"Wir machen das nicht aus Jux und Dollerei!"

Stefan RommelAndreas Lehner
29. März 201315:50
Martin Bader (l.) machte Michael Wiesinger im Dezember 2012 zum Cheftrainer beim Clubspox
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Ein rascher Blick auf die Tabelle reicht, um dem 1. FC Nürnberg eine solide Saison zu bescheinigen. Solide ist längst auch das wirtschaftliche Fundament des Vereins. Das war nicht immer so. Im Interview mit SPOX spricht Martin Bader über schmerzhafte Zeiten, das Ringen um ein neues Stadion, Transfer- und Scoutingpolitik und Nachwuchsförderung.

SPOX: Herr Bader, wie schauen Sie sich eigentlich die Tabelle an - von oben nach unten oder von unten nach oben?

Martin Bader: Immer von unten nach oben. Klar haben wir zuletzt ein gewisses Selbstverständnis und auch Selbstbewusstsein entwickelt. Aber wir haben auch Jahr für Jahr Schlüsselspieler verloren. Es gebietet der Respekt der Bundesliga und auch unserer Historie gegenüber, dass wir von unten nach oben schauen. Wenn wir dieses Jahr die Klasse halten - wovon wir ausgehen - gibt es in 50 Jahren Bundesliga nur eine einzige Periode, in der der Club länger am Stück in der Bundesliga war.

SPOX: Sie machen den Club kleiner als er ist. SPOX

Bader: Wir entwickeln Spieler, wir entwickeln uns wirtschaftlich. Wir haben das Vereinsgelände neu geschaffen. Wir haben viele Dinge angeschoben. Der 1. FC Nürnberg hat grundsätzlich die Daseinsberechtigung in der Bundesliga.

SPOX: Ist es die eigentlich große Leistung der letzten Jahre, dass Sie neben dem sportlichen Erfolg auch das Drumherum weiter vorangebracht haben?

Bader: In der Nachbetrachtung auf jeden Fall. Auf der Strecke erfährt man aber immer wieder, dass von Fanseite oder einzelnen Personen Vorbehalte kommen. Die merken nicht, was wir hier machen und dass man nachhaltig arbeiten muss. Da gab es oft Gegenwind: Warum wir unsere besten Spieler verkauft und eine Mannschaft nicht zusammengehalten haben? Geschweige denn keine Transfers getätigt wie viele andere Vereine, ob Hannover, Stuttgart oder Bremen? Da stand schnell der Vorwurf fehlender Visionen oder fehlenden Sachverstands im Raum. Ich habe hier aber auch ganz andere Zeiten erlebt. Da hingen wir wirtschaftlich so am Tropf, dass es nur dem damaligen Präsidenten Michael A. Roth zu verdanken war, dass hier nicht regelmäßig die Lichter ausgegangen sind.

SPOX: Eine schmerzhafte Zeit.

Bader: Es gab Monate, da sind wir zum Schleifweg rübergefahren und haben darum gebettelt, dass er uns die Monatsgehälter vorschießt, damit wir das alles bezahlen können. So etwas darf hier nie wieder passieren! Diese Altlasten haben wir alle aufgeräumt, im Prinzip sind wir schuldenfrei. Und durch den neuen TV-Vertrag und ein paar Veränderungen in der Sponsorenfamilie können wir bald auch wieder Geld in die Hand nehmen und in die Mannschaft investieren. Der Spagat zwischen den Bedürfnissen der Fans und einer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit ist eine schwierige Sache. Aber nur so können wir den Club in allen seinen Facetten abbilden.

SPOX: Wie sieht das im Alltag dann aus?

Bader: Wir werden immer mal wieder auf einen Transfer kurzfristig verzichten oder einen Spieler abgeben und die Leute werden sagen: Wie könnt ihr nur? Aber es gibt noch einige infrastrukturelle Dinge zu tun. Immerhin sind wir im Gegensatz zu manch anderen Vereinen so weit zu sagen, dass wir jeden Euro Überschuss in die Mannschaft stecken können. Wir gehören mittlerweile zu den Vereinen, die auch guten Gewissens im Sommer einen Transfer tätigen können.

SPOX: Wie wichtig ist das Thema Stadionbau in der perspektivischen Entwicklung des Vereins?

Bader: Das ist die Grundvoraussetzung dafür, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Bundesliga zu spielen. Das zeigt ein Blick in die Geschichte: Die Bayern haben mit dem Olympiastadion Borussia Mönchengladbach abhängen können. Der HSV hat profitiert, Köln, Düsseldorf auch.

SPOX: Wie sehen die Pläne aus?

Bader: Wir machen so etwas nicht aus Jux und Dollerei. Mainz hat schnell verstanden, dass der Bruchweg für Bundesligaverhältnisse nicht mehr ausreicht. Augsburg hat neu gebaut, selbst Freiburg geht aus dem beschaulichen Stadion an der Dreisam raus. Wer auf Sicht wettbewerbsfähig sein will, muss eine optimale Wettkampfstätte haben.

SPOX: Sie haben eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Wann erwarten Sie die Ergebnisse?

