"Warum wird der Libero abgeschafft?"

Von Interview: Haruka Gruber
Kapitän Timmy Simons (l.) ist als Sechser der Anker der Nürnberg-Defensive
© Imago

Er arbeitet als Kellner und Handwerker, dann überrollte ihn der moderne Fußball, bevor er spät entdeckt wurde. Timmy Simons - eine Ausnahmeerscheinung der Bundesliga. Der 35-jährige Belgier spricht im Interview über seine ungewöhnliche Karriere, seine unglaubliche Fitness und seinen letzten Traum: die WM 2014 in Brasilien.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Simons, Sie sind eine Ausnahmeerscheinung im Fußball: Obwohl Sie 35 Jahre alt sind, weisen Sie beim 1. FC Nürnberg den besten Fitnesswert aller Spieler auf. In der gesamten Bundesliga zählen Sie zu den Laufstärksten. Wie ist das zu erklären?

Timmy Simons: Dass es die meisten überrascht, verstehe ich, aber so seltsam finde ich das gar nicht. Es ist schon immer so bei mir gewesen, dass ich in der Lage sein muss, hundert Prozent Vollgas zu geben - und kein Prozent weniger. Mein Körper braucht diese Spannung und Intensität, um Leistung zu bringen. Ich versuche wie viele andere ältere Spieler, mit Auge Situationen zu lösen. Aber ich muss auch das Vertrauen in meinen Körper haben, dem Gegner den Ball ablaufen zu können, wenn es nötig ist. Deswegen arbeite ich seit Jahren sehr viel im läuferischen Bereich.

SPOX: Negativ betrachtet könnte man sich die Frage stellen: Wie kann es sein, dass ein 35-Jähriger alle anderen abhängt?

Simons: Zum Saisonstart war es sicherlich so, dass einige junge Spieler konditionell noch Nachholbedarf hatten, weil sie aus unteren Ligen kamen. Mittlerweile haben sie die Defizite aufgeholt. Vielleicht haben Sie sich ein bisschen ein Beispiel an mir genommen. Dennoch möchte ich natürlich weiterhin derjenige sein, der bei Laufeinheiten vorne mitmarschiert. (lacht)

SPOX: Trotz Ihrer Fitness zeigten Sie in der Hinrunde schwächere Leistungen als in der überragenden Vorsaison 2010/11. Trainer Dieter Hecking suchte im Trainingslager in Belek daher das Gespräch mit Ihnen. Um was ging es?

Simons: Dass ich insgesamt besser spielen muss. Zum Beispiel sprach er zurecht an, dass die Pässe nicht mehr so sicher kamen. Oder dass ich in kritischen Situationen auf dem Spielfeld mehr Kontakt zu den jungen Spielern suchen und besser coachen muss.

SPOX: Die für Sie und Nürnberg enttäuschende Hinrunde führte nicht dazu, dass das Interesse aus Ihrer belgischen Heimat nachließ. Anderlecht und Ex-Klub Brügge sollen sogar eine Ablöse in Höhe von einer Million Euro geboten haben, damit Sie sofort wechseln. Stattdessen verlängerten Sie den im Sommer auslaufenden Vertrag beim Club um zwei Jahre bis 2014. Warum?

Simons: Dass solche Vereine und solche Ablösesummen im Gespräch sind, obwohl ich 35 bin, ehrt mich sehr. Für mich stand es immer fest, dass ich solange wie möglich in der Bundesliga bleiben möchte. Ich dachte noch vor eineinhalb Jahren, dass ich in Eindhoven ein, zwei Saisons als Bankspieler dranhänge und mich langsam aufs Karriereende vorbereite. Und dann kam überraschend Nürnberg und damit die Chance, mit weit über 30 Jahren endlich in einer Topliga zu spielen. Das ist fast ein Wunder.

SPOX: Warum sind Sie so lange in Belgien und den Niederlanden geblieben?

Simons: Es hat einfach nicht gepasst. In Brügge hatte ich tolle Angebote aus England und Deutschland, nur der Verein lehnte alle Angebote ab. Vielleicht wäre es ein wichtiger Schritt gewesen, um noch schneller ein höheres Niveau zu erreichen. Als ich von PSV verpflichtet wurde, habe ich die Topligen gar nicht mehr so vermisst. Wir spielten regelmäßig in der Champions League und ich konnte mich beweisen.

SPOX: Sie sind ein Spätzünder: Mit 21 fingen Sie mit dem Training unter Profibedingungen an, mit 28 ging es erstmals ins Ausland nach Eindhoven, mit 33 in die Bundesliga nach Nürnberg. Wurden Sie immer verkannt?

Simons: Nein, nein. Ich hätte als Jugendlicher in den Nachwuchs verschiedener belgischer Profi-Klubs wechseln können, aber mein Vater riet mir dazu, beim Heimatklub KTH Diest zu bleiben. "Wenn du es hier in die erste Mannschaft schaffst, schaffst du es überall hin", sagte er mir. Am Ende behielt er Recht, obwohl es lange gedauert hat. Mit Diest spielte ich zwei Jahre in der zweiten Liga und zwei Jahre in der dritten Liga - wobei es nicht vergleichbar ist mit Deutschland. In Belgien geht es in der zweiten und dritten Liga amateurhaft zu, mit nur vier Trainingseinheiten die Woche. Immer abends, damit man tagsüber dem normalen Job nachgehen konnte. Daher fiel mir der Sprung in den Profi-Fußball anfangs sehr schwer.

SPOX: Sie haben vor Ihrem Durchbruch mit Ihrem Vater als Handwerker gearbeitet. Was genau?

Simons: Ich hatte eine Stelle in einer Fabrik, in der Türen und Fenster hergestellt wurden. Von dieser Fabrik kauften ich parallel mit meinem Vater einen Bestand an Türen und Fenster auf, verkauften sie weiter und bauten sie direkt bei den Leuten in deren Häusern ein. Fast drei Jahre ging das so.

SPOX: Wie kann man sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn vorstellen?

Simons: Es war eine harte, sehr lehrreiche Zeit. Er ist ein strenger Vater, was sich jedoch als Glücksfall für mich erwiesen hat. Ich bin nur soweit gekommen, weil mein Vater die Erwartung an mich hatte, dass ich immer das Beste abliefere. Mit weniger war er nie zufrieden, egal ob in der Schule, im Fußball oder bei der Arbeit. Wenn eine Tür oder ein Fenster nicht perfekt eingesetzt wurde, hieß es: Noch mal alles ausbauen und wieder versuchen, bis es dem höchsten Anspruch genügt. Diese Denke habe ich auch als Fußballer verinnerlicht.

SPOX: Sie spielten nicht nur semiprofessionell Fußball und gingen den Job als Handwerker nach. Stimmt es, dass Sie außerdem gekellnert haben?

Simons: Seit ich 16 war an jedem Wochenende und in jedem Urlaub. Im Grunde hatte ich seit der Jugend nur Mittwochabends ein bisschen Freizeit.

Seite 2: Simons und die belgischen Supertalente

Artikel und Videos zum Thema