Ballmitnahme per Hacke, ein entschlossener Antritt, ein Schlenzer aus 18 Metern in die linke Torecke - und schon hatte der FC Schalke 04 einen neuen Hoffnungsträger.
Dass Levan Kenia 18 Jahre jung ist, insgesamt erst 87 Minuten bei Pflichtspielen zum Einsatz kam und sein Treffer beim 4:0-Pokalsieg bei Germania Windeck sein erstes Profitor überhaupt war, interessierte nur am Rande.
Zu groß ist Schalkes Sehnsucht nach etwas Spektakel. Nach einem Spieler, der das Besondere verkörpert - so wie eben Spielmacher Kenia, den man "von der Klasse mit dem blutjungen Lionel Messi vergleichen kann", erklärte sein ehemaliger georgischer Nationaltrainer Klaus Toppmöller bereits vergangenes Jahr.
Von Kenias Glanzstück abgesehen, erinnerten die dargebotenen Leistungen der Schalker vor dem Bundesliga-Start jedoch frappierend an den unansehnlichen Quäl-Fußball vergangener Spielzeiten.
"Ich möchte immer, dass wir schnell nach vorne spielen. Doch das ist den Spielern jahrelang anders erzählt worden. Sie haben dieses Verhalten verinnerlicht", klagt der neue Trainer Felix Magath und bringt damit das Grundübel von S04 auf den Punkt.
Das ist neu
Von Magaths Erfolgen in Wolfsburg, München und Stuttgart berauscht, stattete Aufsichtsrats-Boss Clemens Tönnies den neuen Trainer/Manager/Vorstandsmitglied mit einer ungeheuren Machtfülle aus. Magath bekam alle Entscheidungsbefugnisse - was ihm jedoch fehlt, ist Geld für Verstärkungen (Der Kader des FC Schalke 04).
Dementsprechend unspektakulär verlief die bisherige Transferperiode. Mit Lewis Holtby (18 Jahrer), Jan Moravek (19), Emin Yalin (20) und Vassilios Pliatsikas (21) wurden nur Nachwuchsspieler verpflichtet, von denen lediglich Drei-Millionen-Einkauf Holtby eine feste Größe ist. Moravek und speziell Pliatsikas wirken überfordert, ob nun wegen Magaths hartem Training oder dem höheren Spieltempo in Deutschland.
Die Taktik
Wie bei seinen Trainerstationen zuvor setzt Magath auf ein 4-4-2 mit Raute. Die einzige Ausnahme machte er bei der Testspielpleite bei Union Berlin, als er die beiden Innenverteidiger Heiko Westermann und Benedikt Höwedes als Doppel-Sechs im Mittelfeld aufbot - Experiment missglückt. Doch auch die Raute scheint nicht maßgeschneidert zu sein.
Einerseits, weil wegen des schmalen Budgets der Kader nicht breit aufgestellt ist und daher vor allem im Mittelfeld die passenden Spieler fehlen. Zum Beispiel muss nach der Verletzung von Jermaine Jones der taktisch überforderte Westermann als Sechser aushelfen, auch halbrechts sucht Magath nach der idealen Besetzung.
Andererseits, weil Magath mit dem 4-4-2 mit Raute einhergehend eine riskante und offensive Spielweise einfordert, die die Mannschaft allem Anschein nach (noch) nicht umsetzen kann. "Sie hat auch ein mentales Problem. Nach der schlechten Saison fehlt ihr jedes Selbstvertrauen", sagt Magath.
Der Spieler im Fokus
Ivan Rakitic. Kenia mag als Spielertyp mehr einem klassischen Spielmacher ähneln, doch Rakitic bringt - von den aussortierten Streit, Grossmüller und Ze Roberto abgesehen - als einziger offensiver Mittelfeldspieler im Kader etwas mit, was den anderen fehlt: Erfahrung.
Mit 21 Jahren nahm er bereits an einer EM teil und absolvierte über 80 Erstliga-Spiele in Deutschland und der Schweiz. In der dritten Saison auf Schalke muss er nun den Sprung vom Mitläufer zum Führungsspieler schaffen. Das Talent dafür hat er.
Das Interview
SPOX: Wo ist die größte Baustelle?
Hollerbach: Die Hierarchie im Team ist eine der größeren Aufgaben. Da muss sich noch viel finden. Das klingt vielleicht sehr einfach, braucht aber einen enormen Arbeitsaufwand.
Das Interview mit Schalkes Co-Trainer zum Nachlesen!
Die Prognose
Von Erfolgsgarant Magath abgesehen spricht nicht viel für eine erfolgreiche Saison.
Der renitente Jefferson Farfan scheint jeglichen Kredit verspielt zu haben, die Mannschaft wurde nur mit unbedarften Jungprofis verstärkt, es fehlt eine Alternative zum verletzten Linksverteidiger Christian Pander, ebenso fällt Anführer Jermaine Jones zum Saisonstart aus. Generell mangelt es an der Tiefe im Kader. Ganz zu schweigen vom erst einsetzenden Eingewöhnungsprozess zwischen dem anspruchsvollen Trainer und den überfordert wirkenden Spielern.
Wenn es optimal läuft, schneidet Schalke so gut ab wie Wolfsburg im ersten Jahr unter Magath. Nach einer schwachen Hinrunde griffen mit einigen Monaten Verzögerung die Automatismen - und der VfL wurde noch Fünfter. Realistisch ist jedoch eine Platzierung zwischen sechs und neun. Zur gleichen Erkenntnis ist offenbar auch Magath gekommen.
Aus einem "Wir wollen wieder nach oben. Wir wollen ins internationale Geschäft" wurde in wenigen Tagen ein "Wenn ich sage, dass wir dieses Jahr ins internationale Geschäft wollen, dann ist da viel Hoffnung dabei".