Alles auf Rot

David Kreisl
25. August 201519:02
Für Julian Green reichte es beim HSV für gerade einmal 113 Bundesliga-Minutengetty
Werbung

Julian Green hat als Leih-Spieler beim Hamburger SV ein grausiges Jahr hinter sich. Von einem erneuten Wechsel will das einstige Wunderkind jedoch nichts wissen. Green wählt bei seinem FC Bayern den riskantesten Weg - der prädestiniert ist, um zu fallen.

"Es wird enttäuschte Spieler geben", sagte Philipp Lahm. Und machte dazu eine ernstere Miene als noch in den Minuten davor. Während die Sonne zwei Tage vor dem Saisonstart der Bayern gegen den HSV die Thermometer in der Landeshauptstadt wieder weit jenseits der 30-Grad-Marke trieb, saß der Kapitän des Rekordmeisters im kühlen Presseraum der Säbener Straße. Und sprach Klartext.

"Professionell weiterarbeiten" sei die Devise für die Bankdrücker, die es nicht zu knapp geben wird in der kommenden Saison. Primär war es ein Appell, gerichtet an die Mario Götzes, Xabi Alonsos und Thomas Müllers, die es oft genug erwischen wird. Die gestandenen Spieler, die Weltmeister.

Natürlich aber auch an diejenigen, die aus der zweiten Reihe im Millionenkader der Roten nach Lücken und Minuten suchen. Die Zukunftshoffnungen wie Gianluca Gaudino. Die angeblichen Megatalente wie Sinan Kurt. Oder das gefallene Wunderkind - Julian Green.

"Den FC Bayern im Herzen"

Green ist zurück beim FC Bayern, nach einem Jahr beim HSV ist er wieder zuhause. "Mit dem FC Bayern im Herzen", sagte er vor kurzem der Zeit, "bin ich aufgewachsen". Hier, in der Heimat, will er sich wieder fangen, alles Negative der letzten Monate abschütteln. Und seine Karriere in die Bahnen lenken, in der sie bereits war. In die des Ausnahmefußballers, den der FC Bayern schon mit 14 Jahren wollte, den er mit 18 zum Profi machte.

Im WM-Achtelfinale gegen Belgien traf er für die US-Boys per Volley - mit dem ersten Ballkontakt. "Seine Zukunft erscheint strahlend", schrieben sie in Amerika. Die Zukunft erscheint strahlend, das dachte sich auch Green selbst.

"Pep Guardiola hat mir gratuliert, ich glaube, er zählt jetzt voll auf mich", sagte er nach seinem Auftritt in Brasilien. Green vertraute Pep, dem "besten Trainer der Welt". Als vor der Saison plötzlich Hamburgs Trainer Mirko Slomka am Telefon war und sagte: "Du bist mein Wunschspieler", da riet Guardiola ihm zur Leihe. Und Green ging.

Ein Jahr Spielpraxis und als gestandener Bundesligaspieler wieder in den Süden. Der Plan war quasi idiotensicher - wurde aber ohne die Rechnung des HSV gemacht. Eine Woche später setzten die Hanseaten Slomka vor die Tür und installierten Joe Zinnbauer. Eine Personalentscheidung, 613 Kilometer entfernt von Green und seinen Bayern, leitete den freien Fall des Youngsters ein.

Starallüren, Messi, 1860 München

"Ich hatte von Beginn an das Gefühl, nicht gebraucht zu werden", sagt Green rückblickend. Der mit vielen Vorschusslorbeeren empfangene Angreifer fand keinen Platz in Zinnbauers System und Vorstellungen. Auf 113 Minuten in fünf Spielen kommt Green, in der Rückrunde steht er ein einziges Mal im Kader. "Der Trainer hat nicht mit mir gesprochen. Weder in der Hinrunde noch im Trainingslager."

