Rouven Schröder war über zehn Jahre lang Fußballprofi und arbeitet seit 2009 als Funktionär, unter anderem für Greuther Fürth und Werder Bremen. Seit drei Jahren ist der 43-Jährige Sportvorstand beim 1. FSV Mainz 05 - und kennt die Besonderheiten des Transfermarkts in- und auswendig.
Im Interview mit SPOX und Goal gibt Schröder Einblicke in das Gebaren auf dem Transfermarkt, in die Welt der Berater und zeigt am Beispiel von Edimilson Fernandes, mit einer Ablösesumme von 7,5 Millionen Euro zweitteuerster Neuzugang der Mainzer Historie, den Ablauf eines Transfers auf.
Zudem erklärt Schröder, warum er das Wort Klassenerhalt doof findet und wie es nach den Gerüchten um seine Zukunft beim FSV bestellt ist.
Herr Schröder, wenn sich die Transferfenster öffnen, hört man häufig, dass der Markt noch keinen Schwung aufgenommen habe und alles noch sehr ruhig sei. Woran merkt man denn genau, dass der Transfermarkt Schwung aufnimmt?
Rouven Schröder: Zunächst holt man ja das ganze Jahr über Vorerkundigungen zu Spielern ein. Schwung aufnehmen bedeutet dann, dass alles konkreter wird und man in schriftliche Verhandlungen tritt. Gewisse Märkte dienen dabei als Auslöser. Schon ein einziger Transfer löst immer etwas aus, dadurch gehen sofort andere Türen auf. Meistens passiert das natürlich in England, wo unfassbar viel Geld im Spiel ist. Die Engländer geben dem abgebenden Verein dann neue Mittel in die Hand, dort wird ein Kaderplatz frei, für den braucht man wieder Ersatz und so dreht sich das Rad allmählich immer schneller.
Wie funktioniert denn der englische Markt: Hat man dort mehr Zeit als anderswo, weil man eben das viele Geld besitzt und deshalb auch noch kurzfristig zuschlagen kann?
Schröder: Dort läuft es einfach anders und meist alles in einem komprimierten Zeitfenster von drei Wochen ab. Währenddessen überfluten die Engländer regelrecht den Markt und gehen sehr aktiv zu Werke. Sie orientieren sich an gar keinem. Das sind reine Käuferligen geworden, dort versteht man sich nicht als Support für andere. Deshalb sagen sie ganz entspannt von sich aus: Wir haben bis zu unserem Transferschluss am 8. August Zeit. Dass das Fenster in den anderen Top-Ligen länger geöffnet ist, liegt daran, dass sich niemand selbst beschneiden möchte. Stattdessen weiß man: Bis zum 8. August kannst du die Engländer einplanen. Im Idealfall spülen sie dir Geld in die Kassen, mit dem du dann noch drei Wochen arbeiten kannst.
spoxIst das eine komfortable Situation oder nicht?
Schröder: Doch, ist es. Ich verliere einen Spieler ja lieber am 7. August, was auch bitter ist, als am 28. August. Früher war es noch so, da sind die Engländer am 27. oder 28. August angekommen und haben sich gewundert, wenn der angefragte Spieler teurer geworden ist oder ihn der Verein kurz vor Schließung des Transferfensters nicht mehr abzugeben bereit war.
Zuletzt wurde häufiger ein Domino-Effekt beschworen. Es muss also nicht zwingend ein Stein in einem der ganz hohen Spieler-Regale fallen, damit dieser Effekt in Kraft tritt?
Schröder: Nein. Jeder hat in seinem Bereich zu kämpfen. Wir messen uns mit Konkurrenten wie beispielsweise Augsburg oder Freiburg, die sich im selben Regal wie wir bewegen. Oftmals ist es auch so, dass Vereine, die über uns stehen, in ihrem Regal Probleme haben und sich dann eine Etage tiefer in Richtung unseres Regals orientieren. Wenn die dann mit dem internationalen Wettbewerb und einem höheren Gehaltsbudget werben können, wird es für uns wieder schwieriger.
Welche grundsätzlichen Veränderungen auf dem Transfermarkt haben Sie im Laufe der Zeit bemerkt?
