"Hoeneß wollte mich halten"

Adrian Fink
12. April 201609:09
Michael Tarnat war sportlicher Leiter der Nachwuchsarbeit der Bayernimago
Werbung

Michael Tarnat war fünf Jahre sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung des FC Bayern München, ehe er im Sommer 2015 von Heiko Vogel abgelöst wurde. Im Januar 2016 bat der 46-Jährige um seine Freistellung und ist seitdem vereinslos. Ein Gespräch über seine Zukunft, Uli Hoeneß und die Jugendarbeit des Rekordmeisters.

SPOX: Herr Tarnat, seit Januar dieses Jahres sind Sie nicht mehr bei den Bayern angestellt. In der entsprechenden Mitteilung hieß es, dass Sie um die Freistellung gebeten hätten. Warum?

Michael Tarnat: Der Verein und ich hatten verschiedene Auffassungen darüber, wie es weiter gehen sollte. Als ich das bemerkte, habe ich aufgehört. In meinen Augen war es die logische Konsequenz, den Weg für andere Leute frei zu machen.

SPOX: Welchen Plan hätten Sie gerne verfolgt?

Tarnat: Mein Team um Jürgen Jung stand dafür, weiterhin auf Spieler aus der Region zu setzen. Darüber hinaus wollten wir Spieler aus Deutschland holen, die die Mannschaften deutlich besser machen. Ich bin davon überzeugt, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Als ich begonnen habe, wurde die Nachwuchsarbeit mit einem Stern bewertet, mittlerweile sind es drei. Natürlich haben in den Jugendmannschaften die Titel gefehlt, aber mir ging es vielmehr um die Entwicklung der Jungs und da waren wir auf einem guten Weg. Die Nachwuchsspieler sollten so ausgewählt werden, dass sie den Sprung in den Profibereich schaffen können.

SPOX: Im Zuge der jüngsten Umstrukturierung wurde Heiko Vogel zu Beginn der Saison 2015/16 als sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung installiert. In der Folge waren Sie 'nur' noch für die U16 abwärts zuständig. Hat das eine Rolle bei Ihrer Entscheidung gespielt?

Tarnat: Ich hatte damit keine Probleme. Aber ich möchte immer etwas bewegen und wenn man unterschiedlicher Auffassung ist, geht das kaum. Deshalb musste ich mich entscheiden. Trotzdem ziehe ich ein positives Fazit und habe außerdem viel gelernt. Die Wunschvorstellung, wir könnten bis zur Rente beim selben Arbeitnehmer angestellt sein, ist unrealistisch. Wir haben uns im Guten getrennt und der FC Bayern bleibt mein Verein.

SPOX: Es scheint, als wäre Ihnen der Abschied schwer gefallen...

Tarnat: Das war keine leichte Entscheidung und ich habe lange mit meiner Frau darüber gesprochen. Aber wenn man mit Bauchweh zur Arbeit fährt, muss man die Konsequenzen ziehen.

SPOX: Nicht nur personell befindet sich der Nachwuchsbereich der Bayern im Umbruch. Wie haben Sie das miterlebt?

Tarnat: Nachdem Hoeneß im Jugendbereich eingestiegen ist, hat er die Entwicklung angeschoben. Für den Nachwuchsbereich war Uli ein Sechser im Lotto, das sieht man auch am neuen Leistungszentrum. Er ist sehr ehrgeizig und wird die Jugendarbeit zusammen mit Vogel und Wolfgang Dremmler revolutionieren.

SPOX: Welche Rolle wäre Ihrer Meinung nach für Hoeneß passend?

Tarnat: In erster Linie ist es wichtig, dass er zurückgekommen ist, denn Uli gehört zu Bayern München. Er ist ein Mann von nebenan: Uli Hoeneß hat für alle Mitarbeiter - egal ob U15-Trainer oder Sportvorstand - ein offenes Ohr und deshalb haben sich auf der Geschäftsstelle alle über seine Rückkehr gefreut. Ich hoffe, dass er in eine Position kommt, in der er zufrieden ist. Dann wird er wieder richtig anpacken.

SPOX: Sie selbst pflegen seit Jahren eine hervorragende Beziehung zu Uli Hoeneß. Welche Rolle spielte er bei Ihrem ersten Engagement als Funktionär?

Tarnat: Uli Hoeneß war für meinen Einstieg bei den Bayern verantwortlich. Er hat mir 2003 bei meinem Wechsel von Bayern München zu Manchester City gesagt, dass ich jederzeit wieder zurückkehren kann.

SPOX: Und der Kontakt blieb über die Jahre hinweg bestehen?

Tarnat: Ja, Uli und ich hatten und haben noch heute ständig Kontakt. Zu meiner Zeit in Hannover hat er mir geraten: "Spiele so lange Fußball, wie es geht. Es ist das Schönste, was es gibt. Wenn Du Deine Karriere irgendwann beendest, setzen wir uns zusammen und finden einen Weg." So ist es dann auch gekommen. Uli war für mich eine prägende Persönlichkeit und ist seit Jahren mein Ansprechpartner Nummer eins. Das ist aber typisch für Uli Hoeneß. Alle, die mal mit ihm zusammengearbeitet haben, suchen Ulis Rat. Als er vor zwei Jahren im Jugendbereich angefangen hat, haben wir sehr eng zusammengearbeitet - das war eine tolle Zeit.

SPOX: Trotzdem haben Sie im Januar die Zusammenarbeit beendet. Wie hat er diese Entscheidung aufgenommen?

