Ein 17-Jähriger hat es Bayer Leverkusen angetan. Levin Öztunali hat zwei Altersklassen übersprungen und kämpft trotz großer Konkurrenz um einen dauerhaften Platz bei den Profis. Sein Trainer ist begeistert.
Die ständigen Vergleiche und Anspielungen nerven nicht nur Levin Öztunali selbst, sondern mittlerweile auch Teile seiner Familie. "Dass Levin der Enkel von Uwe Seeler ist, ist nun einmal Fakt und wird immer so bleiben. Aber ich denke, der Junge kam und kommt damit ganz gut zurecht", sagt Vater Mete Öztunali.
Öztunali senior ist Scout bei Bayer Leverkusen und würde er Levin nicht zufällig seit der Geburt kennen - er hätte ihn als Fußballer sicherlich für die Werkself entdeckt.
Unstimmigkeiten bei Wechsel
Seit diesem Sommer spielt Levin Öztunali für Bayer Leverkusen, nachdem sein Abschied aus Hamburg für ein wenig Aufsehen gesorgt hat. Der Wechsel an sich war eher handelsüblicher Natur, die besondere Familienkonstellation und die Signalwörter Seeler, HSV und Zoff machten aber gleich eine große Angelegenheit daraus.
Der ehemalige HSV-Sportdirektor Frank Arnesen hatte Öztunali ziemlich unverhohlen vorgeworfen, sich für das schnelle Geld und gegen "Ausbildung und Familie" entschieden zu haben, was wiederum den Beschützerinstinkt des großen Seeler weckte.
Öztunali und Co.: Die Players to watch der Bundesliga
"Die ganze Sache hat nichts mit Geld zu tun. Ich kenne die Hintergründe. Beim HSV reagiert man oft viel zu spät. Ich stehe voll und ganz hinter Levins Entscheidung. Sie ist reiflich überlegt", sagte Uwe Seeler. Wie immer dürfte es auch in diesem Fall drei Seiten der Geschichte geben: Die von Arnesen, die von Öztunali und die Wahrheit. Wobei das alles längst gar keine Rolle mehr spielt.
Neuer Rekordhalter in Leverkusen
Levin Öztunali hat Wichtigeres zu tun, als sich mit alten Geschichten herumzuärgern. Bundesliga spielen zum Beispiel. Am Samstag feierte er gegen den SC Freiburg sein Debüt in der höchsten deutschen Spielklasse.
Mit 17 Jahren und 146 Tagen ist Öztunali seitdem der jüngste Bundesligaspieler in der Geschichte der Werkself, in der gesamten Bundesligahistorie gab es lediglich neun Spieler, die bei ihrer Premiere noch jünger waren.
Das alles wenige Tage, nachdem beim VfB Stuttgart mit Timo Werner auch ein A-Jugendlicher einen Uralt-Rekord gebrochen hatte. In der Europa-League-Qualifikation gegen Botew Plowdiw spielte Timo Werner mit 17 Jahren und 120 Tagen zum erstenmal ein Pflichtspiel für den VfB und löste damit seinen heutigen Berater Karlheinz Förster ab, der die Bestmarke 37 Jahre lang inne hatte.
Beide, Werner und Öztunali, durften bis zum 30. Juni sogar noch in der B-Jugend spielen. Ein Zufall? "Levin hat sich diese Minuten in der Vorbereitung verdient, denn er hat sehr hart gearbeitet", sagte Bayer-Coach Sami Hyypiä, der mit der Einwechslung Öztunalis für Gonzalo Castro aber nicht nur dessen hervorragende Vorbereitung krönen wollte, sondern auch einen taktischen Hintergedanken verfolgte.
"Wir hatten am Ende des Spiels Schwierigkeiten in der Breite. Und da haben wir gedacht, dass im rechten Mittelfeld Platz für ihn ist, weil Levin sehr gut ist im Verteidigen der Seite und im offensiven Umschalten", erklärte Hyypiä seinen Gedankengang.
"Der hebt nicht ab"
Womit auch schon einige von Öztunalis Fähigkeiten umrissen wären. Eigentlich ist er im defensiven Mittelfeld zuhause. Ein fein geschultes Auge zeichnet ihn aus und eine für sein Alter ungewohnte Ruhe auch in brenzligen Spielsituationen.
