"RBL? Erschrocken über Äußerungen"

Oliver Mehring
29. Juli 201619:28
Beim VfL Bochum feierte Torsten Kracht seine größten Erfolgegetty
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Torsten Kracht ist ein Stück Leipziger Fußball-Geschichte. Bevor der Verteidiger beim VfB Stuttgart, dem VfL Bochum, Eintracht Frankfurt und dem Karlsruher SC aktiv war, spielte der heute 48-Jährige für Lokomotive Leipzig und dessen Nachfolgeverein VfB. Im Interview spricht Kracht über das Projekt RB Leipzig, aktuelle Pläne eines Stadionneubaus, den Niedergang des 'alten Leipzig' und das legendäre 'Regenbogen'-Trikot des VfL.

SPOX: Herr Kracht, Sie sind mir früher nicht nur durch Ihr konsequentes Spiel aufgefallen, auch wegen Ihrer Lockenpracht hat man Sie immer leicht auf dem Platz erkennen können, wann kam die denn jetzt final ab?

Torsten Kracht: (lacht) Also ich mag meine Eltern total, aber was die mit meinen Haaren angestellt haben... Das war in den 80er-Jahre auch kein Problem, schließlich war so eine Frisur in Zeiten der Dauerwelle total angesagt, nur habe ich erst ziemlich spät begriffen, dass die Locken tatsächlich verschwinden, wenn man die Haare ganz kurz schneidet. Auf den Trichter bin ich dann zu meinem Karriereende gekommen.

SPOX: Die etwas seriösere Erscheinung passt nun auch zu Ihrer Tätigkeit. Sie sind mittlerweile als Immobilieninvestor tätig, war dieser Weg bereits während der Fußballkarriere abzusehen?

Kracht: Nein, eigentlich überhaupt nicht. Ich habe mich schon immer für Betriebswirtschaft und Finanzen interessiert, dazu hatte ich ein Faible für historische Gebäude. Am Ende war es reiner Zufall. Ich hätte mir auch vorstellen können, dem Fußball treu zu bleiben und damit weiterhin dieses Lotterleben zu führen, bei dem man jederzeit bereit sein muss, die Stadt zu wechseln. Dann ergab sich diese Chance in meiner Heimatstadt Leipzig und ich habe sehr schnell Gefallen daran gefunden.

SPOX: Ihr Unternehmen saniert hauptsächlich alte Bausubstanz. Überträgt man dieses Vorgehen auf den Fußball, stellt sich die Frage, wie Sie das Projekt von Red Bull bewerten, das ohne traditionelle Strukturen aus dem Boden gestampft wurde?

Kracht: Ich bin auch ein Freund von Neubauten. (lacht) Man muss realistisch bleiben. Du kannst heutzutage nur noch mit einer langfristigen Strategie und engagierten Partnern im Fußball erfolgreich sein. Auch ich bin traurig, wenn Traditionsvereine in der Versenkung verschwinden, aber RB begeistert die Leute. Jede Stadt, jeder Verein, der eine solche Chance bekommen hätte, wäre froh gewesen. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Heuchler. Ich bin manchmal richtig erschrocken, wie sich ehemalige Kollegen, die ich eigentlich sehr schätze und die heute für große Vereine tätig sind, zu RB äußern. Zum Beispiel hat das Westfalenstadion inzwischen auch einen neuen Namen, dazu veräußern Vereine ihre Anteile, holen große Unternehmen ins Boot. Ich muss wirklich schmunzeln, wenn irgendwelche Fans zum Boykott aufrufen, obwohl deren Verein ebenso versucht, finanzielle Kanäle zu öffnen.

SPOXspoxSPOX: Aber auf welche Gedanken können Sie dieses Verhalten zurückführen?

Kracht: Vielleicht ist das Neid oder Missgunst, genau kann ich das nicht sagen. Man sollte grundsätzlich froh sein, wenn der Fußball neue Partner gewinnt, noch dazu in einer Stadt wie Leipzig, die absolut fußballbegeistert ist. Das Stadion wird in der 1. Bundesliga voll sein, der Nachwuchs in der Region profitiert davon. Wenn dann jemand mit dem Argument 'Talenteklau' kommen will, dann frage ich mich, was die letzten 25 Jahre im Osten geschehen ist. Da sind zahlreiche Talente in den Westen abgewandert. Kritik ist absolut berechtigt und es wurden auch Fehler gemacht. Insgesamt muss man aber festhalten, dass dieses Projekt für die Region eine super Sache ist.

