Ginter: "Ich habe mitgelitten"

Von Interview: Haruka Gruber
Matthias Ginter ist seit der vergangenen Rückrunde Stammspieler des SC Freiburg
© Imago

Das größte Abwehrtalent Deutschlands? Mit gerade 18 Jahren ist Matthias Ginter eine Institution beim SC Freiburg. Im Interview mit SPOX spricht Ginter über Christian Streich, Juventus und die Rückschläge seines Bruders Niklas.

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SPOX: Anfang September nahmen Sie zum zweiten Mal an den Füchsletagen des SC Freiburg teil, an denen 330 Kinder aus der Region gesichtet wurden. Vor acht Jahren waren Sie noch eines der Kinder gewesen, jetzt versuchten Sie sich als Mentor. Ein seltsames Gefühl für einen 18-Jährigen?

Matthias Ginter: Eigentlich nicht. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich selbst 2004 als Zehnjähriger vorspielen durfte und wie aufgeregt ich dabei war. Daher versuchte ich, die Jungs zu beruhigen und ihnen zu sagen, dass es mir nicht anders ging.

SPOX: Wie sahen Ihre ersten Schritte nach den Füchsletagen 2004 aus?

Ginter: Ich wurde offiziell zu einem Probetraining eingeladen und kehrte daraufhin zu meinem Heimatverein SV March zurück. Ein Jahr später, 2005, konnte ich zum SC wechseln und absolvierte seitdem die Freiburger Fußballschule.

SPOX: Und wann lernten Sie Ihren jetzigen Bundesliga-Trainer Christian Streich kennen, der vor seiner Beförderung jahrelang im Nachwuchs des SC tätig war?

Ginter: Ich muss 14 oder 15 gewesen sein. Ich selbst war noch in der C-Jugend und mein Bruder Niklas spielte unter Christian Streich in der A-Jugend. So kamen wir erstmals ins Gespräch.

SPOX: Streich wird vom Fußball-Feuilleton bejubelt, weil er so herrlich anders sei. Dachten Sie zu Beginn ebenfalls, dass er ein Kauz ist?

Ginter: Mein Bruder hatte mir vorher einige witzige Geschichten über ihn erzählt. Er ist eben sehr emotional und sehr ehrlich und geradlinig. Aber das ist im Grunde nebensächlich. Christian Streich ist vor allem ein absoluter Fachmann, der exakt weiß, welchen Fußball er spielen lassen will und wie er die klaren Vorstellungen den Spielern vermittelt, egal wie alt sie sind. Ich kann mir keinen besseren Trainer für mich vorstellen.

SPOX: Um Streich als Kult zu würdigen, gibt es auf der Website der "Badischen Zeitung" sogar eine eigene Videorubrik namens "Streich der Woche". Was halten Sie davon?

Ginter: Ich schaue mir die Videos natürlich an, weil sie häufig sehr witzig sind. Manchmal finde ich es dennoch erstaunlich, wie die Journalisten auf ihn abfahren. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass wir Spieler aus der SC-Fußballschule ihn länger kennen und es für uns normal ist, wie er redet und wie ehrlich er Dinge anspricht.

SPOX: In einem der Pressekonferenz-Videos referiert Streich über die Problematik der mangelnden Fokussierung. Weil überall Monitore zu sehen seien, könne man sich nicht mehr konzentrieren. Streich sagt: "Im Flugzeug laufen 15 Bildschirme und ich werde genötigt, Fernsehen zu schauen. Unfassbar!" Fühlen Sie sich angesichts der heutigen Technik-Schwemme überfordert?

Ginter: Christian Streich hält nichts von den neumodischen Geräten, das hat er uns häufig gesagt. Und ich finde, dass er Recht hat. Vor allem, wenn es zu extrem wird und sich Spieler nur noch mit dem iPhone oder dem iPad beschäftigen. Dann besteht die Gefahr, sich nicht auf das Wesentliche zu konzentrieren. Deswegen versuche ich bewusst, vor einem Pflichtspiel meinen Medienkonsum zu reduzieren. Ich lese keine Zeitungen mehr und gehe seltener ins Internet.

SPOX: Kann sich ein Nachwuchsprofi wirklich so zügeln?

Ginter: In Freiburg gelingt das ganz gut, weil das Umfeld sehr ruhig ist. Ich will mir nicht vorstellen, wie es in Köln zugeht, wo man von so vielen Journalisten belagert wird.