Bader: Wir hoffen, dass wir im Sommer genügend Zahlen zusammen haben. Wir wissen und werden es berücksichtigen, dass Nürnberg nicht zu den wohlhabenden Städten gehört. Allerdings wissen wir auch, dass bei einer Beibehaltung des jetzigen Stadions die Stadt in naher Zukunft viel Geld zur regelmäßigen Instandhaltung aufbringen muss. Es ist unsere Verpflichtung, mit der Stadt Nürnberg eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten.

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SPOX: Abseits der wirtschaftlichen Überlegungen: Was würde ein neues Stadion für die Stimmung bedeuten?

Bader: Mit einem reinen Fußballstadion hätten wir eine ganz andere Wucht. Wir haben derzeit einen Schnitt von 42.000 Zuschauern und ich denke, dass wir die 50.000 häufiger ausverkauft bekämen. Das wäre mit unseren Fans im Rücken ein richtiges Pfund.

SPOX: Sportlich läuft es im Moment ganz gut. Sind Sie überrascht, wie fleißig die Mannschaft in der Rückrunde Punkt um Punkt sammelt?

Bader: Es lief mit 20 Punkten auch in der Vorrunde gut. Die Ausschläge waren ein bisschen extrem, aber 20 Punkte sind absolut in Ordnung. Wir waren im Winter vollkommen im Soll. Jetzt haben wir mit den Siegen in Augsburg und gegen Schalke die Unentschieden davor vergoldet. Jetzt sieht es danach aus, dass wir das gesteckte Ziel der 40 Punkte auch erreichen können.

Seite 2: Martin Bader über Transfers, Scouting und Nachwuchsförderung

SPOX: Wie sehen die mittelfristigen Ziele beim Club aus?

SPOXspox

Bader: Wir wollen den Zuschauerschnitt von 42.000 auf 45.000 steigern, wollen Mehreinnahmen generieren, wollen den Personaletat steigern. Wir müssen in die Substanz investieren. Dazu soll die Mitgliederzahl von derzeit 14.000 auf 20.000 steigen. Wir haben von der U 15 bis zur U 21 aktuell die meisten Junioren-Nationalspieler nach dem VfB Stuttgart. Da wollen wir pro Jahr noch zwei oder drei draufpacken. Wir wollen pro Jahr zwei oder drei junge eigene oder "fremde" Spieler in die erste Mannschaft integrieren. Das sind unsere Ziele. Und wenn wir die verwirklichen, wird der Club zwangsläufig eine gute Rolle in der Bundesliga spielen. Deshalb definieren wir uns nicht nur über den Tabellenplatz. Platzierungen sind vergänglich, das Selbstwertgefühl der Leute da draußen soll sich über andere Dinge definieren. Über einzelne Highlights, einen jungen Spieler, der neu zum Team stößt, über einen guten Transfer. Und erst dann wird gefragt, wo wir eigentlich in der Tabelle stehen. Der Tabellenplatz ist für die Bewertung der Arbeit aller Beteiligten hier nicht das Maß aller Dinge. Und ob wir in fünf Jahren einmal international spielen oder nicht, ist nicht entscheidend. Das würden wir mitnehmen, es ist für die Entwicklung aber nicht wichtig.

SPOX: Die Attraktivität steigt durch die Entwicklung der einzelnen Bausteine.

Bader: Exakt. Wir werden nie einen Spieler verpflichten können mit dem Versprechen, hier in zwei Jahren international zu spielen. Wir wollen vielmehr Spieler haben, die den Weg beim 1. FC Nürnberg interessant finden. Damit haben wir Spieler wie Schieber, Ekici, Gündogan, Wollscheid oder Kiyotake bekommen. Natürlich war die Perspektive auch, später den Weg zu Dortmund oder damals noch Bremen zu gehen. Wenn ein Spieler bei uns gute Arbeit abliefert und weg will, muss er zu den Top fünf der Bundesliga. Ansonsten sollte er bei uns bleiben. Das muss unser Anspruch sein.

SPOX: Das ist ein hohes Ziel. Im aktuellen Kader gibt es aber wenige Ausnahmespieler. SPOX

Bader: Wir wissen, dass wir gemessen an der jeweiligen Individualqualität mit einigen Mannschaften in der Liga nicht mithalten können. Wir haben Spieler geholt, die keinen einzigen Bundesligaeinsatz hatten. Das ist riskant. Viele Verpflichtungen sind mit einem Fragezeichen versehen. Zu 80 oder 90 Prozent ist es bisher aufgegangen. Man kann aber auch mal komplett daneben liegen. Umso schöner ist es dann aber auch, wenn wir als Team 3:0 gegen Schalke 04 gewinnen können.

SPOX: Ist es Zufall, dass Sie weniger Leihspieler im Kader haben als noch vor einigen Jahren?