Tarnat: Uli wollte mich halten und hat deshalb lange Gespräche mit mir geführt, in denen er mich von einem Verbleib überzeugen wollte. Aber meine Vorstellungen und die des Vereins gingen zu weit auseinander.

SPOX: Hoeneß' Wunsch war es seit jeher, ehemalige Profis als Verantwortliche im Verein zu etablieren. Mit Mehmet Scholl, Christian Nerlinger und Hans-Jörg Butt hat das zuletzt aber in mehreren Fällen nicht dauerhaft geklappt. Welche Hindernisse gibt es bei den Bayern?

Tarnat: Auch wenn es einige Beispiele gibt, die es nicht langfristig geschafft haben, sind genügend Verantwortliche schon jahrelang im Amt. Es ist toll, diese Möglichkeit überhaupt zu bekommen, immerhin wurden viele Ex-Profis ohne Vorkenntnisse ins kalte Wasser geschmissen. Ich persönlich war von Anfang an Feuer und Flamme für die Jugendarbeit bei Bayern.

SPOX: Auch nach Ihrem Rücktritt sind Sie weiterhin nahe am Verein dran: Man trifft Sie öfters auf dem Gelände und Ihr 17-jähriger Sohn Niklas spielt in der Bayern-Jugend. Mit Lucas Scholl und Gianluca Gaudino sind auch die Söhne anderer Ex-Profis im Verein. Ist der Nachname für die Jungs eher eine Belastung oder Hilfe?

Tarnat: Das ist für die Jungs nicht angenehm, weil viele Außenstehende sie immer an Ihrem Vater messen. Man sollte die Nachnamen vergessen und sie ausschließlich nach ihren Leistungen beurteilen. Ich persönlich bin einfach nur froh, dass Niklas Spaß am Fußball hat und offenbar auch ein gewisses Talent mitbringt. Wichtiger ist aber, dass er in eineinhalb Jahren einen guten Schulabschluss macht.

SPOX: Die Prioritäten bei Ihrem Sohn sind also klar definiert. Wo sehen Sie sich in eineinhalb Jahren?

Tarnat: So genau kann man das nicht sagen, aber es gibt viele Optionen. Zum Beispiel habe ich die A-Lizenz bereits absolviert. Ich möchte in dem Bereich bleiben, in dem ich bisher gearbeitet habe - zum Beispiel als sportlicher Leiter. Bis zum Sommer werde ich die Zeit mit meiner Familie nutzen, dann will ich einen neuen Job annehmen.

SPOX: Nach fast 20 Jahren im Profi-Fußball kann so eine Pause auch mal nötig sein, um neue Kraft zu tanken. Wie froh sind Sie über die berufliche Auszeit?

Tarnat: Auf der einen Seite habe ich die letzten sechseinhalb Jahre sieben Tage die Woche gearbeitet und meine Familie kam in dieser Zeit zu kurz. Deshalb bin ich natürlich froh, dass ich mehr Freizeit habe und beispielsweise Radtouren mit meinem Sohn unternehmen kann. Auf der anderen Seite will ich mich jetzt nicht jahrelang ausruhen, sondern eine neue Herausforderung angehen.

SPOX: Sie haben offenbar klare Vorstellungen von Ihrer persönlichen Zukunft. Welche Faktoren spielen für Sie bei einer neuen Aufgabe die entscheidende Rolle?

Tarnat: In erster Linie muss es ein reizvoller Job sein. Ich brauche das Gefühl, dass ich einiges bewegen und den Verein voranbringen kann. Für mich ist es wichtig, dass die Verantwortlichen von meinen Vorstellungen überzeugt sind und mich wirklich wollen. Wenn die menschliche Komponente zu 100 Prozent passt, ist es egal, wo der Verein angesiedelt ist. Nur eins steht fest: Es muss im Fußballgeschäft sein, egal ob Senioren- oder Juniorenbereich.

SPOX: Sind in den letzten Monaten bereits Vereine an Sie herangetreten?

Tarnat: Ich hatte zwei, drei lose Anfragen. Das waren aber eher Informationsgespräche, ohne dass es wirklich ernst wurde.

SPOX: Sorgen müssen Sie sich aber wohl nicht machen. Immerhin durften Sie bereits reichlich Erfahrung im Nachwuchsbereich der Bayern sammeln. Warum haben Sie sich damals für die Jugend entschieden?

Tarnat: Als ich bei Hannover 96 lange verletzt war und in dieser Zeit auch mal eine Jugendmannschaft trainiert habe, hat mir das auf Anhieb viel Spaß bereitet. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, den jungen Spielern die eigene Erfahrung zu vermitteln und klar zu machen, dass Talent alleine nicht reicht - man muss an sich arbeiten. Es ist toll, die Jugendlichen auf dem Weg in den Profibereich zu begleiten.

SPOX: In den Medien wird der FCB für seine Jugendarbeit oftmals kritisiert. Wie beurteilen Sie die Qualität der Ausbildung?

Tarnat: Das Niveau der Nachwuchsarbeit ist sehr hoch, aber die Weltauswahl im Profibereich ist ein Fluch für die Talente. Dadurch ist es unheimlich schwierig, den Sprung zu schaffen. Nichtsdestotrotz bekommen immer wieder Spieler Profiverträge. Auch wenn es sicherlich noch Potential gibt, wird die Jugendarbeit in der Öffentlichkeit zu schlecht gemacht.