Niko Bungert ist mit 29 Jahren hinter Elkin Soto bereits der dienstälteste Profi beim 1. FSV Mainz 05. Im Interview spricht er über seine Erfahrung aus mehr als sieben Jahren in Rheinhessen - inklusive seines eigenen Stellenwerts, Gehirntraining unter Thomas Tuchel und der Wechselgerüchte um Christian Heidel. Außerdem erklärt er, warum er nicht nach England passt und wieso er sich selbst nicht für seine Comunio-Mannschaft verpflichtet hat.
SPOX: Herr Bungert, Sie kamen 2008 mit 21 Jahren nach Mainz. Die Führungsspieler hießen damals Wache, Rose, Noveski, Pekovic oder Karhan. Mittlerweile sind Sie hinter Elkin Soto selbst der Dienstälteste. Würden Sie Ihr Standing im heutigen Team mit dem der Ikonen von damals vergleichen?
Niko Bungert: Das ist schwer einzuschätzen, vor allem, weil ich in der Zeit unzählige Spieler habe kommen und gehen sehen. Wenn man so lange im Verein ist und hier viele schöne Jahre erlebt, fühlt man sich aber natürlich sehr angekommen und innerhalb der Mannschaft auch als Ansprechpartner und Führungsspieler.
SPOX: Dabei hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere berechtigte Hoffnungen, den Durchbruch schon auf Schalke zu schaffen. War es damals eine große Enttäuschung, obendrein als Fan von S04, den Verein in jungen Jahren in Richtung Offenbach verlassen zu müssen?
Bungert: Nein, gar nicht. Ich habe zu der Zeit nicht gedacht, dass ich mit 18 Jahren vom Niveau so nah am Profifußball bin. Von daher konnte ich es anfangs gar nicht begreifen, dass ich wirklich bei Schalke mit der ersten Mannschaft trainieren durfte. Das war für mich eine Wahnsinns-Ehre und völlig irreal. Ich habe es dort sehr genossen, mich aber auch über die Chance in der 2. Liga gefreut. Denn auch das ist nicht selbstverständlich für einen jungen Spieler ohne Bundesliga-Erfahrung. Dass ich mich in Offenbach nach kurzen Anlaufschwierigkeiten durchsetzen konnte, war riesig für mich.
SPOX: In Mainz spielten Sie die längste Zeit unter Thomas Tuchel. Viele Aspekte, die man heute im Mainzer Spiel sieht, hat er integriert. Welche waren die wichtigsten?
Bungert: Er hat uns ein mutiges Spiel beigebracht. In der Bundesliga gibt es viele Teams mit großer Qualität - deutlich mehr Qualität, als wir sie in den ersten Jahren nach dem Aufstieg im Kader hatten. Da mussten wir uns was einfallen lassen, vor allem taktisch. Das hat Tuchel geschafft. Durch offensives Anlaufen, Gegenpressing und schnelles Umschalten gab er uns Hilfen an die Hand, mit denen wir den Gegnern gefährlich wurden. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein Trainer, der jeden einzelnen Spieler wirklich besser macht.
SPOX: Zusammen mit Co-Trainer Arno Michels legte er mitunter großen Wert auf Erkenntnisse aus der Gehirnforschung. Sie wollten die "Flexibilität im Kopf" schulen. Klang das für einige Spieler anfangs komplett abstrus?
Bungert: Es ist bewusst gar nicht an uns herangekommen. Es war nicht so, dass die Trainer sagten: 'So Jungs, heute geht's in die Hirnforschung.' Das ist alles unterbewusst passiert. Die neuen Muster wurden uns durch Spielformen nahegelegt und nicht nur durch theoretische Arbeitsgänge. Dennoch wurde es plötzlich sehr anspruchsvoll.
SPOX: Inwiefern?
Bungert: Sie haben sich Übungen ausgedacht, bei denen man handlungsschnell im Kopf sein musste und gefordert war, viel mitzudenken. Es gab unzählige Trainingsspiele, die vor allem mit gutem Denkvermögen zu tun hatten. Man musste stets hellwach sein. Das Gelernte konnten wir am Wochenende in unseren Bundesligaspielen umsetzen.
