Martin Harnik hätte für seinen ersten ganz großen Auftritt kaum einen besseren Zeitpunkt wählen können. Harnik, Mutter Deutsche, Vater Österreicher, hatte sich früh für die Auswahl des ÖFB festgelegt.
Im Sommer 2008 war er Teil jener Mannschaft, die die rot-weiß-roten Hoffnungen transportieren sollte bei der Europameisterschaft im eigenen Land. Für das entscheidende Vorrundespiel gegen den Nachbarn Deutschland legte sich Harnik eine nassforsche Ansicht zurecht.
"Die Deutschen scheißen sich doch schon in die Hosen", lautete sein Beitrag zur ohnehin schon brodelnden Endspielstimmung. Ein etwas ungeordneter Vorstoß von einem, der wenige Tage zuvor 21 Jahre jung geworden war.
Stillstand in Bremen
Heute würde sich Martin Harnik eher nicht mehr so unbedacht äußern, auch wenn er seiner Linie treu geblieben ist, zwischen sachlich fundierten Analysen auch immer mal wieder einen flapsigen Spruch zu setzen. Aber Martin Harnik ist reifer geworden. Und vor allen Dingen: Er könnte sich einen Spruch wie diesen heute eher erlauben. Weil Martin Harnik derzeit besonders herausragend Fußball spielt.
Dass das nicht immer so war, zeigt sein Werdegang. In Bremen schlug er sofort ein, das erste Tor im ersten Spiel in Nürnberg sollte nicht sein letztes Glanzstück bei einer Premiere bleiben. Es machte ihn aber schnell zu selbstsicher, wie sein Trainer Thomas Schaaf befand.
Dem Premierentreffer zum Beginn der Saison folgte kein weiterer mehr und überhaupt nur ein einziges Spiel über die kompletten 90 Minuten. Harnik pendelte zwischen Bundesliga und Regionalliga.
Schaaf sah Harniks Qualitäten, aber er nutzte sie kaum oder nicht Gewinn bringend. Als im Jahr darauf mal wieder Notstand auf einer der defensiven Außenbahnen herrschte, wollte der Trainer den gelernten Stürmer zum Rechtsverteidiger umfunktionieren. Das Experiment ging erwartungsgemäß nicht auf, die vereinzelten Versetzungen in die U 23 wurden zur Regel, Einsätze bei den Profis zur Ausnahme.
Exot unter Österreichern
Die Lösung war ein ungewöhnlicher Wechsel, ungewöhnliche Dinge gehören aber irgendwie zu Martin Harnik. Als geborener Hamburger spielte er für Werder Bremen. Der HSV habe "keinen Plan für mich" gehabt, außerdem ließ ihm Werder Zeit für seine angestrebte Ausbildung zum Versicherungskaufmann. Harnik liebt Hamburg und spricht perfekten Norddeutsch-Schnack, hat sich aber früh für das Heimatland seines Vaters entscheiden.
"Die Entscheidung für die österreichische Nationalmannschaft war eine sportliche, aber auch eine emotionale. Ich bereue sie nicht", sagt er, auch "wenn ich immer der Exot sein werde, wenn ich bei der Nationalmannschaft bin. Aber damit kann ich leben." Zumal es auch da auf Anhieb klappte, im Sommer 2007 gegen Tschechien: Erstes Spiel, zweiter Ballkontakt, erstes Tor, das 1:1.
Nur eine Sache wurmt ihn ein wenig: Dummerweise hat sein Vater versäumt, ihm etwas von dessen Steiermark-Sprech mit auf den Weg zu geben. "Ich bin heute noch böse auf meinen Vater, dass er mir seinen Dialekt vorenthalten hat", sagt Harnik.
"Er hat sich immer große Mühe gegeben, akzentfreies Hochdeutsch zu sprechen. Aber meine Nationalmannschaftskollegen finden es immer lustig, wenn ich astreines Norddeutsch spreche." Schlimm ist das aber nicht, sondern eher im Scherz dahergesagt. Einer wie er geht schließlich fast als Kosmopolit im Kleinen durch. "Ich fühle mich als Österreicher, als Deutscher, als Hamburger und als Stuttgarter."
Umweg zweite Liga
Bevor er sich aber als Stuttgarter fühlen konnte, wurde er zum Rheinländer. Den Weg in die zweite Liga zum Aufsteiger Fortuna Düsseldorf haben ihm die meisten als Rückschritt ausgelegt. Aber genau das Gegenteil war der Fall. In Düsseldorf fand er zurück in die Spur, lebte wieder auf. Er spielte und er traf, 13 Mal in 30 Spielen.
Beim VfB Stuttgart wurde Horst Heldt hellhörig und sicherte sich schon früh die Dienste Harniks ab Sommer 2010. Für vergleichsweise lächerliche 300.000 Euro stieß Harnik zum VfB und schlug sofort ein. Auch hier machte er im ersten Pflichtspiel sein erstes Tor, den Siegtreffer zum 3:2 in der EL-Qualifikationsrunde bei Molde FK.
Beeindruckende Bilanz beim VfB
Trotz der beinahe katastrophalen Saison kam Harnik beim VfB auf 17 Pflichtspieltore und 28 Scorerpunkte. Bis heute haben sich die Zahlen auf 30 Tore und insgesamt 49 Scorerpunkte erhöht. In Horst Heldts der kärglicher Transferbilanz beim VfB ist Harnik der herausragende Einkauf.
In der Rückrunde der laufenden Saison hat er mehr Tore erzielt als alle anderen Bundesligaspieler, seitdem wird heftig spekuliert, ob seine Leistungsexplosion etwas mit der Verlängerung seines Vertrags bis 2016, der einhergehenden Gehaltserhöhung und der neuen Wertschätzung innerhalb des Klubs zu tun habe.
Sportdirektor Fredi Bobic sieht Harnik neben Torhüter Sven Ulreich, Kapitän Serdar Tasci und Stratege William Kvist mittelfristig als eines der Gesichter des neuen VfB.
Womöglich sind es aber doch eher sportliche Gründe, etwa die Verpflichtung Vedad Ibisevic'. Um den Bosnier herum kommen Harniks Stärken seit dessen Verpflichtung noch mehr zum Tragen, hier spielt er seine Schnelligkeit aus, geht vermehrt in die Tiefe. Das Zusammenspiel der beiden funktioniert trotz kurzer Eingewöhnungszeit schon recht gut.
Labbadia ein entscheidender Faktor
Dazu habe er in den letzten zwölf Monaten auch wegen Trainer Bruno Labbadia einen gehörigen Sprung nach vorne gemacht.
"Unter ihm habe ich gelernt, zielgerichtet an meinen Schwächen zu arbeiten. Er gibt viele Hinweise, ist in seiner Fehleranalyse direkt und konkret. Er spricht die Dinge knallhart an, ist kein Schönredner."
Derzeit läuft es für den 24-Jährigen nahezu perfekt. Unter der Woche beendete er das Länderspiel Österreichs gegen Finnland mit der Kapitänsbinde am Arm, davor hatte er einen Treffer und einen Assist zum 3:1 beigesteuert.
Dass irgendwann auch wieder dunklere Tage kommen werden, ist ihm bewusst. Es kommt der nachdenkliche Martin Harnik zum Vorschein, wenn er sagt: "Es gibt Tage, an denen es besser läuft und eben auch einmal etwas schlechter. Unabhängig von Champions League oder Kreisliga A: Fußballer sind wie alle Menschen, und keine Maschinen."
Der Kader des VfB Stuttgart