Künstler, der Heiland und kauzige Burschen

SPOX
17. Dezember 201219:36
Vier Köpfe der Hinrunde: Felix Magath, Rene Adler, Christian Streich und Juan Arango (v.l.)spox
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Die Hinrunde der 50. Bundesliga-Saison ist zu Ende. Geliefert hat sie wie immer allerhand Geschichten. Absurdes und Chaotisches, Fröhliches und Trauriges, Aufsteiger und Absteiger. Und eine fast schon nervtötende Debatte.

Der Spieler der Hinrunde: Alexander Meier

Im Januar wird Alex Meier 30 Jahre alt. Allerspätestens dann wird man nicht mehr von einem hoffnungsvollen deutschen Talent sprechen können. Und in die Nationalmannschaft wird es Meier nach menschlichem Ermessen wohl auch nicht mehr schaffen. Es sei denn, die geplante USA-Reise im kommenden Sommer muss gänzlich ohne Bayern- und Dortmund-Spieler angetreten werden. Und trotzdem hat Meier diese Vorrunde entscheidend geprägt. Elf Tore und zwei Vorlagen hat Meier zusammengetragen und damit seine mit Abstand beste Halbserie in der Bundesliga hingelegt. Lediglich Leverkusens Stefan Kießling hat bisher öfter getroffen (zwölfmal). Offenbar wird Meiers Spiel von den Gegnern immer noch ein wenig unterschätzt, vielleicht auch auf Grund seiner stoischen Art. Das sollte sich schleunigst ändern. Sonst gewinnt Meier am Ende tatsächlich noch die Torjägerkanone. Als Mittelfeldspieler.

Die Enttäuschung der Hinrunde: Felix Magath

In Wolfsburg spielte Geld wieder einmal kaum eine Rolle. Also verschob Felix Magath die Ware Fußballprofi wieder wie auf vielen anderen seiner Stationen als Trainer. Am Ende umfasste der Kader unglaubliche 36 Spieler, ein Drittel davon steht unter dem Verdacht, nur ein kostspieliger Bilanzposten zu sein ohne reelle Chance auf nachhaltige Einsätze. Oder kann sich noch jemand an Namen wie Hrvoje Cale, Soritios Kyrgiakos, Ferhan Hasani, Mateusz Klich oder Slobodan Medojevoc erinnern? Das Modell Magath hat auf diese Weise ja auch schon funktioniert. Nur krachte es dieses mal in Wolfsburg mit 180 Sachen gegen die Wand. Als Magath gehen musste, war der VfL Tabellenletzter. Die totale Fokussierung und Bündelung aller Entscheidungsgewalt bei nur einer Person hat bei den Wölfen einen Trümmerhaufen hinterlassen. Magaths Erben sind nun gerade dabei, diesen nach und nach abzutragen.

Der Trainer der Hinrunde: Christian Streich

Sein badisches Idiom ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Auch seine Art passt sicherlich nicht jedem. Dieses Kauzige, Unvorhersehbare. Was Christian Streich aber aus einer leblosen Mannschaft innerhalb der letzten zwölf Monate gebastelt hat, verdient das Prädikat "besonders wertvoll". Streich will sich nicht den neumodischen Begriff des Konzepttrainers anheften, obwohl seine Mannschaft mit so viel Augenmaß und Plan auf dem Platz agiert wie nur wenige in der Liga. Freiburg hat kein Geld und keine Stars. Also müssen Alternativtechnologien gefunden werden. In Freiburg heißen die: Spielidee, Flexibilität, Gemeinschaftssinn. Ihr Bauherr und Moderator ist Streich, auch wenn der das eine oder andere Mal mit seinem Verhalten vielleicht übers Ziel hinausschießt. Das wiederum rückt ihn in die Nähe eines Großen der Liga. Jürgen Klopp wurde mit einer ähnlichen Art zuletzt zweimal Trainer des Jahres.