SPOX: Wird Tuchel damit auch beim BVB dauerhaften Erfolg haben?
Bungert: Ja, davon bin ich fest überzeugt. Er ist ein wahnsinnig guter Trainer. Als er bei uns angefangen hat, fand er eine Mannschaft vor, die gerade erst aus der zweiten Liga aufgestiegen war und die in Sachen Namen und Qualität weit von dem entfernt war, was ihm jetzt beim BVB zur Verfügung steht. Was er aus uns gemacht hat, ist beeindruckend. Es ist interessant zu sehen, wozu sein Team in der Lage ist, wenn die Spieler Aubameyang, Reus und Hummels heißen. Es würde mich nicht überraschen, wenn der BVB zukünftig immer nah an Bayern dran ist. Durch Tuchel wird es für Bayern womöglich auch mal wieder eng.
SPOX: Nach Tuchel übernahm beim FSV der eher zurückhaltende Kasper Hjulmand, jetzt hat mit Martin Schmidt wieder ein sehr energischer Trainer das Sagen. Passt das einfach besser zu Mainz?
Bungert: Ich denke schon. Wir profitieren alle davon, dass wieder Emotionen dabei sind. Gerade an Tagen, an denen die Form mal nicht stimmt, kann man durch Motivation viel wettmachen. Leidenschaft ist die Grundlage, um erfolgreich Fußball zu spielen.
SPOX: Vor ein paar Jahren haben Sie mal gesagt, Thomas Tuchel habe Sie unter anderem mehr Ruhe am Ball gelehrt. Welche Entwicklungsschritte haben Sie persönlich denn unter Schmidt genommen?
Bungert: Die Ruhe war nur einer von vielen Aspekten, in denen ich unter Tuchel besser geworden bin. Vorher war ich ein biederer Zweitligaspieler. Er hat viel mehr aus mir gemacht, als ich es mir je hätte vorstellen können. Es ist aber ein Unterschied, ob man 22 und noch sehr entwicklungsfähig ist oder mittlerweile 29 Jahre alt. Es geht für mich nun um andere Dinge. Trotzdem befinden wir uns auch unter Martin Schmidt vor allem mannschaftstaktisch noch in einem Prozess. Wir lernen Woche für Woche.
SPOX: Schmidt erklärte, er wolle nicht die absolute Autorität sein, sondern ein Chef, der nah an den Spielern dran und sozusagen einer von ihnen ist. Wie äußert sich das im täglichen Umgang?
Bungert: Die Mischung macht's. Natürlich gibt es Momente, in denen Konzentration angesagt ist und er uns auffordert, mit dem Kopf voll dabei zu sein. Auf der anderen Seite gibt es auch Einheiten, die Spaß bereiten und locker machen sollen. Dann wird auch viel gelacht, vor allem, wenn er uns bei einigen Entscheidungen mitwirken lässt. Er horcht viel in die Mannschaft hinein, um auf die Bedürfnisse und Stimmungen der Einzelnen einzugehen. Vor Abendspielen fragt er uns beispielsweise nach unserer Meinung, ob wir gemeinsam mit der Mannschaft im Hotel oder lieber zuhause bei der Familie übernachten.
SPOX: Eines seiner Lieblingswörter ist offensichtlich Galligkeit. Warum tat sich die Mannschaft in einigen Spielen aber schwer, diese auf den Platz zu bringen?
Bungert: Es kommt oft auf den Gegner und die Entwicklung eines Spiels an. Gegen Bremen war es zum Beispiel sehr schwer, gallig zu sein, weil sie mit elf Mann tief in der eigenen Hälfte standen und wir viel den Ball hatten. Wir kamen überhaupt nicht in defensive Zweikämpfe, weil es so gut wie keine gab. Man hat gesehen, dass in Phasen, in denen es mal nicht so gut läuft und das Selbstbewusstsein nicht das Beste ist, uns ein Gegner wie Wolfsburg einfach gut tut. So können wir uns wieder darauf konzentrieren, gegen einzelne Gegenspieler in den Zweikämpfen reinzuhacken und aus einer sicheren Defensive heraus Akzente zu setzen.