Bader: Das ist eine Entwicklung, die wir immer prognostiziert haben. Wenn ich Qualität nicht habe oder sie mir kaufen kann, dann hole ich sie mir auch auf die Gefahr hin, dass sie nach einem Jahr wieder weg ist. Aber das oberste Ziel muss immer sein, dass dieser Klub Bundesliga spielt. Wir waren da schon eine Art Vorreiter beim Thema Leihspieler. Das kommt jetzt immer mehr aus der Schmuddelecke raus, mittlerweile leiht sich jeder seine Spieler. Wir sind aufgestiegen und drin geblieben, weil wir Spieler ausgeliehen haben wie Reinartz, Ekici, Hegeler, Schieber, Didavi. Dass sich das dann wieder verlagert und wir auch mal einen kaufen können, ist schön. Vor zwei Jahren war es undenkbar, dass wir je eine Million für Gebhart oder Kiyotake ausgeben können. Früher hätten wir die geliehen, heute kaufen wir sie.

SPOX: Dabei sind Sie vorrangig auf der Suche nach jungen, deutschen Spielern?

Bader: Wir wollen kein Dogma, das lautet: jung und deutsch. Aber wir schließen von Haus aus ein paar Länder aus, von denen wir sagen, dass der Aufwand dort keinen Sinn ergibt.

SPOX: Die da wären?

Bader: Wir schließen Länder aus, bei denen wir eigentlich wissen, dass die Transfers wirtschaftlich nicht möglich sind beziehungswiese haben wir dort die Infrastruktur gar nicht, um intensiv zu scouten. Wir können nicht wie große Vereine einen Scout drei Wochen am Stück in Südamerika haben. Das ist aber notwendig, um die Top-Talente zu identifizieren, da es dort sehr viele gibt. Wir konzentrieren uns lieber auf andere Gebiete: Deutschland und unser nahes Umland wie zum Beispiel Tschechien, die Slowakei, Österreich, die Schweiz, die Beneluxländer, Skandinavien. Und natürlich den asiatischen Markt. Da haben wir viel zu tun.

SPOX: Wieso kommt kein Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien in Frage?

Bader: Wir schließen die Möglichkeit grundsätzlich nie aus, aber der Aufwand dort steht in keinem Verhältnis dazu, was unterm Strich rauskommt. Wenn ich ein Toptalent aus Serbien hole, kostet das richtig. Wenn Sie in Kroatien einen finden und man muss sich mit Dinamo Zagreb auseinandersetzen, haben Sie im Normalfall keine Chance. Da rutscht uns vielleicht auch mal ein Spieler durch, das ist uns bewusst. Außerdem sollen drei, vier Plätze von den 25 in jeder Vorbereitung dem eigenen Nachwuchs vorbehalten sein.

SPOX: Wie wichtig wäre ein Aufstieg Ihrer zweiten Mannschaft in die 3. Liga?

Bader: Ob Teilnahme an der 3. Liga oder unter den Top fünf in der Regionalliga ist für die Ausbildung nicht ganz so entscheidend. Die Ausbildung findet unter der Woche statt, nicht nur am Wochenende. Wir unterstützen sie natürlich; wenn sie es schaffen, wäre das toll. Aber es ist kein definiertes Ziel bei uns. Der VfB Stuttgart ist der einzige deutsche Klub, der es schafft, seine zweite Mannschaft in der 3. Liga zu etablieren. Dortmund oder die Bayern müssten auf Grund seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten eigentlich auch eine gute Rolle spielen.

SPOX: DFB-Sportdirektor Robin Dutt verfolgt ein etwas abgewandeltes Ausbildungskonzept. Inwieweit stehen Sie mit ihm schon in Kontakt?

Bader: Er war bereits hier und hat sich sehr viel Zeit genommen, um sich alles anzuschauen. Seine Pläne sind absolut sinnvoll. Der DFB muss nicht mehr einschreiten, weil er Angst haben müsste, dass die Talente in den Klubs nicht gut ausgebildet würden. Das ist nicht der Fall, ganz im Gegenteil. Es schmeißt jeder Klub seine 19-Jährigen in der Bundesliga ins kalte Wasser, weil die Spieler gut ausgebildet sind.

SPOX: Wie ist das Zusammenspiel mit dem DFB?

Bader: Es ist durch die Strukturen, die Matthias Sammer damals gelegt hat und die Robin Dutt jetzt verfestigt, noch enger zusammengewachsen. Der DFB vertraut uns, er ist interessiert daran, was in den einzelnen Klubs passiert. Das ist ein klares Zeichen.

SPOX: Die Zahl der Lehrgänge soll reduziert, dafür deren Intensität gesteigert werden.

Bader: Das Problem war früher, dass die Vereine nicht in der Lage waren, topausgebildete Trainer für den Jugendbereich zu engagieren. Deshalb wurde in den Lehrgängen nachgearbeitet. Das hat sich komplett verändert. Man darf die Belastung für die Jungs auch nicht unterschätzen: Die ist enorm. Jeder will, dass ein Schul-Abschluss gemacht wird. Es gibt die Lehrgänge, das Training bei uns, es gibt einige, die sind bei den Profis dabei, trainieren bei der U 23 und spielen U 19; die sind dann nur unterwegs. Das ist Wahnsinn für so einen jungen Spieler. Deshalb ist es nur sinnvoll, den Umfang an Lehrgängen zu reduzieren.

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