Der Aufsteiger der Hinrunde: Eintracht Frankfurt

Es ist die beste Vorrunde seit der Herbstmeisterschaft 1993/94 und die beste Hinrunde eines Aufsteigers nach Kaiserslautern und Hoffenheim. Die erste Niederlage setzte es am 7. Spieltag, bis dahin hatte die Eintracht aber schon den neuen Start-Rekord von 16 Punkten aufgestellt. Die Zugänge Trapp, Inui und Aigner schlugen voll ein, dazu spielt Frankfurt einen technisch versierten, schnellen Offensiv-Fußball. Und hat aus der Vergangenheit gelernt. Vor zwei Jahren ging die Eintracht mit 26 Punkten in die Winterpause und hatte sofort das Gerede vom UEFA-Cup am Hals. Am Ende stand der jämmerliche Abstieg. Diesmal dreht in Frankfurt keiner mehr durch.

Der Aufreger der Hinrunde: Szabolcs Huszti

Es war ein Spiel wie gemalt. Hannover 96 bekämpfte den Nordrivalen Werder Bremen im kleinen Derby buchstäblich bis zur letzten Sekunde. Dann kam diese Flanke von links angeflogen. Szabolcs Huszti, davor schon als Torschütze und Vorbereiter auffällig geworden, legte sich quer in die Luft. Es sollte einer jener "echten" Fallrückzieher werden. Nicht die Billig-Variante, bei denen der Schütze noch ein Bein am Boden behält und sich dann ungelenk nach hinten fallen lässt. Der Ungar traf den Ball satt, Clemens Fritz fälschte noch leicht ab. Das 3:2 in der letzten Minute ließ in Hannover und bei Huszti alle Dämme brechen. Der rannte über die Bande, zog sich das Trikot vom Leib und kletterte auf den Zaun. Als sich der Trubel dann wieder einigermaßen gelegt hatte, machte sich die komplette Sinnlosigkeit des Regelwerks an diesem großen Moment zu schaffen. Der arme Deniz Aytekin als die Exekutive bornierter Gralshüter zeigte Huszti Gelb für den Mini-Striptease und nochmal Gelb für das Besteigen des Zauns. Nie zuvor lagen in der Bundesliga Genie (Huszti) und Wahnsinn (Regelwerk) enger beieinander.

Die Wutrede der Hinrunde: Bruno Labbadia

"Ich kann gewisse Dinge nicht akzeptieren, wenn der Trainer wie der letzte Depp dargestellt wird, als hätte er gar keine Ahnung. Die Zuschauer sind aufgewiegelt durch absolute Unwahrheiten. Holzhauser wäre nicht mehr beim VfB, wenn ich nicht mein Veto eingelegt hätte. Die Trainer sind nicht die Mülleimer von allen. Es ist eine gewisse Grenze erreicht. Vor 22 Monaten bin ich hier angetreten. Da hatten wir nur zwölf Punkte auf dem Konto. Da hat keiner mehr auch nur einen Pfifferling gegeben auf die Mannschaft. Danach habe ich sie in die Europa League geführt. Es wundert nicht, dass es beim VfB alle paar Monate einen neuen Trainer gibt. Als normaler Bundesliga-Trainer muss man sich die Frage stellen: Gehe ich einen schweren Weg mit? Oder sage ich: 'Am Arsch geleckt!' Das Fass ist absolut voll."

Das Drama der Hinrunde: Boris Vukcevic

Am 28. September krachte Boris Vukcevic auf dem Weg zum Training mit seinem Wagen frontal in einen LKW. Offenbar war Vukcevic als Folge einer akuten Unterzuckerung am Steuer ohnmächtig geworden; seit Jahren leidet der 22-Jährige an der Typ1-Diabetes. Zwei Wochen lang schwebte der Hoffenheimer in Lebensgefahr. Die gesamte Liga reagierte auf den schlimmen Unfall mit Solidaritätsbekundungen. Vukcevic ist mittlerweile nach sieben Wochen wieder aus dem Koma erwacht und zur stationären Behandlung in eine Reha-Klinik verlegt worden. Über seine Eltern meldete er sich vor dem 17. Spieltag erstmals wieder zu Wort: "Ich möchte alle grüßen und sie gleichzeitig bitten, mir die nötige Zeit und Ruhe zu geben, um wieder in mein Leben zurückzufinden." Ob Boris Vukcevic je wieder Fußballspielen kann, ist derzeit ungewiss.

