Die Rückkehr der Unruhe

Christian Bernhard
29. Juli 201117:49
Der "neue" 1. FC Köln. Topneuzugang Sascha Riether fehlt auf diesem TeamfotoGetty
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In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: der 1. FC Köln.

Es hätte alles so ruhig und harmonisch sein können: Köln verpflichtete im Mai mit Stale Solbakken einen aufstrebenden und anerkannten Fußball-Fachmann als Chefcoach - ein Coup, um den der FC von vielen Szenekennern beneidet wird. Dazu klappte nach wochenlangen Verhandlungen der Transfer von Wunschsspieler Sascha Riether und die Leistungsträger Lukas Podolski, Geromel und Milivoje Novakovic wurden gehalten.

Viele positive Aspekte, die seit einigen Tagen aber komplett in den Hintergrund gerückt sind: Die Entmachtung von Kapitän Podolski stellt in der Domstadt zurzeit alles in den Schatten. Die Tage vor und nach der Entscheidung für Geromel als neuen FC-Spielführer brachten die Unruhe ans Geißbockheim zurück.

Nach Podolskis Amtsenthebung: "Es hat allen nur geschadet"

Der FC-Vorstand veröffentlichte eine Presseerklärung, in der er verlauten ließ, dass er sich "zu dieser Entscheidung nicht öffentlich äußern" wird.

FC-Geschäftsführer Claus Horstmann sagte: "Für mich entscheidet sich an diesem Vorgang vor allem aber eine Frage, nämlich ob wir wirklich alle gemeinsam bereit sind, den 1. FC Köln als einen nach professionellen Gesichtspunkten geführten Bundesligaverein zu begreifen oder nicht."

Welche Auswirkungen das Kapitäns-Theater auf den sportlichen Verlauf der Saison haben wird, steht in den Sternen. Sicher ist nur, dass die am Geißbockheim so oft herbeigesehnte Ruhe, die nach der starken Rückrunde und der Solbakken-Verpflichtung eingekehrt war, erstmal wieder verflogen ist.

Die letzten Äußerungen des Norwegers im "Kicker" ("Wer 14 Trainer in zehn Jahren hatte, der hat keine gute Kultur") werden wohl auch nicht zur Beruhigung beitragen.

Das ist neu

In erster Linie der Trainer. Stale Solbakken kam mit großen Vorschusslorbeeren in die Domstadt, nachdem er den FC Kopenhagen in der vergangenen Saison ins Champions-League-Achtelfinale geführt hatte. "Ich glaube, da ist uns etwas ganz besonders Gutes gelungen", sagte FC-Sportdirektor Volker Finke bei der Präsentation des 43-jährigen Norwegers.

Solbakken im Porträt: "Stale ist ein cleveres Fußball-Hirn"

Solbakken krempelte die Trainingsarbeit komplett um: die Einheiten sind kürzer, es gibt kein reines Konditionsgebolze mehr und er legt einen großen Wert auf taktische Elemente. "Er hat einen sehr hohen Anspruch, was die Spieldisziplin im taktischen Bereich betrifft. Gegenüber unserer bisherigen Spielweise ist das schon eine Umstellung", sagte Martin Lanig.

Solbakken geht seinen eigenen Weg: "Ich habe großen Respekt vor der deutschen Trainerphilosophie. Aber ich muss machen, was ich für richtig halte."

Das hat auch Sascha Riether registriert: "Er hat eine Philosophie, die zieht er voll durch." Der Ex-Wolfsburger ist der prominenteste Neuzugang des FC. Finke holte den Nationalspieler, der unter ihm bereits in Freiburg gespielt hatte, nach wochenlangen Verhandlungen für rund zwei Millionen Euro. Riether soll im defensiven Mittelfeld der Kopf des neuen FC werden. "Ich war auch in Wolfsburg immer ein Spieler, der viel Verantwortung übernommen hat, der viel geredet hat. Das soll ich auch in Köln machen, das fordert der Trainer von mir. In der Zentrale ist es ganz normal, dass man mehr im Spielgeschehen ist, da kann man mehr dirigieren", sagt Riether.

BLOGS@SPOX Guter Saisonstart? Unwichtig! Gebt Solbakken Zeit!

Ansonsten hielt sich Köln in Sachen Neuzugängen zurück. Mato Jajalo wurde für knapp zwei Millionen Euro vom AC Siena fest verpflichtet, außerdem kam der albanische U-21-Nationalspieler Odise Roshi ablösefrei. Der Flügelspieler gilt als Investition in die Zukunft, machte aber schon mit guten Vorstellungen in der Vorbereitung auf sich aufmerksam.

Mit Taner Yalcin (Istanbul BB), Konstantinos Giannoulis (Atromitos Halkidona), Simon Terodde (Union Berlin), Reinhold Yabo (Alemannia Aachen), Stephan Salger (VfL Osnabrück), Bienvenue Basala-Mazana (SV Ried) und Jose Pierre Vunguidica (Preußen Münster) startete der FC eine große Ausleih-Offensive, um den FC-Talenten Spielpraxis zu ermöglichen. Fabrice Ehret (FC Evian) und der zuletzt an St. Pauli ausgeliehene Keeper Thomas Kessler (Ausleihe an Eintracht Frankfurt) verließen den Verein.

