Ein kurzer Augenblick genügte, um Schalke ins Träumen zu bringen. Nachdem Ibrahim Afellay den ersten Augsburger Verteidiger mit einer geschickten Richtungsänderung umkurvt hatte, wurde der zweite Gegenspieler zum Opfer höherer Mächte.
In einer außergewöhnlichen Kombination aus Gedankenschnelligkeit und Technik legte sich Afellay in einer fließenden Bewegung den Ball vom rechten auf den linken Fuß und dribbelte im vollen Sprint an Paul Verhaegh vorbei. Eine Aktion, deren enormer Schwierigkeitsgrad sich erst in der Zeitlupe offenbarte.
Der folgende Distanzschuss aus 20 Metern missriet zwar, trotzdem ist sich Sportvorstand Horst Heldt gewiss: "Eingewöhnungszeit muss man jedem geben. Der Vorteil bei Ibrahim ist, dass er ein herausragender Fußballer ist und sich dann sicher schnell einbringen kann."
Afellay günstiger als Jurado
Im Sommer der Millionentransfers könnte sich Afellay als die perfekte Verpflichtung erweisen. Sein Werdegang mit vier niederländischen Meistertiteln mit Eindhoven und dem Wechsel zum FC Barcelona ist Beleg des Könnens.
Umso erstaunlicher, was Heldt vollbrachte: Jeweils ohne Gebühr verlieh er den abkömmlichen Jurado an Spartak Moskau und borgte Afellay aus. Und weil Barca einen Teil des Gehalts weiterträgt, spart Schalke sogar mehrere 100.000 Euro, wie der "Kicker" berichtet. "Ibrahim ist ein Weltklasse-Spieler, auch Tottenham war dran. Er wollte nur nach Schalke, hat dafür auf einiges verzichtet", sagt Heldt.
Selbst ein Verbleib über die Saison hinaus ist im Erfolgsfall denkbar: "Ich habe zwar nur für ein Jahr unterschrieben. Aber es wird sich zeigen, wie sich die Sache hier entwickelt", sagt Afellay selbst. Aufsichtsratsboss Clemens Tönnies ist zuversichtlich: "Jetzt schauen wir mal, wie er einschlägt, dann finden wir sicherlich eine Lösung."
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Große Dichte im Mittelfeld
Dass Afellay einschlägt, ist zu erwarten. Nachdem er sich im Januar 2011 Barcelona anschloss, gehörte er nie zur Stammelf, dennoch wurde er in der Rückrunde der Primera Division in 16 von 21 Partien eingesetzt, davon in sieben Begegnungen von Beginn an.
Allerdings bedeutete der Kreuzbandriss im September 2011 und die anschließende fünfmonatige Reha einen Einschnitt in seiner Karriere - wobei es Schalke ohne die Verletzung nicht möglich gewesen wäre, einen Spieler derart günstig zu verpflichten, der vom Profil her ideal in die Mannschaft passt.
Gegen Augsburg wurde er in der 83. Minute für Lewis Holtby eingewechselt und übernahm dessen Position des Zehners, er kommt im 4-2-3-1 jedoch auch als rechter oder linker Flügel in Betracht. Letztere ist die wahrscheinlichste Variante, bei der sich der seit der Vorbereitung wesentlich verbesserte Julian Draxler dem niederländischen Nationalspieler erwehren muss.
Auf rechts ist Jefferson Farfan ohnehin unumstritten und belegte seine Bedeutung mit drei Assists beim 3:1 gegen Augsburg. Als ähnlich unverzichtbar erweist sich Holtby, der in der Doppel-Sechs ähnlich überzeugend seine Stärken einbringt, dort aber anders als in der letzten Saison nicht benötigt wird. Denn: Sein vormaliger Partner Jermaine Jones bekam mit Roman Neustädter einen Neuzugang zur Seite, der mit seiner Übersicht und klugen Zweikampfführung nicht nur Heldt an Sergio Busquets erinnert. Teilbefreit von der defensiven Verantwortung spielt Jones aktuell so offensivstark (zwei Scorer-Punkte nach zwei Bundesliga-Partien) wie selten.