Seite 2: Rekordjäger, die drei As und van der Vaart

Die Rekordjäger der Hinrunde: Bayern München

Den Startrekord von acht Siegen in den ersten acht Spielen erreichte in den 49 Jahren Bundesliga-Geschichte davor noch kein Klub, gleiches gilt für die ersten fünf Auswärtsspiele ohne Gegentor. Und so früh wie die Bayern diesmal (nach dem 14. Spieltag) stand auch noch kein Verein als Herbstmeister fest. 42 Punkte nach 17 Spieltagen sind demzufolge natürlich ebenfalls unerreicht. Hochgerechnet auf die komplette Saison würden die Münchener damit auch die erst wenige Monate alte Bestmarke von Borussia Dortmund (81 Punkte) knacken. Und mit bisher lediglich sieben Gegentoren ist Manuel Neuer ganz klar auf Kurs neuer Rekord. Der alte liegt bei 21 Gegentoren in einer Saison, gehalten von Oliver Kahn.

Der Wechsel der Hinrunde: Klaus Allofs

Am Ende war es das übliche Spielchen: A will B, B will zu A. B dementiert artig und ausdauernd und unterschreibt ein paar Stunden später dann doch bei A. C schaut dumm aus der Wäsche. Es war nicht irgendein Wechsel, der da Ende November vollzogen wurde. Es war der erste Transfer eines Sportmanagers während einer Saison innerhalb der Liga überhaupt. Und es war für Werder Bremen nicht weniger als der Verlust einer Institution. Klaus Allofs hatte den Klub 13 Jahre lang geführt, mit ihm sehr viele Höhen und ein paar Tiefen erlebt, im Tandem mit Trainer Thomas Schaaf gab er Werder ein neues Gesicht. Und dann war plötzlich Schluss. Allofs wollte etwas Neues probieren, Wolfsburg zahlte kräftig, Bremen ließ ihn erstaunlich leicht ziehen. Das Übliche eben - und dieses mal doch ein wenig anders.

Die Sehnsucht der Hinrunde: Rafael van der Vaart

Er war noch gar nicht ganz da, da hatte Rafael van der Vaart eine ganze Stadt in Trance versetzt. Als sich der Transfer des Niederländers von den Tottenham Hotspur zurück an die Elbe abzeichnete, schlüpfte van der Vaart ganz unfreiwillig in die Rolle des Heilands. Zuletzt hatte Kevin Keagan vor gut 30 Jahren beim HSV eine derart überzogene Hysterie ausgelöst. Van der Vaart soll in Hamburg alles sein: Idol, Anführer, Lichtgestalt, Torschütze und -vorbereiter. Ganz so einfach ist es dann doch nicht, wie die erste Halbserie gezeigt hat. Auch der Messias ist ein normaler Mensch. Den Glauben an eine erfolgreichere Zukunft mit und dank van der Vaart lassen sich die HSV-Fans deshalb aber noch lange nicht nehmen.