SPOX: Dennoch kann es nicht das Ziel sein, nur gegen mitspielende Gegner erfolgreich zu sein.
Bungert: Das stimmt. Wir müssen uns auch gegen andere Mannschaften wieder etwas einfallen lassen. Es spricht ja auch für uns und das, was wir in den letzten Jahren geleistet haben: dass Teams gegen uns sehr defensiv spielen. Das ist eine Herausforderung und wir hoffen, dass wir wieder dahin kommen, dauerhaft bessere Spiele abzuliefern.
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SPOX: Hat sich das Team mittlerweile gefunden, nachdem im Sommer mit Shinji Okazaki und Johannes Geis wieder zwei wichtige Leistungsträger gewechselt sind?
Bungert: Total. Im ersten Moment ist es zwar immer bitter - gerade wenn uns Spieler verlassen, die eine richtig starke Saison gespielt haben. Die Erfahrung zeigt aber, dass wir es immer hinbekommen haben. Das sagt viel über unseren Verein aus, in dem man sich wohlfühlen und entwickeln kann. Man hat schließlich gesehen, dass die Leistungen vieler Spieler in Mainz besser waren als anschließend in den neuen Vereinen. Es ist das Mainzer Umfeld, welches die Spieler besser werden lässt. Somit ist es vergleichsweise leicht, Neuzugänge wieder zu neuen Leistungsträgern zu machen.
SPOX: Sehen mittlerweile dennoch viele Spieler zu hastig nur das große Geld?
Bungert: Chancen muss man als junger Spieler ergreifen. Zum einen, weil es sportlich noch einen großen Schritt nach vorne gehen kann, zum anderen muss man im Fußball natürlich auch das Finanzielle sehen. Wenn jemand einen Vierjahres-Vertrag eines großen Klubs vor Augen hat, kann man keinem übel nehmen, wenn er diese Chance sportlich und wirtschaftlich nutzen möchte. Es gibt viele Beispiele in beide Richtungen. Einem Andre Schürrle kann man nicht nachsagen, mit seinem Wechsel etwas falsch gemacht zu haben. Er hätte definitiv etwas verpasst, wenn er den Weg nicht eingeschlagen hätte. Auf der anderen Seite gibt es im Business Fußball sicher auch Spieler, denen es egal ist, wo sie spielen, solange die wirtschaftlichen Bedingungen stimmen.
SPOX: Sie selbst sagten, nicht in den englischen Fußball zu passen. Meinten Sie das charakterlich oder auf Ihre Spielweise bezogen?
Bungert: (lacht) Ich gewinne zwar viele Zweikämpfe, stehe mit meinem körperlichen Erscheinungsbild aber nicht für den klassischen Prototypen des Innenverteidigers, von denen es in England einige gibt. Es wäre sicher interessant, mal ein Jahr in England zu spielen, in der Bundesliga tue ich mich aber wohl leichter.
SPOX: Ein Grund, weshalb Abgänge nie groß ins Gewicht fielen, ist Christian Heidel. Im kommenden Sommer droht sein Abgang. Wie sehr trifft die Thematik auch das Team?
Bungert: Im Moment überhaupt nicht, da es uns in der täglichen Arbeit nicht tangiert. Natürlich wissen wir, was wir an unserem Manager haben und was er geleistet hat. Es ist sicher nicht das erste Mal, dass sich ein anderer Verein für Christian Heidel interessiert. Dieses Mal ist es eben an die Öffentlichkeit geraten. Im Moment ist er unser Manager und wir gehen davon aus, dass er es auch weiterhin sein wird.
SPOX: Heidel steht für Mainz 05 und umgekehrt. Er erlebte beide Bundesliga-Aufstiege mit, förderte unter anderem Jürgen Klopp und Thomas Tuchel und ist der dienstälteste Manager der Liga. Stellt es für den FSV eine große Gefahr dar, wenn er geht?