SPOX: Wie gingen Sie mit der Aufregung um Ihre Person um, nachdem Sie beim Bundesliga-Debüt gegen Augsburg nach der Einwechslung das Siegtor erzielt hatten? Es war im Nachhinein betrachtet der womöglich wichtigste Treffer zum Klassenerhalt.

Ginter: Am Anfang war es gewöhnungsbedürftig. In allen Zeitungen stand: "Ginter rettet den SC!" Alleine den Namen zu sehen, fand ich seltsam. Deswegen habe ich bewusst darauf verzichtet, alle Artikel über mich zu lesen. Ich überließ es meinem Vater, am Sonntag zum Kiosk zu fahren und alle Zeitungen zu kaufen. (lacht)

SPOX: Sie gingen ohne Zwischenschritt direkt von der A-Jugend in die Bundesliga und behaupteten sich sofort unter den Profis - und dass als 18-Jähriger auf der sensiblen Position des Innenverteidigers. Ging dem Durchbruch eine leistungsmäßige Explosion voraus? Anders sind Ihre Leistungen kaum zu erklären.

Ginter: Schwer zu sagen. Ich fühle mich nicht so, als ob ich plötzlich viel schneller oder athletischer geworden wäre. Was mir extrem geholfen hat, war das Training bei der Bundesliga-Mannschaft. Plötzlich ging es nicht mehr gegen Jungs, sondern gegen echte Männer. Ich habe zwei Monate zur Umstellung gebraucht, seitdem ist es okay.

SPOX: In der Bundesliga werden Sie als Innenverteidiger aufgestellt. In der A-Jugendsaison 2010/11 erzielten Sie hingegen 14 Tore in 25 Spielen. Wie passt das zusammen?

Ginter: Ehrlich gesagt wurde ich nie als Innenverteidiger ausgebildet. In der Jugend war ich häufig der Zehner oder der offensive Sechser. Deswegen die Tore. Bei den Profis hatte man mich eigentlich als Sechser eingeplant. Als sich vier Innenverteidiger gleichzeitig verletzten, wurde ich nach hinten gezogen.

SPOX: Und?

Ginter: Es gefällt mir super! Es hört sich für viele vielleicht komisch an, weil die meisten so offensiv wie möglich spielen möchten, mir hingegen gefällt es in der Innenverteidigung am allerbesten. Das merke ich jetzt. Auf dieser Position sehe ich meine Zukunft.

SPOX: Sie sind so gut, dass Sie als bester U-18-Spieler Deutschlands mit der Fritz-Walter-Medaille in Gold ausgezeichnet wurden. Und Sie sind so gut, dass Juventus Turin an Ihnen interessiert sein soll.

Ginter: Solche Gerüchte bekommt man nur mit, weil Freunde einem die Berichte zumailen und sich einen Spaß daraus machen. Für mich kommt ein Wechsel ohnehin nicht in Frage. Nicht einmal ansatzweise. Ich will so viel wie möglich spielen, und das kann ich in Freiburg besser als überall sonst.

SPOX: Wie sehr ist diese Einstellung beeinflusst vom Karriereweg ihres viereinhalb Jahre älteren Bruders Niklas?

Ginter: Auf jeden Fall weiß ich, wie riskant ein Wechsel sein kann. Mein Bruder war ein Spätstarter, ging erst mit 17 zum SC und musste kämpfen, in die A-Jugend übernommen zu werden. Das gelang ihm gerade noch so - und dann lief es plötzlich. Er lernte sehr viel unter Christian Streich, wurde Stammspieler und machte Tore. Unter anderem sogar beim Sieg im Finale des DFB-Juniorenpokals 2009 gegen Dortmund. Ich war damals auf der Tribüne und jubelte mit.

SPOX: Und dann?

Ginter: Niklas wechselte von Freiburg nach Mannheim, damals in der Regionalliga. Er wollte sich dort im Männerbereich etablieren, stattdessen verlor Mannheim wegen finanziellen Schwierigkeiten die Lizenz. Deswegen unterschrieb mein Bruder wieder bei uns zuhause in Bahlingen, wo er aber an der weichen Leiste operiert werden musste und lange ausfiel. Später riss er sich das Kreuzband. Seitdem weiß er, dass es nichts wird mit dem ganz hohen Fußball, spielt in der Verbandsliga bei Endingen und studiert Sportmanagement.

SPOX: Wie gingen Sie mit den Rückschlägen Ihres Bruders um?

Ginter: Ich habe mitgelitten. Vielleicht hätte die Karriere meines Bruders ganz anders ausgesehen, wenn er damals zu einem anderen Regionalligisten gewechselt wäre. Mir ist bewusst, wie schnelllebig der Fußball ist.

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