Das Comeback der Hinrunde: Rene Adler

Von den vielen Problemen, die den Hamburger SV vor Beginn der Saison plagten, war die Besetzung der Torhüterposition noch das kleinste. Jaroslav Drobny hatte eine überzeugende Rückrunde absolviert und trotzdem machte der HSV 3,5 Millionen Euro locker, um Rene Adler aus Leverkusen freizukaufen. Fast ein Jahr lang hatte Adler kein Bundesligaspiel mehr bestritten, war schwer verletzt. Es hielten sich zu Recht hartnäckige Zweifel, ob der ehemalige Nationalkeeper jemals wieder seine alte Form erreichen könnte. Was Adler dann aber in den 17 Spielen ablieferte, macht ihn zu einer der prägenden Figuren der Halbserie. Der 26-Jährige wurde zum besten Torhüter der Saison, rettete dem HSV so viele Punkte wie kein anderer seinem Team und gilt neben van der Vaart als Gallionsfigur in Hamburg. Dazu schaffte Adler quasi aus dem Reha-Zentrum den Sprung zurück zu Joachim Löw. Besser kann ein halbes Jahr kaum laufen.

Der Künstler der Hinrunde: Juan Arango

Einfach kann ja jeder. Gehen wir also Juan Arangos fünf Treffer in der Hinrunde mal durch: Am ersten Spieltag jagt er Tim Wiese einen Freistoß aus 18 Metern in den Winkel. Gegen Frankfurt trifft Arango aus 35 Metern - natürlich ebenfalls in den Winkel. In Hannover dreht ein frecher Freistoßdreher ins Torwarteck die Partie für die Borussia. Gegen Wolfsburg knallt er einen weiten Pass aus vollem Lauf volley ins lange Eck. Und dann halt noch das hier: Im Spiel gegen Mainz grätscht Arango an der Seitenlinie in eine verunglückte Abwehraktion von Keeper Heinz Müller. Der Ball beschriebt die höchste Flugbahn, die vermutlich je ein Ball erreicht hat und senkt sich aus 44 Metern ins Mainzer Tor. "Die schwierigen Tore liegen mir", sagt Arango. Kann man so stehen lassen.

Der Fehlschuss der Hinrunde: Vedad Ibisevic

Erster Spieltag, 90. Minute, zwischen Stuttgart und Wolfsburg steht es 0:0. Vedad Ibisevic kann jetzt dafür sorgen, dass man beim VfB von einem absolut gelungenen Start spricht. Vom Elfmeterpunkt war der Bosnier bisher unfehlbar. Und dann das: Ibisevic' Versuch entschärft Diego Benaglio. Nur rappelt sich Wolfsburgs Torhüter eben nicht mehr schnell genug auf. Das Tor ist quasi leer, der Ball hat sich nun bis auf drei Meter ans Glück herangeschoben. Ibisevic knallt mit rechts volley in vollem Risiko drauf. Ein Schubser mit dem Kopf, dem Knie, dem Bauch, alles hätte genügt. Aber Ibisevic verfehlt. Statt Tor für den VfB gibt es Abstoß für Wolfsburg. Im Gegenzug fällt das 0:1 für die Gäste.

Das Nerv-Thema der Hinrunde: Das Sicherheitspapier und die Folgen

Es hatte sich lange angedeutet, dass die DFL so manchem Treiben der Fans auf den Rängen in der Form nicht mehr zuschauen würde. Also wollte man sich zusammensetzen. Doch alsbald wurden die Fans von den Gesprächsrunden ausgeschlossen, kochte die Liga ihr eigenes Süppchen und schaffte vollendete Tatsachen. Teile der Fans protestierten dagegen eloquent und nachhaltig, benahmen sich dann aber nur Minuten später doch wieder daneben. Am 12. Dezember wurde dann ein Sicherheitspapier verabschiedet, das eigentlich so brisant gar nicht ist. Für den Zuschauer ist das alles offenbar einigermaßen verwirrend. Am Spieltag danach kam es unter den Fans zu Streit, wie man sich nun im Stadion am besten verhalten sollte. Weiterer Protest, gar Provokation? Doch wieder anfeuern? Momentan scheint sich der eine oder andere gar nicht auszukennen. Spötter sprechen von einem Kindergarten. Gut, dass jetzt Winterpause ist.

Die Tabelle nach dem 17. Spieltag