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SPOX: Bei welchem Thema es auch unter RB-Fans große Diskussionen gibt, ist die Debatte über einen Stadionneubau. Ist dieser Gedanke ein logischer Schritt?

Kracht: Sicherlich, so viel Weitsicht muss jeder professionelle Verein mitbringen, auch wenn dieser Schritt Stand jetzt noch nicht notwendig ist. Ich persönlich fände es ein bisschen schade. Das Stadion hat Geschichte, liegt mitten in der Stadt. Dazu bin ich kein großer Fan von diesen Ufos irgendwo auf der Wiese, selbst wenn das dem Verkehrsfluss in der Stadt helfen mag. Im Moment reicht das Stadion allemal aus und versprüht durch seine Lage eine ganz besondere Atmosphäre.

SPOX: RB auf dem Vormarsch, das Zentralstadion vielleicht bald Geschichte. Blutet ihnen als langjähriger Lokomotive-Leipzig-Spieler nicht trotzdem ein wenig das Herz, wie weit der 'alte' Leipziger Fußball in den Hintergrund rückt?

Kracht: Überhaupt nicht! Ich finde es wirklich toll, was Heiko Scholz zum Beispiel bei Lok macht und wie sich das entwickelt. Trotzdem gibt es zu viele Dinge, die ich nicht gutheißen kann und die eine vernünftige Entwicklung des Vereins hemmen. Natürlich ist es traurig, wenn ein solcher Verein nicht mehr auf der größten Bühne spielt, aber Tradition kann nicht mehr das einzige Argument sein, wenn man rechts und links von anderen Vereinen überholt wird. Man muss auch ein bisschen mit der Zeit gehen. Ich würde mir wünschen, dass Lok stabil auf einem vernünftigen Niveau spielen kann. Dabei ist aber gleichzeitig die Bereitschaft der Fans gefragt, eine professionelle Marschrichtung mitzugehen.

SPOX: Wie ist das bei Ihnen im Freundes- und Familienkreis? Da sind doch sicher auch Lok- oder Chemie-Fans - wie spricht man da über RB Leipzig?

Kracht: Das ist ganz unterschiedlich. Mein ältester Sohn ist großer Lok-Fan, geht auch auf Auswärtsfahrten und hat gerade erst den Aufstieg bejubelt. Für ihn gibt es nur Lok. Chemie ist noch mal eine Sache für sich, weil sich das Lager auf zwei Vereine verteilt. Es ist dennoch überall das Gleiche: Du kannst dich nicht über die finanziellen Mittel anderer beschweren, wenn du selbst eine solche Entwicklung nicht mitgehen willst. So gibt es eben auch genügend Leute, die erkennen, dass Profifußball ohne finanzielle Mittel nicht möglich ist. Es gibt einige Bekannte, die zweigleisig fahren, auch wenn man darüber kaum offen spricht.

SPOX: Sie selbst haben noch versucht, Lok im Jahr 2004 eine neue Richtung zu geben und wurden irgendwann als Notvorstand eingesetzt. Was für eine Situation haben Sie damals vorgefunden?

Kracht: Da wurde ich ein bisschen ins kalte Wasser geworfen. Ich bin damals noch als Spieler bewusst zu meinem Ex-Verein gewechselt, weil ich an einen neuen Weg geglaubt und diesem Verein viel zu verdanken habe. Also sollte ich zunächst als Spieler und anschließend in einer Management-Funktion etwas aufbauen. Das Konzept war da, ebenso wie eine vielversprechende Mannschaft. Doch wie tief der Verein tatsächlich in den Schulden stecke, darüber wurde ich lange Zeit im Unklaren gelassen. Bis ich dann zum Notvorstand berufen wurde, weil so angeblich wieder Geld hätte da sein sollen. Also hab ich mich zum Teil 16 Stunden am Tag reingekniet. Jedoch kann es grundsätzlich nicht sein, dass dann in den Sitzungen Entscheidungen bei zwei, drei Bier gefällt werden - so funktioniert das heutzutage nicht mehr. Am Ende ist es vor allem den Fans zu verdanken, dass der Verein bis heute weiterlebt.

SPOX: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Engagement von Mario Basler, der bei Lok eine Funktion als Sportvorstand inne hatte?
Kracht: Ich finde Mario ganz lustig mit seinen Kommentaren und seinem Auftreten, aber das ist ja das, was ich sage: Es hilft vielleicht, bekannte Namen vor den Karren zu spannen, aber langfristig überzeugt nur ein Konzept mit engagierten Partnern an der Seite. Mit Heiko Scholz ist eine Person da, die sich für diesen Verein täglich reinhängt und mit dem Regionalliga-Aufstieg seine Qualitäten bewiesen hat. Das alleine reicht aber nicht aus. Auch Drumherum muss viel passieren, um sich auf diesem Niveau zu etablieren.

