SPOX: Herr Ulreich, vor einigen Wochen war die fast schon typische Stuttgarter Herbst-Depression voll im Gange, jetzt hat der VfB 10 Punkte aus 4 Spielen gesammelt. Was hat sich verändert?
Sven Ulreich: Wir haben uns wieder auf unsere Stärken besonnen. Vielleicht mussten wir ein, zwei Schritte zurückgehen, um jetzt wieder geschlossen als Mannschaft aufzutreten. Wir haben viel miteinander gesprochen und spielen jetzt auch wieder aus einer besseren Ordnung heraus. Die mannschaftliche Geschlossenheit ist der Hauptschlüssel, warum wir wieder erfolgreicher sind. Wir sind auf einem ganz guten Weg, aber es gibt natürlich weiterhin noch einiges zu verbessern. Wir müssen weiter hart an uns arbeiten, damit wir auf unserem Niveau bleiben beziehungsweise uns noch weiter steigern.
SPOX: Das Umfeld wurde zwischenzeitlich schon wieder sehr unruhig.
Ulreich: Es war so, wie man es aus Stuttgart kennt, wenn der Start nicht so gut verläuft. Dann wird es eben schnell unruhig. Was aber auch ein Stück weit normal ist, weil der VfB eben ein großer Traditionsverein ist. Wir selbst haben uns das auch anders vorgestellt. Die unglückliche Niederlage gegen Wolfsburg war zum Start gleich ein Rückschlag, und eine Woche später hat uns das 1:6 bei den Bayern einen Genickschlag verpasst. Wenn du eine halbe Stunde gut spielst und dann so untergehst, ist es nicht gerade positiv für das Selbstvertrauen. Wir sind in eine Abwärtsspirale geraten und haben uns wirklich schwer getan, dort wieder herauszukommen.
SPOX: Der Ausbruch von Bruno Labbadia auf der Pressekonferenz nach dem Spiel gegen Leverkusen war zuletzt ein großes Thema in der Bundesliga. Welche Wirkung hatte es auf die Mannschaft?
Ulreich: Wir haben es mitbekommen und auch darüber gesprochen. Wir wussten, dass wir uns nur zusammen als Team wieder aus dieser Situation befreien können. Da gehören alle dazu, Trainer-Team, Mannschaft, Betreuer. Es ging nur über harte Arbeit und ein konzentriertes Auftreten. Das haben wir umgesetzt und deshalb war die sogenannte Wutrede dann ziemlich schnell für uns abgehakt.
SPOX: Unabhängig von der aktuellen sportlichen Situation müssen Sie Ihren Traum leben, oder? Sie wurden einst bei einem Sichtungstag beim VfB entdeckt und stehen jetzt bei Ihrem Verein als Nummer eins zwischen den Pfosten...
Ulreich: Einmal beim VfB im Tor zu stehen, war immer mein Kindheitstraum. Ich wollte in diesem Stadion vor 60.000 Zuschauern auflaufen. Ich freue mich auf jedes Bundesliga-Spiel, aber vor allem auf jedes Heimspiel. Der VfB ist mein Verein, mit ihm will ich Erfolg haben. Wenn wir dann schlechte Phasen durchmachen wie zuletzt, schlafe ich auch mal schlechter. Weil mir der Verein so am Herzen liegt, weil ich weiß, wie das Umfeld tickt und ich noch emotionaler darauf reagiere. Vielleicht manchmal auch emotionaler, als es notwendig wäre.
SPOX: 2003 waren Sie an einem der legendärsten Abende der VfB-Geschichte als Balljunge dabei...
Ulreich: Champions League, 2:1 gegen Manchester United, Doppelschlag Imre Szabics/Kevin Kuranyi - und ich stand bei beiden Treffern als Balljunge hinter dem Tor. Riesig. Es war ein unglaublicher Abend für den Verein und natürlich ein wahnsinniges Erlebnis für mich persönlich. Wenn du da als Junge so stehst an einem solchen Abend, denkst du dir, dass du so einen Abend auch mal im VfB-Trikot erleben willst. Darauf arbeite ich hin.
SPOX: Bei den Fans genießen Sie einen sehr hohen Stellenwert. Sie verkörpern den VfB im Moment wohl wie kein Zweiter. Gefällt Ihnen diese Rolle?
Ulreich: Natürlich tut das gut. Ich bin ein Junge von hier. Ich war früher wie beschrieben selbst im Stadion und habe den VfB angefeuert. Es freut mich, dass ich meinem Verein etwas zurückgeben kann. Und es freut mich natürlich, dass unsere tollen Fans mich einigermaßen mögen und meine Leistungen respektieren.
SPOX: Der Weg zur unumstrittenen Nummer eins beim VfB war ja kein ganz leichter. Ihr Bundesliga-Debüt feierten Sie 2008, Sie wurden aber dann wieder von Armin Veh rausgenommen. Auch Christian Gross verbannte Sie vor zwei Jahren mal kurzzeitig auf die Bank. Was war das Härteste in den letzten Jahren für Sie persönlich?
Ulreich: Beide Situationen, als ich rausgenommen wurde, waren nicht einfach. Wenn du als 19-Jähriger ins kalte Wasser geschmissen wirst und zum ersten Mal Bundesliga spielst, ist das zwar erst mal toll. Aber dann fehlte leider das Vertrauen des damaligen Trainers. Wenn in diesem Moment ein bisschen mehr Vertrauen vorhanden gewesen wäre, hätte ich auch durchspielen können, davon bin ich überzeugt. Bei der zweiten Situation war die Lage insofern etwas anders, weil ich da eigentlich ganz ordentlich hielt, aber wir als Mannschaft nicht überzeugten.
