die Gladbach so sattelfest aussehen lassen.
Selbst Juan Arango, nicht unbedingt bekannt als Liebhaber der lauffreudigen Defensivarbeit, oder auch Marco Reus oder Patrick Herrmann sind bei gegnerischem Ballbesitz hinter dem Ball. Symbolisch für die aufopferungsvolle Defensivarbeit war Mike Hanke gleich am 1. Spieltag beim Gastspiel gegen den FC Bayern: Der Stürmer, der sich die Lunge aus dem Leib rannte, war bei seiner Auswechslung die personifizierte Erschöpfung. Den Lohn gab's aber nicht nur in diesem Spiel.
Das muss besser werden
Von Gladbach eine Steigerung zu erwarten, wäre fast schon vermessen. Klar ist aber auch, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Zwar klappt die Defensivarbeit sehr gut und vorne ist dank Marco Reus stete Gefahr, aber Lucien Favres Drei-Stufen-Plan, zunächst die Defensive zu stabilisieren, dann Torchancen zu kreieren und letztlich diese effektiv zu nutzen, zeigt zwischen der Stufe zwei und drei leichte Mängel.
Die Stürmer strotzen nicht vor Torgefahr: Hanke zählt drei Saisontore, Igor de Camargo zwei, Raul Bobadilla ein Tor. Die starke Abhängigkeit von Marco Reus ist nicht von der Hand zu weisen.
Wird die Verantwortung bzw. die Offensivlast auf mehrere Schultern verteilt, könnte es besser werden und wäre vor allem eine gute Vorbereitung für die Zeit nach Marco Reus.
Spieler im Fokus
Marco Reus. Wer sonst? Das Herz, die Seele, das Gehirn - Reus ist überlebenswichtig für Gladbachs Wohlbefinden in der Offensive. Seine Hinrundenleistung war phänomenal und verdiente fast jedes Superlativ.
Aber die Aufgabe in der Rückrunde wird nicht einfach. Reus steht fortan noch stärker unter Beobachtung: Gladbach- und Dortmund-Fans und ganz Fußball-Deutschland schauen auf ihn.
Er ist nicht mehr nur der fröhlich-freche Dribbler des Bundesliga-Emporkömmlings, sondern ein 17-Milionen-Euro-Transfer des amtierenden Meisters.
Kommt er damit zurecht, wird seine Abschiedstournee aus Mönchengladbach angenehm und wahrscheinlich auch mit einem erfolgreichen Ende für Klub und Spieler.
Gestaltet sich das Ganze etwas schwieriger, bläst Reus möglicherweise eine steife Brise ins Gesicht und die Schlagzeilen in derartigen Fällen sind bekannt. Für Reus ist zu hoffen, dass sie ihm erspart bleiben.
Prognose
Platz 4 nach 17 Spieltagen ist kein Zufallsprodukt und die Gladbacher Borussia ist viel zu stabil, als dass ein extremer Ausreißer nach unten zu erwarten ist. Die feststehenden Abgänge von Marco Reus und Roman Neustädter sollten zumindest in der Rückrunde nicht sonderlich ins Gewicht fallen:
Gladbach hat in der gar nicht allzu entfernten Vergangenheit viel prekärere Drucksituationen erlebt und sie letztlich auch überstanden.
17 Mal wird man von Reus noch abhängig sein, dennoch muss Favres Mannschaft aber auch der Schweizer anfangen zu lernen, wie es ohne ihren Spielmacher geht. Während dieses Lernprozesses ist Gladbach das Erreichen eines Europa-League-Platzes zuzutrauen. Hält Reus seine Form, bleiben Verletzungsserien erspart, ist möglicherweise sogar mehr drin.
Borussia Mönchengladbach: Kader, Ergebnisse, Termine