SPOX: Sie gehörten zu den letzten Spielern, die ein Länderspiel für die DDR bestritten haben. Im Nachhinein kritisierte der damalige Nationalcoach Ede Geyer, dass einige Spieler unter fadenscheinigen Gründen der Partie fernblieben, um mit Westvereinen zu verhandeln. Sie dagegen spielten. Gab es für Sie keine Angebote?

Kracht: Natürlich, aber das war eine Situation, die kann man gar nicht beschreiben. Hinter jeder Ecke gab es nach der Wiedervereinigung irgendwelche Leute, die sich als Spielerberater ausgaben. Das war eine verrückte Zeit. Ich selbst habe es als meine Pflicht gesehen, dieses letzte Spiel zu bestreiten, verfalle jetzt aber auch nicht in missmutige Nostalgie. Ich bewerte die Situation alleine unter den Umständen der Wiedervereinigung. Das war das Wichtigste zu diesem Zeitpunkt. Da musste sich jeder neu orientieren.

SPOX: Trotzdem gab es während Ihrer Zeit in Frankfurt einen netten Satz der Marketing-Abteilung: "Die einen werden als Abzocker, Heulsusen oder Arbeitsverweigerer geboren, andere kommen als Torsten Kracht zur Welt" - haben Sie sich auch so gesehen?

Kracht: Irgendwie schon. (lacht) Das war Gott sei Dank zu einer Zeit, in der wir recht erfolgreich waren. Wenig später gab es für Horst Heldt ein Plakat mit der Aufschrift: "Jede Mannschaft braucht ihren Heldt". Nur hatten wir zu dieser Zeit einige Spiele verloren. Das kam dann nicht ganz so gut an. Ich selbst wollte immer meinen Job machen, mich nicht verstellen und habe auch in Interviews kein Blatt vor den Mund genommen. Das fehlt mir heutzutage. Ich freue mich richtig über ehrliche Ansagen, wie beispielsweise das "Eistonnen-Interview" von Per Mertesacker. Auch Gegenwind darf einen dann nicht gleich verschrecken. Wenn ein Spieler etwa ein Angebot annimmt, weil es finanziell deutlich attraktiver ist, sollte er das auch so kommunizieren. Es ist ja nicht so, als könnte die Öffentlichkeit das nicht nachvollziehen. In der freien Wirtschaft ist das schließlich auch ein völlig normaler Schritt.

SPOX: Ihren größten sportlichen Erfolg hatten Sie in Bochum, spielten sogar im UEFA-Cup. Selbst mit Spielern wie Dariusz Wosz oder Tomasz Waldoch ein unfassbarer Erfolg.

Kracht: Das lag vor allem an Klaus Topmöller. Ich hatte mich schon vor dem Bochum-Abstieg für den VfL entschieden, hätte dann sogar zu einem anderen Verein gehen können, wollte aber zu meinem Wort stehen und war von der Idee des Fußballs ohnehin total fasziniert. Toppmöller hat dann wirklich eine Kultur-Revolution beim VfL durchgesetzt. Wir waren eine der ersten Mannschaften in Deutschland, die mit Viererkette gespielt hat. Wir kamen hauptsächlich über Kurzpassspiel und waren bei den Passstatistiken sicherlich ganz vorne mit dabei. Uns wurden lange Bälle fast komplett verboten. Dann hatte Toppmöller noch das perfekte Händchen bei der Zusammenstellung der Mannschaft. Das war eine Truppe, die man so sicherlich nur selten vorfindet.

SPOX: Diese Zeit wird vielen Fußball-Fans aber nicht nur wegen dem Fußball in Erinnerung bleiben. Wie haben Ihnen eigentlich die damaligen "Regenbogen"-Trikots gefallen?

Kracht: Das war noch so ein Highlight! (lacht) Die Werbung, die auf die Brust geflockt war, war hart wie ein Brett. Wenn man da versucht hat, den Ball zu stoppen, flog der gerne noch mal fünf Meter weiter. Ansonsten war das Trikot sicherlich eine der größten Geschmacksverirrungen, die es jemals gegeben hat. Die Aufmerksamkeit war uns sicher, nur wir Spieler waren von diesem Outfit nicht wirklich begeistert.

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