Die Hamburger Medien zeichnen schnell das Bild vom Heilsbringer, der in Wahrheit ein verzogener Null-Bock-Spieler mit Starallüren sei. "Gas geben und durchsetzen" werde er sich, hatte Green bei seiner Ankunft gesagt. Und, dass er "vielleicht ein kleiner Messi werden kann". Die Realität? Nicht ganz. Eine Aufforderung, in der zweiten Mannschaft zu spielen, lehnt Green ab. Mit unglücklichen Tweets bringt er die Fans der Rothosen gegen sich auf. Dass er einen Blog für die Bravo schreibt, will für viele nur zu gut zum schlecht trainierenden, unprofessionellen Nachwuchskicker passen.

SPOXIm Winter schlägt Sportchef Peter Knäbel einen Wechsel zu 1860 München vor. Ihm, dem Bayern aus tiefsten Herzen. Als Green und sein Berater ablehnen und endlich ein Gespräch mit Zinnbauer und Knäbel bekommen, verhärten sich die Fronten. Der Münchner bekommt einen Zettel vorgelegt. "Da stand Abmahnung, und es stand dort, wenn ich noch einmal aufgefordert würde, in der zweiten Mannschaft zu spielen, dann müsse ich das machen, weil ich verpflichtet sei."

"Nur froh, dass ich wieder hier bin"

Nach zehn Monaten endete das riesige Missverständnis, ein "schwieriges Jahr", wie Green es ausdrückt. "Auch, wenn ich eigentlich nicht mehr darüber nachdenken möchte, nimmt man so was natürlich mit." Streitereien und Negativ-Schlagzeilen statt Spiele und Tore - es ist das, was geblieben ist nach fast einem Jahr am "kühlen Ort" Hamburg.

"Ich bin einfach nur froh, dass ich wieder hier bin", sagt Green. Doch wie sieht das der Rest? "Ich denke nicht, dass er direkt hier bei den Bayern bleiben wird", meinte Bayern-Boss Karl-Heinz-Rummenigge. "Er benötigt vielleicht noch ein Jahr irgendwo bei einem anderen Klub, in Deutschland oder England." Und Pep, dem der 20-Jährige so uneingeschränkt vertraut, der lehnte weitere Ausleihen aus seiner Mannschaft kategorisch ab. Und sagte dann in Bezug auf Green: "Er ist ein anderes Thema."

Von einer Leihe, von anderen Klubs und anderen Orten, will Green aber nichts wissen. "Ich spiele bei Bayern seit ich 14 bin. Ich will mich jetzt hier durchsetzen."

Neustart bei null

Green hat es selbst mehr als deutlich gemacht: Er bleibt - und setzt mit zwei Jahren Restvertrag dabei alles auf Rot. Ohne Spielpraxis, ohne Selbstvertrauen startet Green quasi bei null. Das Ziel ist ein Platz in der Mannschaft, in der seine Position von Franck Ribery eingenommen wird. Und weil der ausfällt, weil nicht klar ist, wie es überhaupt beim Franzosen weitergeht, kauften die Münchner Douglas Costa aus Donezk für 30 Millionen Euro.

Dennoch will Green es wissen und wählt den riskantesten Pfad. Der Weg zu den Profis ist derweil klar. "Hier hat er eine Aufgabe in der 2. Mannschaft", sagt Berater Roman Grill. Von dort soll es zu den Großen gehen. "Mit dieser Perspektive wird er alles geben", stellt Katharina Schrott aus Grills Agentur klar. "Eine weitere Leihe oder gar ein Transfer stehen außer Frage."

Beim HSV hat Green das Geschäft kennengelernt. Auf dem Platz steht eine Mannschaft. "Geht das Licht aus, kämpft jeder allein." Das will er jetzt tun - kämpfen. Daheim, bei seinem FC Bayern. Unter dem Trainer, dem er vertraut. Vermutlich noch nicht am Freitag, wenn seine ehemaligen Kollegen in der Allianz Arena gastieren.

Julian Green im Steckbrief