Es war dasselbe Spiel wie 2009 bei Lucas Barrios. Einfach mal raus aus der Schusslinie, weg vom ständigen Druck des Müssens. In Ruhe und abseits des allgegenwärtigen Rummels konzentriert arbeiten, um wieder in die Spur zu finden und erstarkt zurück zu kommen. Was Barrios vor zweieinhalb Jahren durchmachen musste, bevor er dann zum besten BVB-Torjäger der letzten 18 Jahre aufstieg, hat nun auch Ilkay Gündogan hinter sich.
Nach neun Startelfeinsätzen in zehn Partien nahm Jürgen Klopp den Mittelfeldspieler vom 11. bis 14. Spieltag plötzlich ganz aus der Mannschaft. Das lag zum einen an Gündogans teils fürchterlichen Auftritten, war zum anderen aber vor allem Klopps Suche nach Balance im Spielaufbau geschuldet.
Gündogan: Pause für das Langzeitprojekt
"Bei ihm war die Luft etwas raus", begründete der Trainer.Der Aufstieg in Nürnberg, die Anstrengungen des Abiturs, die zahlreichen Offerten - der immer wieder als Nachfolger von Nuri Sahin gebranntmarkte 21-Jährige versemmelte schlichtweg seinen Start beim BVB. Gündogans Spiel als offensiver Sechser war zögerlich, er hielt den Ball zu lange am Fuß und verlangsamte den Dortmunder Überfallfußball vehement.
In dieser Phase im Oktober und November vergangenen Jahres wurde Gündogan in der vereinsinternen Rangfolge der defensiven Mittelfeldspieler nach unten durchgereicht. Neben dem unverwüstlichen Sven Bender stabilisierte Sebastian Kehl Körper und Leistung, Moritz Leitner - wie Gündogan ein Neuzugang - punktete mit Agilität und Forschheit. Da mit Mats Hummels nun ein Innenverteidiger den Grundimpuls des Spielaufbaus initiierte, brauchte Dortmund Stabilität im zentralen Mittelfeld und fand sie im Pärchen Bender/Kehl.
Im Verborgenen arbeitete "Langzeitprojekt Gündogan" (Klopp) wie seinerzeit Barrios daran, sich an die in Dortmund übliche Intensität und taktischen Abläufe zu gewöhnen.
Gündogans Renaissance in der Startelf
Dass sich diese Maßnahme erneut als richtig erwies, demonstriert Gündogan in den letzten Wochen. Benders Blessuren und Kehls Gelbsperre spülte den einmaligen Nationalspieler zurück ins Rampenlicht, fünf der letzten sieben Ligaspiele durfte er von Beginn an absolvieren.
Seitdem lässt der gebürtige Gelsenkirchener den Gündogan des ersten Halbjahres wie ein fades Abziehbild erscheinen. Es ist augenscheinlich, wie sehr Gündogan die ihm aufgetragenen Aufgaben nun verinnerlicht hat. Neues Selbstbewusstsein vermischt mit einer herausragenden Technik und exzellenten Spielübersicht sind die Zutaten, die Gündogans Renaissance begründen. Er trägt das Spiel mittlerweile präzise und vor allem schnell in die gegnerische Hälfte, besetzt als Anspielstation die Räume sinnvoller und gestaltet sein Defensivverhalten klarer.
Als im Nachklapp des 4:4-Fußballfestes gegen Stuttgart nach den Gründen für die auf Borussen-Seite urplötzlich in die Höhe geschnellte Fehlerquote gesucht wurde, landeten einige bei der Auswechslung Gündogans beim Stande von 2:0 für den BVB.
Bender und Gündogan: Das Modell der Zukunft
"Ich trainiere gut, habe immer mehr reingefunden in die Mannschaft, nachdem die Hinrunde für mich nicht die leichteste war. Aber ich glaube, das gehört zum Lernprozess dazu, auch mal Tiefen durchzumachen. Jetzt ernte ich die Früchte, dass ich nie an mir gezweifelt oder aufgegeben habe und immer dran geblieben bin", sagt Gündogan, der ehrlich anfügt, zu Beginn "ein bisschen zu viel Respekt" vor der Truppe gehabt zu haben, die gerade erst durch die Bundesliga schwebte und Dortmund mit dem Meistertitel beglückte.
Für Klopp ergibt sich damit im Schlussspurt der Bundesliga eine neue Konstellation mit nun drei gleichstarken Sechsern. Bender und Gündogan gelten als das Modell der Zukunft, mit Kehl kommt eine erfahrene Komponente hinzu.
Es würde überraschen, sollte Klopp im weiteren Saisonendspurt nicht Gündogans Formhoch weiter Rechnung tragen und ihn stattdessen wieder auf die Bank beordern. Was die offensivtaktischen Abläufe angeht, hat sich Gündogan nun einen deutlichen Vorsprung gegenüber Kehl erspielt.
Leitner derzeit nur mit Kurzeinsätzen
Wie enorm der Konkurrenzkampf im Mittelfeld die Konstellationen verschieben kann, erfuhr auch Leitner in den letzten Wochen. Ein Magen-Darm-Virus warf den 19-Jährigen, der zeitweise kurz vor dem Sprung in die Startelf stand und Gündogan überholte, zuletzt zurück. Seitdem kommt der U-21-Nationalspieler nicht über Kurzeinsätze hinaus, obwohl ihn Klopp für seine starken Trainingseinheiten öffentlich lobte. Antonio da Silva schafft es dagegen kaum einmal mehr in den 18er-Kader.
Während da Silva den Verein im Sommer verlassen wird, haben mit Leonardo Bittencourt und Marco Reus bereits zwei weitere Mittelfeldspieler bei den Westfalen unterschrieben. Das wird die Auswahl für Klopp in diesem Mannschaftsteil noch einmal erheblich steigern.Diese enorm flexible Breite des Kaders ist die erfolgreiche Umsetzung eines weiteren Langzeitprojekts, auf das die Verantwortlichen schon vor einiger Zeit setzten, es immer weiter vorantrieben und vor allem im Mittelfeld bald ausgereizt zu haben scheinen.
Defensives Mittelfeld: 2 aus 9
Bittencourt ist beispielsweise in der Lage, alle vier Mittelfeldpositionen zu besetzen. Es ist davon auszugehen, dass dem Noch-Cottbuser eine ähnliche Rolle zukommen wird, wie sie derzeit Leitner inne hat. Diese beiden zusammen mit Bender, Gündogan, Kehl und den "Notlösungen" Hummels, Mario Götze, Kevin Großkreutz und Ivan Perisic ergeben alleine im defensiven Mittelfeld neun Varianten für zwei Positionen.
Was die Zukunft bringt, kann Gündogan im Hier und Jetzt erstmal egal sein. Rettet er seinen aktuellen Lauf in die neue Spielzeit, dürfte ihm einer dieser zwei Plätze sicher sein. Davon ging Klopp sowieso immer aus: "Wir haben ihn ja auch für mehrere Jahre verpflichtet."
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