Die Taktik

Solbakken ist ein Verfechter des 4-4-2-Systems. Den Außenspielern kommt dabei eine wichtige Rolle zu, sie sollen Druck machen - auch die Außenverteidiger. Lanig beschreibt die Spielphilosophie seines Trainers so: "Mit wenig Kontakten spielen, schnelles Passspiel aus einer hohen Grundordnung heraus, besonders in der Defensive."

Im Tor ist Michael Rensing die klare Nummer eins. Der Ex-Bayern-Keeper zog sich allerdings im Testspiel gegen Arsenal eine Innenbandzerrung im linken Knie zu und droht für den Ligaauftakt auszufallen. Sollte Rensing nicht fit werden, würde Miro Varvodic zwischenzeitlich ins Tor rücken.

In der Innenverteidigung sind der neue Kapitän Geromel und Youssef Mohamad gesetzt, erste Alternative ist Kevin Pezzoni, der auch sehr gute Chancen auf einen Platz im defensiven Mittelfeld hat. Zu Saisonbeginn vertritt Pezzoni wohl Mohamad, der sich ebenfalls am Knie verletzte.

Während Miso Brecko rechts hinten die Nase vorn hat, bahnt sich auf der Linksverteidigerposition ein Zweikampf zwischen Christian Eichner und dem in der vergangenen Saison bereits so gut wie ausgemusterten Andrezinho an. Der Brasilianer stand in den letzten Testspielen jeweils in der Startelf, Eichner ist ihm aber dicht auf den Fersen, da er defensiv stärker ist.

Im defensiven Mittelfeld kämpft das Trio Lanig, Pezzoni und Adam Matuschyk um den Platz neben Riether. Da Pezzoni erstmal für Mohamad hinten aushelfen dürfte, wird wohl Lanig beginnen.

Links im Mittelfeld ist Jajalo die Nummer eins, Youngster Christian Clemens muss sich hinten anstellen. Rechts streiten sich Adil Chihi und Slawo Peszko um den Stammplatz. Der Pole geht favorisiert ins Rennen, da er in der Rückwärtsbewegung Vorteile gegenüber Chihi hat - allerdings plagen auch ihn Knieprobleme. "Ich glaube wir haben jetzt ein Problem mit Peszko und den letzten fünf bis zehn Prozent. Er kann noch keine langen Bälle schmerzfrei spielen", sagt Solbakken.

Im Angriff führt kein Weg an Podolski und Torjäger Milivoje Novakovic vorbei.

Der Spieler im Fokus

Lukas Podolski. Die große Frage lautet: Wie wirkt sich Podolskis Degradierung auf seine sportliche Leistung aus? Der Nationalspieler machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über die verlorene Kapitänsbinde: "Natürlich bin ich enttäuscht, unter anderem über die Art und Weise, wie der Verein in den letzten Wochen mit diesem Thema umgegangen ist. Das hat aus meiner Sicht allen Beteiligten nur geschadet." Gleichzeitig kündigte der 26-Jährige aber an, die Entscheidung zu "respektieren und professionell damit umgehen".

Auch ohne Binde ist Podolski weiterhin das Vorzeigeobjekt des Klubs, "er bleibt ein Aushängeschild, der Liebling der Fans und das Gesicht des Vereins nach außen", sagt Horstmann. Ist er in Form, spielt meist auch die Mannschaft erfolgreicher - so wie in der vergangenen Rückrunde.

Der FC und Coach Solbakken brauchen einen motivierten und fitten Podolski, um ihre Ziele zu erreichen. Da kommt es neben den Querelen um die Kapitänsentscheidung äußerst ungelegen, dass er sich aufgrund von Erkältungs- und Atem-Beschwerden spätestens im Winter einer Operation unterziehen muss. Schwere Zeiten für das Köln-Idol, das vor einer ganz wichtigen Saison steht. Schließlich findet die EM 2012 in seinem Geburtsland Polen statt - und Andre Schürrle macht auch im DFB-Dress Druck.

Die Prognose

"Wichtig ist, dass von außen keine Unruhe kommt - und das ist halt immer das Problem hier." Treffender könnte man die Situation um den FC nicht schildern, als es Podolski hier tut.

Das Kapitäns-Theater hat die vielen guten Ansätze am Geißbockheim erstmal in den Hintergrund gestellt. Denn sportlich hat der FC kaum Qualität verloren, mit Riether und Solbakken auf und neben dem Platz aber jede Menge hinzugewonnen. Die letzte Rückrunde und vor allen Dingen die Heimstärke (34 Punkte, 11 Siege, Platz vier in der Liga) haben gezeigt, wozu der FC fähig ist.

Solbakken macht durch die unpopuläre Kapitänsentscheidung wohl schneller als erwartet mit dem brisanten Kölner Umfeld Bekanntschaft. Der Norweger scheint sich davor aber nicht zu scheuen. "Ich weiß, dass die Presse in Köln sehr stark ist, aber Ihr hattet hier zu viel Power in den letzten zehn, 15 Jahren", sagte er vergangene Woche zu einem Reporter.

Artet die momentan sehr brisante Stimmung nicht aus und bekommt Solbakken die Zeit, in Ruhe mit dem Team an seiner Fußballphilosophie zu arbeiten, ist ein Platz im gesicherten Mittelfeld möglich.

Der Kader des 1. FC Köln im Überblick