Es war mehr als nur der Ausdruck von Freude. Nuri Sahin hatte im Rückspiel bei Fortuna Düsseldorf gerade ein tolles Weitschusstor erzielt und lief in Richtung Dortmunder Bank. Dort erhoben sich alle Stammspieler, die an diesem Tage die Reservespieler waren, gingen Sahin einige Schritte entgegen und bildeten wenig später ein Knäuel des Glücks.
Dabei war es an diesem Tag im April fast schon nebensächlich, welches Ergebnis der BVB in der esprit-Arena erzielte. Trainer Jürgen Klopp ließ zehn Spieler, was übrigens den Vereinsrekord bedeutete, draußen und schonte sie für das anstehende Champions-League-Rückspiel bei Real Madrid.
Sahin allerdings lief auf, da er nicht zum Stammpersonal in der Königsklasse gehörte. Es hat ihn schon ein wenig gefuchst, nach seinem Wechsel im Winter nicht schneller den Weg in die erste Mannschaft geschafft zu haben. Doch er wusste natürlich nur zu gut, dass die Truppe stark auftrumpft - ohne ihn.
Mit dem gemeinsamen Jubel in Düsseldorf sendeten seine Mitspieler, die während der vergangenen Rückrunde ins Finale der Königsklasse stürmten - Sahin durfte in diesem Wettbewerb insgesamt nur 27 Minuten mitspielen -, ein Signal an den türkischen Nationalspieler: Du gehörst zu uns und gehst den richtigen Weg.
Sahin findet seinen Rhythmus
Der führte letztlich zu 15 von 17 Ligaspielen. Anfangs noch von der Bank kommend, absolvierte Sahin in der CL-Schonungsphase seine letzten acht Partien über die gesamten 90 Minuten. Die Zeit der Ein- und Umgewöhnung rückte nach und nach an den Horizont, so dass man während seiner Einsatzzeiten beinahe dabei zusehen konnte, "wie der Junge langsam in seinen Rhythmus kommt" (Klopp).
Mit dem Beginn der Vorbereitung ist für Sahin, den Klopp als "ganz außergewöhnlichen Fußballspieler mit ganz außergewöhnlichen Fähigkeiten" beschreibt, nicht nur sein letztes Jahr der Ausleihe von Real Madrid angebrochen, sondern auch die Zeit, in der er wieder ein gehöriges Wörtchen mitreden kann, wenn die Karten neu gemischt werden.
"Ich wusste, dass ich mich einreihen muss. Jetzt bin ich komplett dabei", sagt er und es scheint, als ob er die Testspiele und das Trainingslager regelrecht herbeigesehnt habe. Das erste halbe Jahr ist Geschichte, Sahin steht aktuell voll im Saft und kämpft um einen Stammplatz.
Der Mann für die Alternativen
Wenn man nun engstirnig auf die bisherige Startformation der Dortmunder blicken würde, käme man möglicherweise zum Schluss, dass für Sahin wohl auch in der kommenden Spielzeit kein Platz bleibt. Die Achterposition ist sein Arbeitsgebiet, doch da wird der BVB freiwillig kaum auf die strategischen Fähigkeiten von Ilkay Gündogan verzichten wollen.
Eine solche Betrachtungsweise ist freilich unzulässig. Erst recht, wenn man bedenkt, wie Klopp das BVB-Spiel in kompositioneller Hinsicht künftig austarieren möchte.
Der Coach plant, die Herangehensweise taktisch wie personell variabler zu gestalten, ohne dabei das Rad neu zu erfinden. "Wir müssen dafür sorgen, dass verschiedenste Konstellationen funktionieren, so können wir uns mehr Alternativen schaffen", sagt Klopp.
Diese Alternativen sollen im Umkehrschluss einerseits eine höhere Rotation ermöglichen: "Die Jungs müssen lernen, dass sie auch mal draußen sitzen werden, weil wir mehr rotieren werden. Unser Vorteil ist dabei, dass sich ein Großteil der Spieler seit Jahren kennt." Andererseits will man erreichen, dass auch ein offensives Pärchen wie Sahin und Gündogan die Doppelsechs ausfüllen kann, ohne den Defensivschwerpunkt dieser Position zu vernachlässigen.
Gündogan und Sahin?- Warum nicht!
"Die Doppelsechs Sahin und Gündogan ist von uns noch nicht so oft probiert worden (zwei Mal in der Rückrunde, Anm. d. Red.). Dass das bei den beiden offensiv gut aussieht ist klar, aber es sah auch defensiv gut aus", freute sich Klopp daher auch nach dem Testspielsieg gegen Bursaspor.
Eine solche Kombination ist für die Zukunft keineswegs ausgeschlossen. "Er kann auch die langen und ich die kurzen Pässe spielen", wehrt sich Sahin gegen vorschnelle Meinungen, wonach zwei offensiv geprägte Spieler nicht gemeinsam das zentral-defensive Mittelfeld bilden sollten.
"Diese Kombination funktioniert, weil wir beide diesen defensiven Ansatz im Kopf haben. Nach der Balleroberung können wir das Spiel schnell machen, so dass wir mit unserer Passstärke die Freiräume nutzen können, wenn der Gegner noch unsortiert ist. Auf der Position hat man den defensiven Ansatz als Fixpunkt, das ist uns beiden klar. Ich sehe keine Probleme auf dem Platz."
Den nächsten Schritt im Blick
Bevor Sahin nach Madrid wechselte und für ihn ein unstetes Fußballerleben mit Verletzungen und ohne Spielpraxis begann, verstand er sich mit dem defensiven Sven Bender hervorragend auf der Sechs. Daher wird es ganz entscheidend sein, dass Sahin den Weg zurück auf das 2011er Niveau findet, um flexiblere Spieler wie beispielsweise Gündogan für offensive Positionen frei zu machen und damit gleichzeitig die Rotationsmöglichkeiten zu erhöhen.
Doch der 24-Jährige wäre unprofessionell, wenn er seine persönlichen Ziele vor diese taktischen Überlegungen stellen würde. Sahin möchte mehr spielen als die anderen und sich wie schon vor zwei Jahren zu einem unverzichtbaren Bestandteil im Dortmunder Fußball aufschwingen.
Er wolle "in der neuen Saison nun auch die ganz großen Spiele machen." Denn: "Es ist mir wichtig, für die Mannschaft da zu sein und mein volles Potential abzurufen. Dafür ist der Zeitpunkt jetzt perfekt. Ich habe nach zwei Jahren wieder eine komplette Vorbereitung absolviert. Ich möchte in meiner Karriere den nächsten Schritt machen und meinen Teil dazu beitragen, dass wir einen höheren Level erreichen." Gelingt das dem Verein und ihm, wird auch Sahin, der neue Alte beim BVB, öfter mal geschont werden - allerdings in entscheidenden Phasen der Saison. Wie seine Kollegen damals in Düsseldorf.
Nuri Sahin im Steckbrief