Julian Schieber: Das Hundejahr

Von Jochen Tittmar
Julian Schieber absolvierte bislang 93 Bundesligaspiele und schoss dabei 14 Tore
© imago

Julian Schieber kehrt mit Borussia Dortmund am Samstag zu seinem Ex-Klub VfB Stuttgart zurück (15.15 Uhr im LIVE-TICKER). Die erste Saison beim BVB muss für den 24-Jährigen als Lehrjahr verbucht werden. Doch Schieber sollte sich weiter strecken, denn schon zur neuen Spielzeit könnte die Luft für ihn noch dünner werden.

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Mit einer brachliegenden Ticket-Hotline muss sich Julian Schieber nicht herumschlagen. Als Vereinsangestellter läuft das ein ganzes Stück einfacher. Ende Oktober war der Bedarf des 24-Jährigen an Karten letztmals richtig groß.

Der BVB reiste zum Pokalspiel gegen den VfR Aalen, etwas mehr als eine Stunde von Schiebers Heimatort Backnang entfernt. Die ganze Familie kam damals zusammen, um ihren Jungen einmal live im schwarzgelben Dress zu begutachten. Und es lohnte sich: Die Borussia gewann mit 4:1 und Schieber erzielte sein erstes Pflichtspieltor für Dortmund.

Schieber meist nur auf der Bank

Am Samstag ist die Anfahrt für den Schieber-Clan nur halb so lang. Der Angreifer kehrt erstmals wieder zum VfB Stuttgart zurück, den er im vergangenen Sommer nach sechs Jahren verließ.

Die Schiebers werden dann wieder auf der Tribüne sitzen und feststellen, dass sich seit dem Oktober gar nicht so viel getan hat. Sollte es keine unvorhergesehene Überraschung geben, wird Schieber wie auf der Ostalb den Beginn des Spiels von der Bank aus erleben.

Bis auf vier Mal ist das in 38 Pflichtspielen in dieser Spielzeit nämlich immer so gewesen. Überraschend kommen die geringen Spielanteile nicht: Schieber wurde vom BVB für einen beachtlichen Betrag von 5,5 Millionen Euro als zweiter Stürmer hinter Robert Lewandowski verpflichtet. Und Schieber ist genau das: Der Backup des wohl stärksten Angreifers der Bundesliga.

Schieber: "Ich muss was draufpacken"

Schieber ist nicht der erste Neuzugang, bei dem Vertragsjahr eins einem Lehr - und somit einem Hundejahr gleicht. Das bringt ihn nicht aus der Fassung, von Beginn an zeichnete ihn eine realistische Einschätzung seiner Lage aus. Neben der Tatsache, dass Lewandowski spielt, so er denn fit ist, gehört dazu auch das Wissen um eigene Verbesserungspotentiale.

"Ich weiß, dass ich entwicklungsfähig bin. Aber ich komme in ein Team, das viel erreicht hat, das eng zusammengeschweißt ist, das harmoniert und funktioniert. Und in dem alle topfit sind. Ich muss was draufpacken und aufholen", sagte Schieber kurz nach seinem Dienstantritt beim BVB.

Auch die magere Statistik, die in der Hinrunde von nur einem Bundesligaeinsatz in der Startelf erzählte, brachte Schieber nicht ins Grübeln. Eine Anfrage des VfL Wolfsburg im Winter, wo er in Dieter Hecking auf den Trainer getroffen wäre, unter dem er in Nürnberg seine bislang konstantesten Leistungen zeigte, wimmelte Schieber ab. "Das hat mich nicht interessiert. Denn ich bin hier nicht unzufrieden, ich wusste, dass es länger dauern kann, bis ich auf meine Einsätze komme. Ich habe bewusst für vier Jahre unterschrieben."

Training im Footbonaut

Diese klare Sicht kommt an, wie die Kollegen bestätigen. Wahlweise wie ein Wahnsinniger oder ein Bär schufte Schieber im Training, er haue sich rein und mache kein Theater. Diese Einschätzung lässt sich auch auf den Spielbetrieb münzen, wenn auch Schiebers meiste Auftritte der Kategorie "bemüht, aber glücklos" entsprachen.

Sein Dilemma: In Lewandowski hat er einen Spieler vor der Nase, den er nicht verdrängen kann. Wenn er dann - meist in Form von Kurzeinsätzen als Einwechselspieler - ran darf, sind die Ansprüche automatisch schon hoch, so dass gemessen an Lewandowskis Schatten Schiebers Unzulänglichkeiten deutlich zum Vorschein kommen. Es gab Partien, da wirkte er phasenweise wie ein Fremdkörper, weniger brauchbar als zentraler Anlaufpunkt in der Spitze und fast ohne Bindung zum Spiel.

Die Beweglichkeit, die schnellen Drehungen und das Verarbeiten und Festmachen von Zuspielen, das Lewandowski herausragend beherrscht, stehen auf Schiebers Agenda ganz oben. Er schindet sich im Footbonauten, einem quadratischen Trainingskäfig, in dem er von acht speziell programmierten Ballmaschinen intensiv bearbeitet wird.

Die Luft dürfte dünner werden

Die Verantwortlichen sind mit Schiebers Eifer und Elan bis dato einverstanden. Auch wenn sicherlich die Hoffnung bestand, dass er schneller zu einer echten Alternative wird, um eben Lewandowski auch einmal eine Pause gönnen zu können.

Die dünne Personaldecke und die Suche nach einer facettenreichen Flexibilität im Sturm gehören zu den Gründen, weshalb die Borussia im Sommer auf Schiebers Arbeitsgebiet nachlegen wird. Unabhängig vom Ausgang der Lewandowski-Saga wird sich Schieber im neuen Jahr einem mindestens gleichwertigen zweiten Konkurrenten stellen müssen. Ein Kandidat wie unter anderem der kolportierte Hannoveraner Mame Diouf würde für Schieber die Luft noch dünner werden lassen.

"In meiner Situation, in der ich leider auch nicht immer gespielt habe und mir das eine oder andere Tor nicht gelungen ist, ist klar, dass mein Name nicht so groß besprochen wird", entgegnet Schieber auf die Frage, warum denn nicht er selbst der mögliche Lewandowski-Nachfolger sein könnte.

Auch diese Einschätzung Schiebers kommt angenehm bodenständig daher. Vielleicht hilft ihm ja auch die Tradition, die besagt, dass die meisten Neuen den größten Sprung unter Klopp in ihrer zweiten Saison machen - wie beispielsweise bei Lewandowski oder Schiebers bestem Kumpel Ilkay Gündogan geschehen. Er wird wohl auch nötig sein. Dann können die Schiebers bestimmt auch einmal den weiten Weg auf sich nehmen und im Dortmunder Stadion vorbeischauen.

Julian Schieber im Steckbrief