Bewusstsein eines Titelkandidaten
Mit Afellay, Farfan, Holtby, Draxler, Jones und Neustädter gibt es demnach sechs Spieler höchster Güte für das Fünfer-Mittelfeld. In der alternativ trainierten 4-4-2-Grundordnung mit Raute wären es sogar nur vier Planstellen, sollte Farfan nicht in den Sturm rücken. Zumal Reservisten mit Ambitionen drängen: Tranquillo Barnetta und Chinedu Obasi für die Offensivpositionen, die zuverlässigen Marco Höger und Christoph Moritz für die Defensivpositionen.
"Ich erwarte von den Spielern das Bewusstsein, bei einem großen Verein zu sein", sagt Heldt, nachdem sich der Verein unter dem Sportvorstand lange der Zurückhaltung verschrieb. Dieses neue Selbstverständnis wird durch Afellay, dem Ankömmling vom besten Klub der Welt, für jeden ersichtlich. Die Botschaft richtet sich an die Mannschaft, die spätestens jetzt weiß, welche hohen Ziele Schalke verfolgt. Und auch an die Öffentlichkeit und an die Rivalen aus Dortmund sowie München.
Im Englischen gibt es dafür einen eigenen Begriff: "Marquee Signing". Afellay als eine Verpflichtung mit hervorgehobener Bedeutung.
Mehr Schärfe im Miteinander
Es ist offensichtlich, zu welchem Ergebnis die sportliche Führung bei der Revision des vergangenen Jahres kam. Schalke wurde in Harmonie Dritter und erreichte das Europa-League-Viertelfinale. Um aber die nächste Stufe zu erreichen und den Rückstand auf Dortmund und die Bayern zu verkleinern, benötigt es einer gewissen Schärfe im Miteinander. Und die versucht Heldt durch eine größere Wettkampfdichte in der Mannschaft zu erreichen.
Afellay ist ein Beleg dessen. Ebenso die ungewöhnliche Entscheidung, alle drei Torhüter mit Stammplatzanspruch zu behalten. "Konkurrenzkampf ist bei uns im kompletten Kader in dieser Saison das ganz große Thema. Andes als letztes Jahr", sagt Timo Hildebrand, der sich nach seiner Verletzung in der Rangordnung hinter Lars Unnerstall wiederfindet.
Nur: Bei aller Kadertiefe im Mittelfeld und im Tor - im Angriff und in der Abwehr könnte es an den hochwertigen Backups mangeln. Sollte Klaas-Jan Huntelaar ausfallen, stehen mit Ciprian Marica und Teemu Pukki nur zwei Stürmer zur Auswahl, deren Befähigung noch nicht nachgewiesen ist.
Höwedes als Reservist
Ähnlich die Konstellation in der Abwehr: Zwar gibt es fünf Kandidaten (Papadopoulos, Fuchs, Matip, Uchida, Höwedes) für die Vierer-Kette, doch dahinter überwiegen die Fragezeichen, weil die Reservisten unerfahren (Kolasinac), unbeständig (Escudero) oder verletzt (Metzelder) sind.
Dass trotz der fehlenden Breite in der Abwehr der derzeit größte Wettstreit ausgetragen wird, dürfte Heldt mit Wohlwollen verfolgen. Entsprechend sind seine Worte zu verstehen, die er an Benedikt Höwedes richtet. Ausgerechnet der Kapitän ist Reservist und verbrachte die 90 Minuten gegen Augsburg auf der Bank.
Der Missmut fiel auch Heldt auf. "Ich erwarte von jedem, dass er akzeptiert, dass es ein harter Kampf um die Plätze ist. Ich habe mal Jens Lehmann zu so einer Problematik gefragt, als er noch bei Arsenal London gewesen ist: 'Wie macht ihr das da mit 20 guten Spielern?' Da sagte er: 'Wenn einer was sagt, wird er rausgeschmissen'", sagt Heldt.
Sein Ratschlag an Höwedes und die Mannschaft: "Es ist eine andere Denke bei Topvereinen. Das muss in die Köpfe der Spieler."
Ibrahim Afellay im Steckbrief