Schröder: In erster Linie nur die Transfersummen. Das sind letztlich aber auch nur Zahlen, wenngleich mit einer aufgrund der Höhe nun etwas veränderten Verantwortung. Das Verhandeln hat sich in meinen Augen nicht verändert und ist immer individuell verschieden. Mit dem einen hat man einen sehr guten Draht oder kann ein bisschen besser, beim anderen weiß man, wie er verhandelt und manchmal ist wiederum klar, dass man erst noch 17 Runden drehen muss, um zum Ziel zu kommen.
Ist es sozusagen handwerklich schwerer geworden, Spieler zu kaufen oder zu verkaufen?
Schröder: Auch das ist unterschiedlich. Jeder Verein hat sein Muster, wie er verhandelt und welche Vertragsinhalte und -konstrukte er gerne hat. Der eine hat ein paar Klauseln mehr mit drin, der andere legt mehr Wert auf Fixsummen und bei manchen ist es total verklausuliert mit Fixsummen, Provision, Bonus, Weiterverkaufsanteil und so weiter. Es kommt auch hier darauf an, wer dir gegenübersitzt: Ist das ein alter Bekannter oder wie beispielsweise in Frankreich häufig der Präsident, den man vielleicht gar nicht gut kennt?
Mit wie vielen Beratern telefonieren Sie denn täglich?
Schröder: Mit sehr vielen. Man kann gar nicht alle Telefonate führen, das können Ihnen wahrscheinlich alle Manager der Branche bestätigen. Man muss gewisse Prioritäten setzen und abschätzen, wie zielführend ein Telefonat sein kann, weil man einfach nicht jeden beglücken und jeder Sache nachgehen kann. Ich kann mich hier im Team auf drei enge Mitarbeiter und mein Scoutingteam verlassen, die mir in dieser Hinsicht viel abnehmen und auch totale Verschwiegenheit an den Tag legen, denn das ist das Nonplusultra auf diesem Gebiet.
Rouven Schröder: "Den Spieler hatte doch ich dir angeboten"
Wie kann man sich überhaupt sicher sein, dass der Berater auch derjenige ist, der für den Spieler spricht?
Schröder: Das ist in der Tat eine neuartige Entwicklung, teilweise eine echte Katastrophe und ein potenzieller Deal-Breaker. Oft können die Spieler gar nichts dafür. Es kann dann auch mal ein nervöser Elternteil sein, der irgendwelchen Leuten Mandate für den Sohn erteilt. Und die rufen dann bei einem an. Das macht Recherchearbeit nötig, wer nun wirklich der richtige Berater ist und erschwert dadurch den Weg zu einem potenziellen Transfer.
Wann hatten Sie diese Situation zuletzt?
Schröder: Bei Moussa Niakhate war es anfangs etwas unübersichtlich. Damals haben mich sehr viele vermeintliche Berater für diesen Spieler angerufen und ich erhielt unzählige WhatsApp-Nachrichten. Im Endeffekt war sein Ansprechpartner dann ein etwas unbekannter französischer Berater, der aber total strukturiert und inhaltlich top professionell war. Als wir mit ihm den Vertrag besiegelten, ging es dennoch wieder mit den Nachrichten los. Da hieß es dann: Nur zur Info, den Spieler hatte doch ich dir angeboten. Das kann teils wirklich ein konfuser Dschungel für uns sein, der einen bei der Arbeit behindert.
Gibt es kulturelle Unterschiede? Inwiefern ist es zum Beispiel anders, mit einem französischen oder einem skandinavischen Klub zu verhandeln?
Schröder: Die gibt es nicht, da es immer typbedingt ist und auf den jeweiligen Charakter des Gegenübers ankommt. Gerade im Ausland oder auf unbekanntem Terrain braucht man ein gutes Beraterteam, das die dortigen Strukturen genau kennt. Es ist immer eine hohe Sensibilität gefragt. Ich muss ja wissen: Wer ist der Entscheider, wann ist er erreichbar und aufnahmebereit? Ist das einer, der in Verhandlungen zunächst auf die Pauke haut und erst im zweiten Gespräch seine Forderungen geraderückt oder ist es einer, der total direkt ist und früh abblockt? Das sind alles wichtige Informationen.