SPOX: Die erste Situation muss mental besonders schwierig für Sie gewesen sein. Veh hat Sie damals hart kritisiert.
Ulreich: Ich war 19 und wurde vom Trainer zum Sündenbock gemacht. Wie gesagt: Hätte ich da mehr Vertrauen bekommen, hätte es schon früher geradliniger laufen können. Das zeigen ja genügend Beispiele aus der Bundesliga. Fehler passieren nun mal, ich habe in Leverkusen und im Pokal gegen Jena gepatzt und daraus gelernt.
SPOX: Was folgte, war eine Phase als Backup für Jens Lehmann. Wie lehrreich war diese Zeit?
Ulreich: Sehr. Jens Lehmann ist ein Weltklasse-Torwart gewesen, der schon viel erlebt hatte, bevor er nach Stuttgart kam. Ich konnte mir einiges von ihm abschauen, ob es auf dem Platz war, beim Training, oder auch außerhalb in der Art und Weise, wie er sich gegeben hat. Ich habe trotzdem versucht, meinen eigenen Weg zu gehen und ihn nicht zu kopieren, aber einige Sachen waren schon beeindruckend. Wie er bei Flanken agiert oder wie er mitgespielt hat. Auch wie er im Training immer viel Wert auf Disziplin gelegt und viel gearbeitet hat, obwohl er es ja nicht mehr wirklich nötig gehabt hätte. Auf ihn konnte man sich immer zu hundert Prozent verlassen. Er hat mir auch öfter mal Tipps gegeben.
SPOX: Warum eigentlich Torwart und nicht Feldspieler?
Ulreich: Auch wegen des Adrenalinkicks. Du kannst 90 Minuten alles halten, aber wenn du dann in der 91. Minute in der Nachspielzeit einen Bock baust, bist du der Depp der Nation. Oder zumindest der Depp des VfB. (lacht) Es kann immer so oder so ausgehen. Das fasziniert mich und das macht für mich den Reiz des Torwart-Jobs aus. Es gibt nichts Schöneres, als wenn du deiner Mannschaft mit Paraden zum Sieg verhelfen kannst. Es ist nicht immer einfach, weil dein Einfluss begrenzt ist und du ja nicht sagen kannst, ‚jetzt renne ich nach vorne', obwohl man es manchmal gerne möchte. Oder wenn du das ganze Spiel nichts zu tun bekommst und dann plötzlich da sein musst, auch das ist schwierig, aber auch das ist das Schöne am Torwart-Dasein.
SPOX: Rene Adler ist gut mit Golf-Star Martin Kaymer befreundet und tauscht sich mit ihm viel aus. Gibt es bei Ihnen eine Sportart, von der Sie viel lernen?
Ulreich: Ich bin seit einigen Jahren regelmäßig beim Turnen, mindestens einmal in der Woche. Ich find's einfach klasse, welche Körperspannung und Athletik diese Jungs haben. Das bringt mir eine Menge, wenn ich dort mittrainiere.
SPOX: Sie haben sich mit Ihren Leistungen auch inzwischen so etabliert, dass Sie im Dunstkreis der Nationalmannschaft angekommen sind. Die Konkurrenz ist traditionell groß, wie groß ist der Glaube, dass eines Tages der Anruf kommen wird?
Ulreich: Es war immer mein Traum, in der Nationalmannschaft zu spielen und es bleibt mein Ziel. Ich versuche, gute Leistungen zu bringen und ich weiß, dass ich jetzt zwei Jahre lang sehr konstant auf einem hohen Niveau gespielt habe. Deswegen wäre ich selbstverständlich glücklich, wenn ich einen Anruf bekommen würde. Ich kann es aber nicht beeinflussen. Ich werde weiter schauen, dass ich mich immer noch mehr verbessere, mehr kann ich nicht machen. Aber ich muss mich nicht verstecken.
SPOX: Sie haben Ihren Vertrag beim VfB im Januar bis 2017 verlängert. Dabei gab es nicht mal in Ansätzen große Schwierigkeiten oder einen Poker. Weil ein Wechsel ohnehin kein Thema war?
Ulreich: Richtig. Ich kann es nur noch mal betonen. Ich komme von hier, ich habe hier das beste Umfeld zum Arbeiten und ich habe mit Andy Menger einen super Torwart-Trainer, der mich extrem weiterbringt. Ich hatte nur einen Wunsch: langfristig beim VfB verlängern. Was soll ich da um Geld pokern? Ich bin sehr glücklich, dass ich noch lange beim VfB spielen kann.
SPOX: Geld soll für Sie prinzipiell eine eher untergeordnete Rolle spielen. Sie gelten als Schnäppchenjäger.
Ulreich: Manchmal gönne ich mir auch etwas Schönes, aber ich bin niemand, der zum Beispiel viel Geld für Mode ausgibt. Es muss hauptsächlich bequem sein. Mein letztes Schnäppchen war übrigens mein Fernseher. Das ist schon eine Weile her, aber da habe ich im Internet genau recherchiert und einen günstig bekommen. (lacht)
SPOX: Für viele Fußballer ist das Thema Mode ja durchaus wichtig. Wie kommt es, dass es für Sie keine große Rolle spielt?
Ulreich: Ich bin nicht damit aufgewachsen. Wenn ich von der Schule nach Hause kam, bin ich sofort mit den dreckigen Klamotten raus. Ich hatte immer Klamotten, die man auch dreckig machen durfte. Turnschuhe, Jeans, T-Shirt drüber - das reichte mir.
Sven Ulreich im Steckbrief