"Er ist weiter, als wir alle dachten", lobt Bayers Sportdirektor Rudi Völler. "Er wird von uns nicht gebremst. Wir sind überglücklich, dass wir ihn bekommen konnten. Levin ist ein total anständiger Junge. Der hebt nicht ab."
Dafür besteht angesichts des Konkurrenzdrucks in Leverkusen auch keinerlei Veranlassung. In Lars Bender steht ein aktueller Nationalspieler für das zentrale Mittelfeld bereit, dazu noch die drei Ex-Internationalen Stefan Reinartz, Simon Rolfes und Gonzalo Castro. Und vor wenigen Tagen stieß auch noch Emre Can vom FC Bayern München dazu. Fünf Millionen Euro teuer und mit erst 19 Jahren schon neuer Kapitän der deutschen U-21-Nationalmannschaft.
"Es kann sein, dass Levin noch das eine oder andere Mal reinkommt", sagt Hyypiä zwar, verweist aber auch sofort auf das ewig junge Rätsel eines Trainers. "Mein Problem ist, dass ich immer nur elf Spieler auf den Platz bringen kann..."
Hyypiä von Öztunalis Mentalität begeistert
Immerhin hat Hyypiä nach fast 25 Jahren im Geschäft wieder etwas Neues gelernt: Den erstaunlichen Biss, den auch ein Teenager schon entwickeln kann. "Mir gefällt seine Mentalität. Er arbeitet jeden Tag an sich, und das alles bei einem 17-Jährigen - das kommt nicht so oft vor", sagt der Trainer. "Ich werde versuchen, ihm zu helfen. Er muss den großen Willen haben, jeden Tag hart arbeiten. Aber er ist wirklich schon sehr weit."
Derzeit geht alles ziemlich schnell für Öztunali, der in Leverkusen eigentlich über die U 23 behutsam an die Profis herangeführt werden sollte. Was an und für sich schon eine gewisse Note hatte, wenn man sich die Wertigkeit der zweiten Mannschaft bei Bayer vor Augen führt.
Bis vor kurzem galt eher der Leitsatz, dass es ein Spieler direkt aus der Jugend zu den Profis schaffen müsse. Ist dies nicht der Fall, hat er in Leverkusen wenige Chancen und wird verliehen oder ganz weggeschickt. Dementsprechend stiefmütterlich wurde die U 23 behandelt. Mit dem Wirken von Sascha Lewandowski und Hyypiä hat sich daran aber einiges geändert.
Dominik Kohr, Nico Perrey oder Jonas Meffert spielten oder spielen in der Regionalliga und gehören parallel dazu doch offiziell auch schon dem Profikader an.
Und nebenbei das Abitur
Sami Hyypiä vertritt anders als einige seiner Kollegen die Meinung, dass Spielpraxis auf höchstem Niveau gar nicht früh genug gewonnen werden kann. Egal, ob ein Spieler 20 oder 17 Jahre alt ist. Jede Trainingseinheit oder auch nur ein paar Minuten bei den Profis können mehr wert sein als 90 Minuten in der Regionalliga.
Ein glücklicher Umstand für Öztunali, der sich unfreiwillig offenbar den richtigen Trainer ausgesucht hat. Die Eingewöhnungszeit verlief reibungslos, was sicherlich auch der Tatsache geschuldet war, dass sich sein Vater zeitgleich zum Wechsel von Hamburg, wo er bis vor kurzem noch Jugendtrainer war, für Leverkusen entschied.
"Wir freuen uns, dass sich Levin in Leverkusen wohlfühlt und es für ihn auch ganz gut läuft", sagt Mete Öztunali. Am 4. September beginnt für seinen Sohn dessen zweite wichtige Karriere.
Dann startet Levin Öztunali in sein Abschlussjahr auf dem Landrat-Lucas-Gymnasium in Leverkusen. Den Grad der Hochschulreife wird er erst noch erbringen müssen. Der angehende Maturant ist auf dem Fußballplatz offenbar schon einen kleinen Schritt weiter.
Levin Öztunali im Steckbrief