Bungert: Wenn es irgendwann einmal dazu kommt, muss natürlich vorgearbeitet werden, um das Ganze aufzufangen. Es wird aber nur unter der Bedingung passieren, dass die Nachfolge geregelt ist. Das versichert er auch immer wieder. Der Aussage vertrauen wir. Christian Heidel wird seine Entscheidung nur mit einem guten Gefühl für den Verein fällen.
SPOX: Ihre eigene Zukunft ist auch noch nicht geklärt. Sie haben nur einen Vertrag bis 2016. Wie ist der aktuelle Stand?
Bungert: In den nächsten Monaten wird es eine Entscheidung geben. Die Tendenz ist klar, beide Seiten sind sehr zufrieden. Ich spiele nicht umsonst bereits in der achten Saison in Mainz.
SPOX: Baumgartlinger, Malli, Karius: Zuletzt haben wichtige Leistungsträger beim FSV verlängert. Julian Baumgartlinger sagte im SPOX-Interview, dass es den FSV als Underdog in der Liga nicht mehr gebe. Merken Sie selbst auch, wie sich das Selbstverständnis in der Mannschaft geändert hat?
Bungert: Man merkt vor allem, wie sich unser äußeres Erscheinungsbild verändert hat und die Konkurrenz uns wahrnimmt. Das spricht für die Arbeit, die hier in den letzten Jahren geleistet wurde. Dennoch muss jedem klar sein, dass es eine absolute Ausnahme ist, wenn ein Verein mit unseren finanziellen Mitteln regelmäßig einstellige Tabellenplätze einfährt. Die Leistungen der letzten Jahre waren außergewöhnlich, bedeuten jedoch nicht, dass wir in Zukunft davor geschützt sind, auch mal eine schwächere Phase durchzumachen.
SPOX: Muss man also auch in Mainz aufpassen, dass der Anspruch auf den Rängen nicht zu hoch wird?
Bungert: Ein Teil unseres Umfelds ist mittlerweile deutlich schwerer zufriedenzustellen. Es wird beispielsweise erwartet, dass wir Augsburg auswärts weghauen, weil sie Tabellenletzter sind. Diese Erwartungshaltung ist in meinen Augen gefährlich und bringt Unruhe. Man gewöhnt sich fast daran, dass wir vor dem HSV oder Stuttgart stehen, jedoch dürfen wir uns nicht größer machen als wir sind. Auf Dauer haben diese Vereine mehr Geld und ganz andere Möglichkeiten. Mainz steht dafür, bodenständig zu sein. Ich finde es voll in Ordnung, lieber tiefzustapeln als plötzlich große Ziele auszugeben. Kaiserslautern, Freiburg, Hertha, Gladbach, Hoffenheim oder der HSV haben in den letzten Jahren Abstiege oder zumindest Relegationsspiele erlebt, mit einem gleichen beziehungsweise deutlich höheren Etat. Es gibt keine Garantie dafür, dass uns so etwas nicht auch passieren kann.
SPOX: Immerhin haben Sie gegen Wolfsburg zuletzt mal wieder zu Null gespielt. Von SPOX wurden Sie mit einer 2,5 benotet. Welche Bewertung hätten Sie sich denn selbst ausgestellt?
Bungert: Damit kann ich in jedem Fall leben. Wir haben zwar gut gespielt, durch die Rote Karte gegen Draxler ist ein Teil der Wolfsburger Offensivkraft jedoch weggefallen. Somit war auch die ganz große Belastung für unsere Abwehr nicht gegeben. Es ist aber unglaublich schwer, eine Bewertung in Zahlen auszudrücken. Das zeigt schon die Tatsache, dass man in der einen Zeitschrift mal eine 4,5 erhält und in der anderen für dasselbe Spiel eine 2,5. Das kann schon sehr amüsant sein, vor allem in unserer Comunio-Liga.
SPOX: Spielen Sie selbst auch?
Bungert: Natürlich. (lacht)
SPOX: Dann werden Sie sich sicherlich für Ihr eigenes Team verpflichtet haben.
Bungert: Nein, ich habe nicht genug geboten. (lacht) Leider hat mich ein anderer geangelt, sodass ich meine eigenen Punkte nicht beeinflussen kann, was aber vielleicht gar nicht so schlecht ist.
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Niko Bungert im Steckbrief