Würden Sie sagen, dass in manchen Ländern die Vereine weniger akribisch die sportliche und wirtschaftliche Komponente eines Transfers abwägen, bevor sie einen Spieler kaufen?
Schröder: Ja, das glaube ich schon. In Deutschland geht man strukturierter vor und lässt einen Deal auch mal platzen, bevor man sich mit einem Spielersalär außerhalb des bisherigen Gehaltsrahmens das ganze Konstrukt zerschießt. Sonst hast du am Ende nur Stress in der Kabine. Im Ausland schaut man da auch mal weg und denkt sich eher: Das machen wir jetzt einfach mal, Hauptsache wir haben den Spieler. Da macht man sich punktuell weniger Gedanken um das mögliche Ausmaß.
Für 7,5 Millionen Euro hat Mainz Edimilson Fernandes von West Ham United verpflichtet - er ist der zweitteuerste Neuzugang der Vereinsgeschichte. Erklären Sie doch bitte mal anhand dieses Transfers den genauen Ablauf. Wann fand die erste Kontaktaufnahme statt?
Schröder: Mit seinem Management stehen wir eigentlich regelmäßig in Kontakt, weil wir auch mal an anderen Spielern aus deren Portfolio dran waren. Vor drei Jahren ging es dann das erste Mal um Edimilson. Ich kannte ihn schon früher aus den Schweizer U-Nationalmannschaften, habe ihn im Hinterkopf behalten und seinen Weg weiter verfolgt. Wir bekamen dann regelmäßig Scoutingreports über ihn. Da war er früh schon sehr gut gerankt, so dass dann auch Klubs aus der Premier League und Serie A in die Verlosung kamen.
Und man denkt sich: Schöne Scheiße?
Schröder: So in etwa. (lacht) In dem Moment weiß man dann halt, dass es erst einmal nichts wird. Die Spur verliert sich aber dennoch nicht. Man bleibt mit dem Management in Kontakt, damit sie an einen denken, sollte der Spieler später einmal sozusagen auf dem zweiten Bildungsweg verfügbar sein.
Dann ist er aber noch lange nicht Spieler von Mainz.
Schröder: Die Abläufe im Vorfeld eines Transfers können extrem komplex sein. Edimilson hat bei seiner Leihe nach Florenz fast 30 Spiele gemacht. Da scheint der Zugang zum Spieler schwer, trotzdem muss man nachfragen, wie West Ham mit ihm plant. Es ist dann auch eine Frage des Zeitpunkts und man braucht etwas Glück, um just in dem Moment anzurufen, in dem man als interessierter Klub tatsächlich auch eine Option darstellt. Wenn das der Fall ist, musst du in die Bütt, musst dich mit dem Spieler treffen, sein Management ansprechen, das mögliche Gehalt abstecken - da musst du kurbeln, kurbeln, kurbeln.
Wie viele Menschen waren bei diesem Transfer letztlich involviert?
Schröder: Nur sein eigener Berater und der technische Direktor von West Ham in Absprache mit seinem Board. Das ist aber selten, gerade bei einem Deal mit einem englischen Klub.
Ab wann saß der Spieler dann auch mal vor Ihnen?
Schröder: Rund fünf Tage nach der ersten Kontaktaufnahme, an dem Tag fand auch das Gespräch mit Cheftrainer Sandro Schwarz statt. Es musste auch schnell gehen, da er nach dem Saisonende noch in der Nations League auflief. Wenn wir einen Spieler als interessant einstufen, dann wollen wir ihn auch baldmöglichst zu uns nach Mainz holen, um ihm das Stadion und die Trainingsmöglichkeiten zu zeigen. Er soll das Gefühl bekommen, dass wir ihn unbedingt wollen.
Abdou Diallo, Jean-Philippe Gbamin, Jean-Philippe Mateta, Pierre Kunde oder Niakhate - Mainz hat unter Ihnen zuletzt verstärkt auf dem französischen Markt zugeschlagen. Wieso ist es einfacher, einen 20-Jährigen vom Tabellenzwölften der Ligue 1 zu verpflichten als einen 20-jährigen Deutschen aus der Bundesliga?
Schröder: Weil es schlicht ein anderes Gehaltsniveau ist. Die deutschen Jungs in diesem Alter haben sehr, sehr viele Alternativen zur Auswahl. Als Mainz 05 stehen wir da in der Bundesliga eher am Ende der Nahrungskette, oftmals haben wir keinerlei Chance. Natürlich entscheidet auch der Spieler, welchen Weg er gehen möchte. Sieht er seine Einsatzchancen bei höherrangigen Klubs kritischer als in Mainz? Und wie schätzt das sein Management ein?
Unabhängig von bevorzugten Märkten im Transfergeschäft hat sich Mainz 05 in den letzten Jahren stetig weiterentwickelt. Man geht mittlerweile in die elfte Bundesligasaison, die Vereinsstrukturen sind stark gewachsen. Wird man aber jemals davon wegkommen können, sich zunächst über den Klassenerhalt zu definieren?
Schröder: Es muss einfach nach und nach wachsen. Wir brauchen keinen Slogan, nur um zu zeigen, dass wir jetzt selbstbewusster sind. Wir müssen Jahr für Jahr abliefern und dann daraus unsere Stärke ziehen. Ich finde, wir haben durch unsere Leistungen in den vergangenen Jahren deutlich an Selbstbewusstsein gewonnen. Es ist das höchste Gut und bereits ein signifikanter Schritt, wenn du wie wir mittlerweile vor jedem Bundesligaspiel mit voller Überzeugung sagen kannst: Wir wollen dieses Spiel auch gewinnen.
Muss der Klassenerhalt aber in den kommenden Jahren eine Selbstverständlichkeit für Mainz 05 sein?
Schröder: Es ist nichts Schlimmes, wenn wir sagen, dass der Klassenerhalt das erste Etappenziel ist. Diese Arroganz dürfen wir nie haben. Klassenerhalt ist einfach auch ein doofes Wort. Das hört sich so an, als würde man gerade so die Klasse halten. Die Überschrift des Ganzen ist aber Bundesliga. Wir messen uns in der höchsten deutschen Spielklasse mit den besten Teams des Landes, wir haben halt nur nicht das größte Budget von allen. Wir können uns als Verein nur weiterentwickeln, wenn wir die Bundesliga halten. Erreichen wir dieses Etappenziel frühzeitig, ist das der nächste Schritt für uns - und dann können wir wie in der Vorsaison schauen, was wir noch im Tank haben. Langfristig gesehen müssen wir nebenbei zudem gut wirtschaften und schlaue Transferentscheidungen in beide Richtungen treffen, damit wir uns darüber im Gesamtbudget steigern.
Dass in Mainz gute Arbeit geleistet wird, sieht man nicht nur am elften Bundesligajahr in Folge, sondern auch an den Gerüchten, die sich beispielsweise um Sie ranken. Würde es Sie denn mal reizen, in erster Reihe bei einem Europacupteilnehmer zu arbeiten, der im Regelfall die Mehrzahl seiner Spiele gewinnt?
Schröder: Ich fühle mich sehr wohl in Mainz. Ich kann hier mit Vorstand und Aufsichtsrat Themen vorantreiben, eigene Ideen einbringen und umsetzen und arbeite sehr vertrauensvoll mit Sandro Schwarz zusammen. Ich lebe im Hier und Jetzt, habe einen Vertrag und bin ja hier. Ich gebe alles für diesen Verein und bin sehr ehrgeizig, um das Maximum zu erreichen. Dass man irgendwann mal, zu welcher Zeit auch immer, vielleicht den Verein verlässt, das kann ich doch nicht für alle Ewigkeiten ausschließen. Das Gefühl wird wie immer ganz klar entscheiden, wohin der eigene Weg letztlich gehen wird.
Was wäre, wenn Sie am Ende Ihrer Funktionärslaufbahn ohne Titelgewinn dastehen würden: Könnten Sie damit leben oder würde Ihnen dann etwas fehlen?
Schröder: Natürlich würde etwas fehlen. Am liebsten würde ich Pokalsieger mit Mainz 05 werden. Es ist doch logisch: Wir arbeiten hier alle jeden Tag hart, damit wir in erster Linie unsere Spiele gewinnen und am besten auch mal eine Trophäe in der Hand halten.